Bei der Zertifizierung ist das ähnlich. Alles wird auf den Tag des Audits vorbereitet. Vorher war Chaos, nachher auch. Was soll also diese Augenwischerei? Kostet Geld. Nicht das des Vorstands; nein das zahlen auch die Versicherten.
Wenn mir Einer gesagt hatte, dass seine Krankenkasse jetzt ein Zertifikat führe, antwortete ich immer, dass wir uns um unsere Versicherten bemühen und nicht um ein Zertifikat. Viele haben das sehr gut verstanden.
Der Gesetzgeber hat in einigen Bereichen den Krankenkassen eine gewisse Gestaltungsmöglichkeit der Leistungen eingeräumt.
Dadurch können gemäß der Satzung zusätzliche Leistungen in die Satzung aufgenommen werden oder bereits gesetzlich vorgegebene Leistungen erweitert werden. Angeblich orientiert man sich am Bedarf seiner Mitglieder. Das stimmt sicher teilweise. Meine Vermutung war schon immer, dass es nur um Marketing geht. Diese Satzungsleistungen betreffen ohnehin nur einen Minianteil an den Gesamtausgaben. Aber sie werden mit großer Aufmachung in Szene gesetzt.
Um das heutige Bild der gesetzlichen Krankenkassen richtig zu erkennen, müssen wir in die Vergangenheit zurückblicken. Dies ist besonders aus dem Grund notwendig, da viele Leser diese Zeiten nicht miterlebt haben.
Rückblick
Die gesetzliche Krankenversicherung bestand Ende der 1960er Jahre aus über 1.800 einzelnen Krankenkassen. Die Mitgliederzahl einer Krankenkasse betrug zwischen einigen Hundert und einigen Millionen Menschen. Der größte Anteil an den Krankenkassen war der der Betriebskrankenkassen. Die höchsten Mitgliederzahlen lagen seinerzeit bei den Ersatzkassen.
Die Krankenkassen wurden früher von der Vertreterversammlung, dem Vorstand und dem Geschäftsführer verwaltet. Ab 1996 wurde aus Vertreterversammlung und Vorstand der Verwaltungsrat. Aus dem Geschäftsführer wurde der Vorstand. Die Selbstverwaltungsorgane der einzelnen Krankenkassen beschlossen die Satzung der Krankenkasse, und als Teil der Satzung den Beitragssatz. Der Beitragssatz musste so geplant werden, dass aufgrund des aufgestellten Haushaltsplanes eine Kostendeckung zustande kam. Außerdem war jede Krankenkasse verpflichtet, eine Rücklage zu bilden, um auch dann ihren finanziellen Verpflichtungen nachkommen zu können, wenn die Ausgaben unplanmäßig angestiegen waren.
Weitere Bestandteile der Satzung sind die Leistungen, die von den Krankenkassen aufgrund der gesetzlichen Vorgaben selbst gestaltet werden können.
Die Aufsichtsbehörden müssen die Satzung und damit den Beitragssatz genehmigen.
Aufgrund dieser Bestimmungen gab es zwischen den Krankenkassen zum Teil erhebliche Unterschiede in der Höhe der Beitragssätze. Das lag an unterschiedlichen Krankheitsrisiken der Mitglieder, an zum Teil großen Unterschieden der Einkommen und an den Verwaltungskosten der einzelnen Krankenkassen. Die Betriebskrankenkassen (BKK) hatten den Vorteil, dass die Trägerunternehmen, für die die BKK errichtet war, die Sachkosten der Verwaltung sowie die Personalkosten der BKK trugen.
Die Beiträge zur Krankenversicherung werden schon immer nach der Höhe der Einkünfte berechnet. Wenn also eine Krankenkasse nur für Angestellte mit technischen Berufen errichtet war, so konnte man davon ausgehen, dass dort auch hohe Beitragseinnahmen erzielt wurden. Ebenso verhielt es sich bei den Betriebskrankenkassen. War eine BKK für die Beschäftigten eines Unternehmens der Chemischen Industrie oder der Metallindustrie zuständig, wurden die Beiträge von durchschnittlich höheren Einkünften berechnet, als dies bei beispielsweise bei einer BKK der Fall war, die für ein Unternehmen des Einzelhandels errichtet wurde.
Ab 1996 wurde das gesamte System der gesetzlichen Krankenversicherung entscheidend geändert. Die Zuständigkeit der Krankenkassen wurde erweitert.
Galt bisher, dass nur Angestellte in den Angestellten-Ersatzkassen Mitglied werden konnten, so war dies vorbei. Fortan konnten auch Arbeiter in die Ersatzkassen wechseln. Arbeiter in Unternehmen mit einer BKK mussten bis 1996 in der BKK des Unternehmens versichert werden. Jetzt konnten sie sich die Krankenkasse aussuchen. Die Betriebskrankenkassen konnten sich „öffnen“. Das bedeutete, dass auch nicht dem Unternehmen angehörende Personen in die BKK wechseln konnten.
