Wieder nickte Francesco mit einem müden Lächeln. „Aber es ist das Mächtigste von ihnen. Mächtiger als alles, was du dir je vorstellen könntest!“
Einen Moment entstand eine tiefe Stille, die nur durch den pfeifenden Wind unterbrochen wurde und in der beide Männer auf den Lederbeutel blickten.
„Wow!“ meinte Howard dann echt beeindruckt. „Und was jetzt? Ich meine, können wir damit…?“ Er deutete mit dem Kopf in Richtung Kugel.
Francesco Gesicht wirkte sofort gequält. „Nur alle drei zusammen vermögen den Dämon wieder hier auf Erden zu bannen!“
„Dann…müssen wir die beiden anderen suchen!“ Howard schaute seinen Freund erwartungsvoll an.
„Ja, das müssen wir!“ Francesco nickte, doch klang seine Stimme müde und sein Gesicht zeigte keine Zuversicht. „Und zwar, bevor…!“
Howard zog die Augenbrauen zusammen. „Bevor was?“
Francesco hob seinen Kopf. „Bevor er sie findet!“
„Er?“ Wieder war Howard sichtlich überrascht. „Du meinst, er sucht ebenfalls danach?“
Francesco nickte. „Alle drei Tore sind machtvolle Relikte. Doch genauso, wie sie uns helfen könnten, ihn zu bannen, würden sie auch ihm Kräfte verleihen, deren Auswirkungen wir uns wohl nicht vorzustellen vermögen!“ Der Italiener schaute Howard direkt an, doch sein Freund blieb stumm, musste offensichtlich erst verdauen, was er soeben gehört hatte. „Mit dem Tor zum Himmel hast du…!“ Francesco hielt inne und sein Kopf zuckte nach links. Hatte er dort eben nicht ein schabendes Geräusch gehört? Er lauschte für einen Augenblick, doch als es still blieb, wandte er sich wieder seinem Freund zu. „…ein machtvolles Instrument im Kampf gegen den Dämon gefunden, aber…!“ Wieder hielt er abrupt inne und sein Kopf zuckte erneut nach links. Dabei war er sich sofort sicher: Ja, da war ein schabendes Geräusch und auch…ein bösartiges Knurren! „…du bist auch in großer Gefahr!“ Sein Kopf wirbelte herum und er schaute Howard direkt in die Augen. Seine Stimme klang eindringlich. „Er ist hier!“
Jetzt hatte es auch der Amerikaner erkannt und er starrte in die Richtung, aus der das Knurren kam.
„Lauf!“ sagte Francesco, griff gleichzeitig in seinen Rücken, wo er ein automatisches Schnellfeuergewehr befestigt hatte und zog es in einer flüssigen
Bewegung vor den Körper.
Howard jedoch rührte sich nicht und wollte seinerseits bereits eine Waffe ziehen, doch Francesco hielt ihn zurück. „Nein! Ich werde ihn aufhalten!“ Etwa zehn Meter vor ihnen ertönte ein hasserfülltes Grollen und es schepperte in den alten, rostigen Fabrikaufbauten. „Das Tor ist zu wichtig. Wir dürfen es nicht mehr verlieren!“ Er drehte sich zu seinem Freund, umfasste seinen rechten Unterarm und wartete, bis Howard ihn ansah. „Du musst es beschützen und einen Platz dafür finden, wo er es nicht finden kann!“
Howard nickte, doch sein Gesicht zeigte große Verwirrung. „Wie? Wo?“ fragte er dann auch.
„Das Tor muss an einen reinen Ort. Nur dort wird es nicht mehr strahlen!“
Ein lautes Brüllen übertönte das Pfeifen des Windes und im selben Moment schob sich ein Schatten aus dem Halbdunkel eines Silos. Es war eine junge Frau, schlank, mit feinen Zügen, ausgesprochen hübsch. Doch ihre rot leuchtenden Augen zeigten deutlich, dass dies nur ihre äußere Hülle war und sich in ihrem Inneren ein Monstrum befand. Schon öffnete sie ihren Mund und stieß ein zorniges Fauchen aus.
„Lass mich dir helfen!“ rief Howard. „Gemeinsam…!“
„Nein!“ brüllte Francesco jedoch beinahe wütend. „Du musst dich um das Tor kümmern. Verstehst du? Es ist einfach zu wichtig!“ Er wartete, bis Howard ihn ansah. „Geh und blicke nicht zurück!“ Er schaute Howard flehend an, dann lächelte er. „Wünsch mir Glück!“
Howard sah man an, dass ihn die Entscheidung zu gehen, fast zerriss, dass er aber auch wusste, dass Francesco Recht hatte. Der Dämon war mächtig und bösartig, doch wenn es ihm gelänge, die Tore an sich zu bringen, wäre gar nicht auszudenken, was geschehen konnte. Deshalb war klar, dass er gehen musste. Je früher, desto besser. Francesco musste den Dämon schließlich nicht töten – das wäre ihm ohnehin nicht gelungen – nur eben lange genug aufhalten, damit sein Freund entkommen konnte.
