Winterkinder. Anna Kosak. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Anna Kosak
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742710895
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sich zu Tode. Momentan drehten sich die Gespräche über Urlaubsorte, das neue Handy, den letzten Fernsehkrimi. Daher lächelte sie nur unverbindlich und aß schnell noch eine Gabel Kuchen. Robert kam mit einer frischen Kanne Kaffee ins Wohnzimmer und schenkte ihnen ein.

      „Bäh! Ich mag keinen Kaffee!“, rief Lizzy. „Der riecht so eklig!“

      Ihre Mutter bot ihr noch etwas Saft an, doch Lizzy zappelte bereits unruhig hin und her. Lieber wollte sie zurück zu ihren Spielsachen.

      „Wie geht es deinem Mann?“, fragte Robert. „Wie laufen seine Geschäfte?“

      „Oh, Jürgen hat erfolgreich ein Kundenprojekt beendet“, trällerte Aissa, „alles läuft super momentan! Aber das kann er dir auch nochmal detailliert auf unserer Party erzählen, die wir zu unserem Hochzeitstag geben wollen.“

      „Ihr habt schon wieder Hochzeitstag?“

      „Jedes Jahr aufs Neue, Bruderherz. Im Januar ist unser fünfjähriges Jubiläum. Ihr zwei seid also herzlich eingeladen! Wir wollen eine kleine Feier ausrichten, nichts allzu Großes, aber doch genügend, um zusammen anzustoßen. Und ein Buffet gibt es natürlich auch!“

      Melissa stöhnte innerlich auf. Sie langweilte sich immer schrecklich auf diesen Partys. Mit kaum jemandem konnte sie sich unterhalten, weder mit ihrer Schwägerin, noch mit deren Ehemann, und ganz bestimmt nicht mit den anderen Gästen.

      Vor einigen Jahren noch hatte Melissa auf Jürgens Geburtstagsfeier eine nette Frau kennengelernt. Doris und sie waren etwa im gleichen Alter gewesen und sie hatten sich den ganzen Abend über gut unterhalten. Doch bei den nächsten Treffen war Doris nicht mehr eingeladen. Als Melissa nachfragte, erhielt sie nur kryptische Antworten. Wahrscheinlich war die junge Frau durch irgendetwas in Ungnade gefallen oder hatte selbst beschlossen, nicht mehr zu erscheinen. Seitdem stand Melissa meist stumm daneben und hörte zu.

      Zwei Stunden später verabschiedeten sich Lizzy und Aissa. Robert winkte den beiden vom Tor aus nach, dann hastete er zurück ins Haus.

      „Verdammt kalt draußen! Und dunkel ist es auch schon wieder!“

      Er schüttelte sich und schloss schnell die Haustür. Melissa blickte sehnsüchtig nach draußen. Der Schnee leuchtete im Dunklen.

      „Wir könnten einen schönen Spaziergang machen“, schlug sie vor. „und auf dem Rückweg irgendwo in einem Restaurant was essen.“

      Robert schüttelte sich erneut und schlüpfte in einen wärmeren Pullover.

      „Da willst du freiwillig hinaus? Nein danke, das ist mir echt zu kalt! Setzen wir uns doch lieber vor den Kamin und machen es uns im Warmen gemütlich.“

      Sie versuchte noch, ihn zu überreden, doch Robert wollte partout nicht das Haus verlassen. Er wirkte genervt. Auf einmal erschien Melissa die Dunkelheit bedrohlich und sie war froh um die dichten Vorhänge vor den Fenstern.

      Sie ging in die Küche, um das feine Kaffeegeschirr zu spülen. Sie ließ Wasser in die Spüle ein, nahm den gelben Schwamm und begann mechanisch die Teller zu säubern.

      Natürlich war es zuletzt wieder um ihren Arbeitsplatz gegangen. Aissa hatte angeboten, sich im Freundeskreis einmal umzuhören, denn schließlich – wie hatte Robert es formuliert? – könne Melissa ja nicht ewig hinter Büchern sitzen und versauern. Zurzeit arbeitete sie halbtags in der Uni-Bibliothek. Dass das auf Dauer keine Lösung sein konnte, war Melissa durchaus bewusst. Nicht nur in Bezug auf Geld, sondern auch für das Berufsleben insgesamt.

      Sie stellte Teller und Tassen zum Abtropfen auf ein Geschirrhandtuch. Im Wohnzimmer hatte Robert den Fernseher angemacht.

      Die Bibliotheksstelle wäre natürlich perfekt, wenn sie ein Kind hätten! So wäre sie nachmittags immer zu Hause und hätte genügend Zeit, um sich um alles zu kümmern. Mit diesem Argument hatte sie sich auch lange Robert entgegengestellt. Wobei, er hatte es von Anfang an nicht wirklich nachvollziehen können. So sehr er sich auch über eine Schwangerschaft freuen würde, so sehr war es ihm gleichermaßen wichtig, dass Melissa beruflich „gefestigt“ war. Dass sie etwas vorzuzeigen hatte.

