Peter stand linkisch und mit gemischten Gefühlen in dem kleinen Wohnraum. »Wenn ich das so genau wüsste«, antwortete er. »Also, um gleich zum Kern zu kommen … einer der alten Herren hat mich auf dich angesetzt. Was hast du angestellt?«
»Was soll ich angestellt haben? Einer der alten Herren …«. Er sah ihn misstrauisch an.
»Du weißt, wie das geht. Ich habe keine Informationen.« Peter wurde die Situation unbehaglich.
»Die können mich kreuzweise«, brach es aus Bastian heraus. »Ich richte nicht mein ganzes Leben auf einen Jungmännerzirkus aus. Wir leben im einundzwanzigsten Jahrhundert.«
»Du nimmst alles, wie ich sehe.« Er machte eine umfassende Bewegung mit der Hand. »Dafür können wir Loyalität verlangen. Daran mangelt es dir augenscheinlich, wie ich feststelle.« Er kniff die Augen zusammen und überlegte, wie er weiter vorgehen sollte. Er hatte keinen Plan.
»Die haben dich voll vereinnahmt. Du willst dir hoffentlich nicht dein ganzes Leben versauen, nur weil du als junger Mensch diesem Verein beigetreten bist?«
»Das ist gerade mal anderthalb Jahre her. Was du jetzt weißt, wusstest du damals auch.«
»Falsch, Peter. Jetzt wissen wir viel mehr. Wir sind einer Verbrecherorganisation aufgesessen. Die Mafia ist nichts dagegen.« Er stand aufgebracht im Raum. »Klar. Ich habe das Geld und die Annehmlichkeiten genommen. Aber damit ist jetzt Schluss. Die können froh sein, wenn ich nicht zur Polizei gehe.« Er trat ganz nahe an ihn heran.
Peter sah, dass er es ernst meinte. Der brachte es wirklich und zeigte die Verbindung an. Peter reagierte ohne sein Zutun. Zumindest fand er später keine Erklärung, weshalb er so handelte. Sein Knie fuhr hoch in die Hoden des Mannes. Als dieser zusammenklappte, schlug er ihm mit der Handkante ins Genick und spürte, wie die Wirbel brachen. Bastian lag, wie ein nasser Sack auf dem Boden. Emotionslos betrachtete er die Bescherung. Er ging steifbeinig hinaus und gab seinen beiden Begleitern das verabredete Zeichen.
Sie betraten den Raum und sahen sich um.
»Hast du etwas angefasst«, fragte einer der beiden.
Er schüttelte den Kopf.
»Gut. Dann wollen wir uns an die Arbeit machen«, sagte derselbe Mann. »Guck mal draußen, ob wir den irgendwo hineinpacken können«, forderte er seinen Kumpel auf.
»Draußen ist so eine blaue Tonne mit Deckel. Circa hundertfünfzig Liter. Da passt der rein.«
»Pack an.« Sie schleppten den toten Bastian nach draußen und steckten ihn in die Tonne.
Sie zauberten eine Sackkarre her und transportierten den Toten zu dem Lieferwagen. In weniger als zwei Minuten saßen sie wieder im Auto.
»Wohin damit?«, fragte einer. Peter konnte nicht mehr sagen, welcher.
»Ich kenne nur eine Stelle. Aber da müssen wir einige Kilometer fahren.«
»Macht nichts.«
Eine halbe Stunde später befuhren sie, von Stahe kommend, die Neutrale Straße in die Teverener Heide und bogen in einen Weg, der Spuren von Kieslastern aufwies. Wenige Minuten später erreichten sie die Kiesgrube, die seit wenigen Wochen stilllag und zurzeit notdürftig renaturiert wurde. Daran verschwendeten die ehemaligen Nutznießer nie viel Geld.
»Wir müssen ihn nach unten ins Loch schaffen. Hier wird in den nächsten Tagen verfüllt und dann läuft das verbleibende Loch voll Wasser.« Peter deutete nach unten. Der Mond nahm zu und das Licht reichte, alles zu erkennen.
Wortlos rollten die Männer die Tonne nach unten. Sie sahen sich um und fanden zwei Stangen, mit denen sie in den Überhang oberhalb der Sohle stießen. Mit Gepolter stürzten einige Tonnen Dreck in die Tiefe. Das Kapitel Bastian schloss sich.
In den wenigen besinnlichen Augenblicken, die er seinem Verstand zugestand, fragte er sich, wie es so weit habe kommen können, dass sein Gewissen sich nicht meldete. Er kam immer wieder zum Zeitpunkt seiner Initialisierung zurück, die ihn Wochen krankmachte. Gesunden konnte er damals nur, in dem er die Gefühle in seinem Inneren so tief verschloss, dass er nicht mehr an sie herankam.