Das wirbelte die Risiken der Krankenkassen erheblich durcheinander. Vorbei war die Zeit der Krankenkassen mit „Eliteversicherten“.
Nun hatten die Beitragssätze eine große Bedeutung für viele Menschen. Bei Unterschieden von mehreren hundert Mark im Jahr war es schon verlockend, eine andere Krankenkasse zu wählen. Der mit dieser Änderung einhergehende neue Wettbewerb endete letztlich für einige Krankenkassen mit der Schließung. Kluge Krankenkassenverantwortliche schlossen sich mit einer oder mehreren Krankenkassen rechtzeitig zusammen. Die Zeit der Fusionen begann.
Zunächst begannen bei den bisherigen „Pflichtkrankenkassen“ die Überlegungen, wie sie für jetzige und zukünftige Mitglieder interessant werden könnten. Viele Krankenkassen hatten sich bis zu diesem Zeitpunkt doch kaum um Mitglieder bemühen müssen, da diese per Gesetz zugewiesen wurden. Jetzt wurde bei den Betriebskrankenkassen überlegt, ob es sinnvoll sei, sich für Mitglieder zu öffnen, die nicht aus dem Trägerunternehmen kamen. Die „Öffnung“ einer BKK bedeutete, dass fortan auch die Verwaltungskosten von der BKK alleine zu tragen waren.
Wenn man sich öffnete, musste man sich auch darum bemühen, bekannt zu werden. Das war bei der großen Anzahl an Krankenkassen gar nicht so einfach. Also wurde das Marketing eingeführt oder verbessert.
Was ist Marketing, wie macht man Marketing? Viele Krankenkassen waren mit diesem Thema überfordert. Also holte man sich von „Fachleuten“ Rat. Guter Rat ist teuer. Das zeigt sich immer wieder. Auch hier.
Jede Krankenkasse beschäftigt viele gute und sehr gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Diese haben sicher auch gute Marketingideen. Schließlich haben sie ihren Beruf erlernt. Außerdem haben sie von ihren Versicherten immer wieder gehört, welche Wünsche diese haben, welche Themen interessant sind oder was erklärt werden muss. Vorausgesetzt, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter waren in der Lage, den Versicherten überhaupt zuzuhören.
Echte Marketing-Experten haben auch richtig viel Ahnung. Nicht unbedingt von Krankenkassen. Aber das konnte zunächst nur den stören, der es besser wusste. Sicher wussten es auch einige Krankenkassenfachleute besser. Aber was zählt schon der Prophet im eigenen Lande. Fremde Dienstleistungsunternehmen wurden mit ins Boot genommen, um den Krankenkassen ein neues oder besseres Image zu verpassen. Die Aufgabe des Marketings war, die Krankenkasse in der Bevölkerung bekannt zu machen.
So wurden die verschiedensten Instrumente eingesetzt, um Mitglieder zu werben oder zu halten.
Mitgliederzeitschriften gibt es schon immer. Aber nicht bei allen Krankenkassen oder nicht für alle Mitglieder. Was sollten diese Zeitschriften erreichen? Zunächst einmal Information für die Mitglieder. Welche Information ist wichtig? Richtig: Information zur Gesundheit oder über die Krankenkasse sowie Gesetzes- oder Satzungsänderungen. Da man jedoch davon ausging, dass das nicht genügte, kamen dann Bücherempfehlungen, Preisrätsel, Reiseangebote und Kochrezepte hinzu. Man hätte auch den Umfang der Zeitschrift verringern können.
Es folgten viele Auftritte der Krankenkassen in der Öffentlichkeit. Kaum ein Autohaus stellte am Wochenende seine neuen fahrbaren Untersätze aus, ohne dass zusätzlich Krankenkassen ihren Service und ihre Leistungen ebenfalls an einem Aktionsstand darboten. So hatte die Bevölkerung außer der Plastiktüte mit Autoprospekten eine zweite Plastiktüte mit Werbematerial der Krankenkasse nach Hause zu schleppen. Bei dieser Gelegenheit wurden Blutdruckmessungen, Blutzuckerbestimmungen oder Herz-/ Kreislauftests durchgeführt. Der Wert solcher Aktivitäten hielt sich in Grenzen. Kinder wurden geschminkt, Erwachsene fotografiert und viele sinnfreie Aktivitäten mehr gab es an solchen Aktionstagen. Geld für Marketing schien keine große Rolle zu spielen.
Nach und nach überlegte man dann, wie sich das Marketing, wenigstens teilweise,