      Sie wünschte sich so sehr ein kleines Mädchen. Oder einen Jungen, das war ihr eigentlich doch egal. Sie wollte doch nur so ein kleines süßes Wesen im Arm halten, dieses unschuldige und zauberhaft duftende Baby! Warum nur wurde sie nicht schwanger!?

      Kapitel 2

      Marie-Luise seufzte leise. Der Typ mühte sich jetzt schon seit circa zehn Minuten auf ihr ab und langsam wurde es langweilig. Zum Orgasmus würde sie bei der Veranstaltung hier sowieso nicht kommen. Marie beschloss das Ganze etwas abzukürzen. Sie bewegte ihr Becken ein bisschen mehr, atmete stoßweise und gab ein paar kleine erotische Stöhner von sich. Das schien ihn zu befriedigen und gleichzeitig anzuspornen. Es dauerte nicht mehr lange und er bäumte sich auf, gab einen gutturalen Laut von sich, um dann auf ihr zusammenzusinken. Sein warmer Atem pustete ihr ins Ohr. Angewidert schob Marie ihn von sich. Der Mann grunzte nur und rollte sich auf die andere Bettseite. Warm konnte sie es zwischen ihren Beinen hinauslaufen fühlen. Eilig stand sie auf und tappte ins Bad.

      Im schummrigen Licht des Badezimmers entdeckte sie das Blut zwischen ihren Beinen. Schon wieder! Ihr schwindelte. Das Wasserlassen tat weh. Marie fand einen Waschlappen und säuberte sich notdürftig.

      Alles tat ihr weh. Die Hüfte, der Bauch, der Hintern. Alles. Alles schmerzte und sie fühlte sich einfach nur wund. Wieso hatte sie vorhin nicht doch abgewehrt? Wieso hatte sie wieder einmal nicht auf ein Kondom bestanden? Verhütung vor einer Schwangerschaft war nicht das Problem, sie nahm die Pille. Doch zunehmend wurde sie sich der Gefahr von Geschlechtskrankheiten bewusst. Er hatte zwar gesagt, er sei gesund und würde ihr sicherlich nichts anhängen. Aber sicher sein konnte sie ja schließlich nicht!

      Marie war wütend auf sich selbst. Immer wieder gab sie dem Drängen nach und verzichtete auf ein Kondom. Selber Kondome kaufen tat sowieso kein Mann, die musste sie schon selbst mitbringen.

      Sie betrachtete sich im Spiegel. Blonde Locken, jetzt sehr zerzaust und wirr. Darunter große blaue Augen und eine kleine Nase. Die Schminke war verschmiert und die Mascara hatte hässliche Spuren auf den Wangen hinterlassen.

      Seit einem Jahr spielte Marie nun schon mit dem Gedanken, einen AIDS-Test zu machen. Doch nie fand sie den nötigen Mut, tatsächlich zum Arzt zu gehen. Wollte sie es überhaupt wissen? Heutige Behandlungen und Heilungschancen schön und gut – aber die Gewissheit zu haben, mit Anfang dreißig HIV-positiv zu sein? Vielleicht war es da sogar besser, arglos wie bisher zu leben und sich erst Gedanken zu machen, wenn es soweit war.

      Es klopfte an der Tür. Marie fuhr zusammen.

      „Brauchst du noch lange?“, kam es von draußen.

      „Bin fertig!“, rief sie zurück und öffnete die Tür.

      Er stand vor ihr und grinste.

      „Ich mache mich grad frisch und dann geht’s weiter. Bereit für die zweite Runde?“

      *

      „Entschuldigen Sie!? Ich suche dieses Buch hier!“

      Der pickelige Junge hielt ihr einen Zettel unter die Nase. Melissa entzifferte das Gekrakel.

      „Dritter Gang, ganz hinten links.“

      Er bedankte sich und durchquerte den großen Bibliotheksraum. Dabei kam er an einem Tisch mit zwei Mädchen vorbei, offensichtlich seine Kommilitoninnen, denn sie unterhielten sich kurz und der Junge ließ seinen Rucksack bei ihnen stehen, um das Buch suchen zu gehen.

      Melissa beobachtete die beiden Studentinnen. Sie waren Freundinnen und kamen oft gemeinsam zum Lernen hierher. Die eine hatte nicht zu bändigende dunkle Locken, die auf und ab wippten, wenn sie lachte. Ein paar Mal hatte Melissa die beiden schon zur Ruhe mahnen müssen, doch nicht allzu streng. Insgeheim bewunderte sie die zwei für den ungezwungenen und liebevollen Umgang miteinander.

      Ihr fiel wieder einmal auf, dass sie keine engen