„Wie war es bei deinen kleinen Lieblingen?“
Der König runzelte die Stirn. „Was soll das? Du schreibst von Gefahr und fragst nach den Schonosch? Sie sind mit Sicherheit keine Gefahr für das Reich.“
„Aber eine Gefahr für dich, mein König.“ Sie lächelte. „Nun, vielleicht keine Gefahr. Aber deine kleinen Lieblinge bringen dich in Bedrängnis, Telan der Telaner.“
„Nenne sie nicht meine Lieblinge“, knurrte er.
„Aber sie sind es doch, nicht wahr?“ Ihr Lächeln vertiefte sich. „Jeder weiß das.“
„Sie sind keine Schoßtiere.“ Leos-Hod nahm Glas und Karaffe vom Schreibtisch und schenkte sich Wasser ein. „Sie sind ein eigenständiges Volk von hoher Kultur.“
„Sie sind Primitive“, erwiderte sie verächtlich. „Sie sitzen auf ihrem reichen Land und nutzen es nicht. Sie sind zu dumm, es zu nutzen.“
„Unsinn“, sagte er unwirsch. „Sie sind keineswegs primitiv. Sie sehen manche Dinge anders als wir und streben nicht nach Besitz.“
„Womit wir beim Punkt wären.“ Sie streckte eine Hand aus und der König füllte ihr ein anderes Glas, reichte es ihr. „Jolos-Tar, Handelsherr des Hauses Tar.“
Leos-Hods Gesicht verfinsterte sich. „Jolos-Tar? Ich verstehe. Er hat noch nicht aufgegeben, nicht wahr? Aber das würde auch nicht zu seinem gierigen Wesen passen.“ Er sah sie kalt an. „Darin passt er hervorragend zu dir.“
Jania-Hoda lachte leise auf. „Eifersüchtig? Das passt nicht zu dir, mein König.“
„Solange es hinter verschlossenen Türen bleibt“, knurrte er, „kannst du treiben, was immer du willst. Sofern du dabei nicht vergisst, dass du die Tela des Reiches bist.“
„Keine Sorge, Leos, ich wähle mir mein Vergnügen sorgfältig aus.“
Leos-Hod hoffte, dass das Verhältnis seiner Frau ein gut gehütetes Geheimnis war. Noch dazu, da es sich um den Handelsherrn Jolos-Tar handelte, von dem sie sich regelmäßig besteigen ließ. Tar war nicht nur ein mächtiger Handelsherr sondern auch Mitglied im Senat und ein politischer Gegner. Er suchte zwischen den Schenkeln der Königin nicht nur seine Freuden sondern auch ihre Unterstützung und Leos ahnte, dass sie dem Handelsherrn mehr zutrug, als ihm lieb war. Er konnte dieses Verhältnis jedoch nicht ohne öffentlichen Skandal beenden und den konnte und wollte der König nicht riskieren. Zu viel stand auf dem Spiel, zu sehr musste er sich gegen die Habgier von Männern wie Tar behaupten, denen der persönliche Reichtum wichtiger war, als das Wohl des Reiches.
Leos-Hod-Telan scheute keinen offenen Konflikt. Als Telan vor zehn Jahren einem Korsarenüberfall begegnen musste, der einer der anderen Städte gegolten hatte, da hatte der König in vorderster Linie gekämpft. Er wusste mit Schwert und Bolzenwaffe umzugehen, wenn er den Feind vor sich sah. Aber inzwischen begegnete er Feinden, denen er mit anderen Waffen entgegen treten musste. Männern, wie dem Handelsherrn Jolos-Tar.
Vor zwanzig Jahren war man dem Volk der Schonosch zum ersten Mal begegnet. Es war ein genügsames und friedfertiges Volk, das im Inneren des Kontinents lebte. Telan hatte das Gebiet der Schonosch respektiert, aber einige Handelshäuser hatten erkannt, wie reich das Land dieser Wesen an wertvollen Bodenschätzen war. Das Handelshaus Jolos-Tar hatte mehrere Zwischenfälle provoziert und die Truppen des Reiches waren mobilisiert worden, um die Ermordung mehrerer Handelsgehilfen zu rächen. Der König war persönlich zur Grenze gereist, um über die Herausgabe der Mörder zu verhandeln, bevor es zum Krieg kam. Dabei hatte er die Schonosch näher kennengelernt und erkannt, welch hohe Kultur sie besaßen und mit welchen Mitteln der Handelsherr Jolos-Tar versucht hatte, einen Krieg zu provozieren, dem die Aneignung des Gebietes der Schonosch folgen sollte, verbunden mit der Ausbeutung ihrer Bodenschätze durch das Haus Tar. Für Leos-Hod-Telan hatte es keinen Zweifel gegeben, wer die Schuld zu tragen hatte und so hatte er die Truppen heim geschickt und dem Handelsherrn Tar Wiedergutmachung auferlegt. Zudem sicherte nun eine kleine Garnison die Grenze zum Gebiet der Schonosch, mit der Einwilligung ihres Stammesrates.