*
Peter Brock wurde mit verbundenen Augen in einen Raum geführt. Er fühlte sich zehn Jahre in die Vergangenheit zurückversetzt, als er zum zu ersten Mal das Haus der Burschenschaft besuchte. Jedoch heute befand er sich in einer anderen Situation. Er besaß nicht mehr die Unbekümmertheit der Jugend und wusste viel mehr über die Organisation, als damals, was auch nicht gerade zur Beruhigung beitrug. Er spürte, dass ihn jemand beobachtete, und spitzte die Ohren. Kein Laut drang zu ihm. Umso mehr schreckte ihn die Stimme.
»Nimm die Maske ab, Peter.« Ein angenehmer Bariton mit unverkennbar metallischem Unterton. Die Stimme besaß Macht und ... er kannte sie. Er nahm die Augenbinde ab und blinzelte in der plötzlichen Helligkeit. Aus dem Schemen, den er sah, schälte sich eine Gestalt mit spitzer Kapuze, aus der ihn kalte Augen musterten. Die Person trug eine cremefarbene Robe, die die Körperkonturen verbarg.
»Setz dich.« Der Mann deutete auf den Stuhl, das einzige Möbel in dem Raum. »Dein großer Tag ist gekommen. Du wirst heute in den Bund der Wissenden aufgenommen.«
Brock verharrte in unbewegter Miene, während die Gedanken purzelten. Woher kannte er diese Stimme? Er vermutete schon immer eine Macht hinter der Burschenschaft. Doch mit einem solchen Mummenschanz rechnete er nicht. Die Maskerade ähnelte den Ku-Klux-Klan Gewändern. Aber hier gab es keine Schwarzen, oder wie immer man die heute nennen musste. Aber es gab Kommunisten Nazis. Besser hielt er die Klappe.
»Lass dir eine Geschichte erzählen. Unser Schatz ist nicht nur weltlicher Natur, sondern viel mehr. Die Grundlagen dazu wurden vor einhundertfünfzig Jahren gelegt. Kluge Männer schlossen einen Bund fürs Leben, in dem sie Wissen sammeln wollten. Dazu benötigten sie die fähigsten Köpfe des Landes. Was lag näher, als eine Burschenschaft zum Rahmen der Gemeinschaft aufzubauen. Jährlich erfolgte der Auslesungsprozess. In manchen Jahren genügte niemand den Anforderungen, in anderen maximal zwei. Insgesamt schafften es fünf Auserwählte, ich möchte sie Adepten nennen, zu dem Punkt, den du heute erreicht hast. Also alle dreißig Jahre eine Person, statistisch gesehen.
Wir sind keine Ritter des ›Feurigen Kreuzes‹, wenn auch unsere Uniform ähnlich ist. Ich werde Omniscientis genannt, was frei übersetzt Allwissender bedeutet. Einzig und allein ich habe das Sagen und lediglich mir sind die Adepten bekannt. Allein ich entscheide über Strafen bei Verstößen gegen meine Anordnungen. Das Brechen des Schweigegelübdes ist absolut tödlich. Deine Robe liegt dort.« Der Omniscientis zeigte zu einem Bündel in einer Ecke des Raumes. »Bei den Zusammenkünften trägst du dieses Gewand, und zwar nur dieses. Hast du Fragen?«
Peter schüttelte benommen den Kopf. Ihm brannten so viele Fragen auf den Lippen, dass er nicht wusste, wo er beginnen sollte.
»Gut.« Die spitze Haube seines Gegenübers nickte. »Einen Teil unserer Zeit verwenden wir zur Suche nach Schriftstücken. Angeblich liegt der Ursprung bei einem Druiden, der die Fähigkeit besaß, in die Welt der Toten zu gelangen. Die sogenannte Anderwelt. Fünf dieser Papiere haben wir in unserem Besitz. Eines fehlt noch …, es können aber noch zwei oder drei sein, die wir finden müssen. Du wirst dich mit Begriffen wie Samhain oder Hallstattzeit auseinandersetzen müssen, aber das kann ich bei deinem Intellekt und deiner Stellung in der Organisation verlangen.
Noch etwas: Gebe dich nie als Mitglied des inneren Kreises zu erkennen, auch, wenn du noch so sicher bist, dass du einen Adepten vor dir hast. Es könnte tödliche Folgen haben.«
Ehe er sich versah, verschwand der Mensch. Der Spuk ging vorüber, bevor er richtig begann. Unbehagen zog durch seine Knochen. Wie war das in der Literatur? Mann oder Frau verpfändet die Seele dem Teufel und überlistete ihn. Doch hier kam er nicht raus. Zumindest nicht mit List.
Wehmütig wanderten seine Gedanken in die Vergangenheit. Damals wollte er keine