Howard wollte noch etwas sagen, doch er konnte ihm nur zunicken.
Francesco erwiderte die Geste mit einem sanften Lächeln, dann atmete er tief durch und machte ein paar Schritte auf den Dämon zu.
Howard schaute seinem Freund noch einen Augenblick hinterher, wobei ihm nicht entging, dass die Augen der jungen Frau ausschließlich auf ihn gerichtet waren und sie Francesco überhaupt nicht wahrzunehmen schien. Dann wandte er sich ab und rannte in die Richtung, in der das Auto stand, mit dem er hierhergekommen war. Hinter sich nahm er lautes Brüllen und Fauchen des Dämons wahr, sowie Wortfetzen seines Freundes. Als er sich nochmals umblickte, konnte er sehen, dass die junge Frau ihm folgen wollte, dass sich ihr Francesco jedoch in den Weg gestellt hatte. Schon im nächsten Moment drückte sein Freund den Abzug und erste Schüsse donnerten in den Körper der Bestie. Davon ließ sie sich natürlich nicht lange aufhalten, doch als sie sich anschickte loszurennen, warf Francesco eine Handgranate nach ihr. Die Explosion riss sie von den Füßen und schleuderte sie wieder zurück in die Aufbauten, aus denen sie gekommen war.
Bevor Francesco ihr folgte, drehte er sich nochmals zu Howard herum. „Worauf wartest du? Nun mach endlich, dass du wegkommst!“ rief er ihm zu und sein Blick war ernst und konzentriert. Dann verschwand er hinter dem Silo.
Howard zögerte noch eine Sekunde, dann wandte er sich ebenfalls ab und rannte, so schnell er konnte.
Als er mit Vollgas den Hügel zur Stadt hinab raste, konnte er im Rückspiegel die Flammenfaust einer weiteren Explosion erkennen. Sein Herz schmerze in diesem Moment und fast wäre er doch noch umgekehrt. Doch er wusste, er durfte es nicht tun. Während er Alexandria erreichte, waren seine Gedanken und Hoffnungen bei seinem Freund im Kampf gegen die furchtbarste Kreatur der Finsternis.
Er hoffte inständig, dass er Francesco heute nicht zum letzen Mal gesehen hatte.
*
Doch es kam alles ganz anders:
Francesco gelang es, den Dämon lange genug aufzuhalten, damit Howard fliehen konnte. Als die Bestie erkannt hatte, was geschehen war, stürmte sie davon, ohne dass Francesco sie verfolgen konnte. Ihm blieb in diesem Moment nur die Hoffnung, dass Howard ihn verstanden hatte und es ihm gelingen mochte, das Tor zum Himmel an einen sicheren Ort zu bringen.
Natürlich versuchte er, Howard so schnell es nur ging, ausfindig zu machen, doch war ihm fast klar, dass sein Freund nun beständig auf der Flucht vor der Ausgeburt der Hölle war – zumindest so lange, bis die kleine unscheinbare Kugel in Sicherheit war.
Doch mit jedem neuen Tag, an dem Francesco vergeblich nach Howard suchte, schwand seine Hoffnung immer mehr.
Dann – vollkommen unerwartet – erhielt er von Howard einen Telefonanruf. Sein Freund war hörbar außer Atem. Seine Stimme klang gehetzt, rau und sehr erschöpft. „Ich habe es geschafft, alter Freund. Der reine Ort. Ich habe ihn gefunden. Das Tor zum Himmel ist in Sicherheit!“
Francescos Herz schien vor Freude überquellen zu wollen. Das Tor in Sicherheit, sein Freund noch am Leben. Nach so unendlich langer Zeit, lächelte er - wenn auch nur ganz leicht. „Das ist eine wunderbare Nachricht, alter Freund!“ erwiderte er. „Das hast du wirklich gut gemacht!“
„Nein…!“ Howards Stimme klang leise, vollkommen hoffnungslos und derart schmerzvoll, dass Francesco eine eiskalte Gänsehaut über den Rücken kroch. „Das habe ich nicht! Um den reinen Ort zu finden, habe ich die, die ich liebe, verraten und einen weiteren Fluch auf mich geladen. Damit ist mein Leben endgültig verwirkt!“
Francesco