Inzwischen war der König gelegentlich zu diesem Volk gereist, hatte viel über ihre Kultur und ihre magischen Fähigkeiten gelernt und war zu ihrem Freund geworden. Diese Freundschaft hatte ihm allerdings die unversöhnliche Gegnerschaft des Handelsherrn Tar eingebracht.
Unglücklicherweise gehörte Jolos-Tar dem Senat des Königreiches an und verfügte über Geld und Macht. Wo immer Tar die Gelegenheit fand, schwächte er die Position des Königs, um seine eigene zu stärken. Da die Königswürde nicht durch Erbrecht erlangt, sondern durch Wahl des Senats verliehen wurde, konnte es gut sein, dass Tar darauf wartete, selbst zum König ernannt zu werden. Es war also verständlich, das Leos nicht besonders glücklich darüber war, dass Jolos und Jania das Bett, und sicher auch manche Palastinterna, miteinander teilten. Wenigstens hatte der König starken Rückhalt im Volk und bei der Mehrheit des Senats.
Leos-Hod-Telan ging langsam durch die Bibliothek und trat an das große Fenster. Es bot einen prächtigen Ausblick auf einen großen Teil der Stadt und die Lagune. „Was will Tar von mir?“
„Oh, er kann es dir selber sagen. Er ist hier, im Palast. Ich denke, du bist gewillt ihn zu empfangen oder täusche ich mich?“
Er sah sie an, unterdrückte seinen aufsteigenden Zorn. Wahrscheinlich hatte Tar erst vor kurzem das Bett der Königin gewärmt. „Nein, natürlich werde ich ihn empfangen.“
„Schön.“ Jania griff nach einer gedrehten Schnur, die über der Ruhegruppe von der Decke hing. „Dann werde ich ihn rufen lassen.“
„Danach wirst du bitte die Bibliothek verlassen“, sagte er leise. „Deinen Andeutungen habe ich entnommen, dass es um eine Angelegenheit des Reiches oder Senats geht.“
„Ich werde ohnehin erfahren, was du entscheidest.“
„Sicher.“ Seine Stimme war kalt. „Während er zwischen deinen Schenkeln liegt.“
Ihr Lächeln verlor an Freundlichkeit. „Manchmal frage ich mich, warum wir einander geheiratet haben.“
Für einen Moment nahm das Gesicht des Königs einen wehmütigen Ausdruck an. „Weil wir uns einst geliebt haben. Aber das ist lange her.“
Sie erwiderte seinen Blick forschend und nickte dann langsam. „Ja, es ist lange her.“
Sie schien noch etwas hinzufügen zu wollen, aber da klopfte es an die Tür der Bibliothek. Die Königin zuckte die schmalen Schultern. „Ich werde deinem Willen entsprechen und den Raum verlassen. Ich mag es nicht, wenn Männer wie eifersüchtige Rüden aufeinander prallen.“
Während sie den Raum verließ, trat Jolos-Tar ein.
Der Handelsherr des Hauses Tar war eine imposante Erscheinung und es gewöhnt, sich in Szene zu setzen. Das üppige Leben hatte seine Gestalt beachtlich gerundet und er versuchte, seinen stattlichen Bauch unter kostbaren Stoffen und Schmuck zu verbergen. Er wirkte behäbig, aber man durfte ihn nicht unterschätzen. Sein Geist war scharf und seine Zunge spitz und dies kombinierte Jolos mit der Fähigkeit, seine Gegner zu täuschen.
„Königliche Hoheit, es ist mir eine Freude, Euch wieder wohlbehalten im Palast zu wissen. Angelegenheiten von großer Bedeutung verlangen Eure Entscheidung.“
„Treten Sie näher, Handelsherr Tar.“ Leos trat wieder an seinen Schreibtisch, deutete auf einen Stuhl und setzte sich. „Nehmt Platz und erklärt mir Euer Begehren.“
Tar ließ sich seufzend nieder. „Ihr seht mich in tiefer Sorge und Betrübnis, Eure Hoheit. Drei der besten Schiffe Telans sind auf hoher See verschwunden.“
Schiffe