Kurt zählte eher zu den Sozialdemokraten. Nicht dass, was die SPD verkörperte. Jedoch so ein Mischmasch aus Linken, Grünen und Sozialdemokraten. Aus der Suppe müsste man sich einen Parlamentarier mischen können. Über diese Mischung eine klitzekleine Prise Konservatismus der Christlichen. Darüber dachte er häufiger nach. Es wurde immer schwieriger eine Partei zu wählen, weil sie sich kaum noch unterschieden. Die Nichtwähler müssten ein Parteiprogramm erarbeiten. Und jetzt kam die GroKo. Das große Kotzen. Seine Gedanken glitten wieder zu Susanne und er dachte an das Gespräch mit Claudia.
»Hast du so etwas schon einmal gehört?«, fragte er nach Susannes Verabschiedung.
»Ich möchte mich übergeben«, antwortete sie, ohne direkt auf die Frage einzugehen. »Ich kenne Burschenschaften. Besser gesagt, während des Studiums haben wir uns darüber unterhalten. Es war nicht meine Sache. Die meisten sahen es genauso. Für eine Karriereförderung sind sie natürlich bestens geeignet. Ob in der Privatindustrie oder im Öffentlichen Dienst. Kontakte und Förderer kann man nie genug haben. Vitamin B regiert die Welt.«
»Ja ich weiß. Du kannst aber nicht an dem, was Susanne erzählte, vorbei ermitteln.«
»Will ich auch nicht. Doch ich werde sie beschützen. Sie hat mein Wort.«
»Wie willst du das machen?«, fragte er wirklich gespannt, weil er nie so richtig wusste, was in ihrem Job als Nächstes geschah.
»Mehrgleisig. Falls deine Freundin die Einwilligung gibt, werde ich Heinz und Maria einweihen. Maria krieg ich nur mit Gewalt aus dem Büro. Sie kann also im Netz und den anderen Informationsquellen recherchieren. Heinz ist mitten in den Ermittlungen zu den Morden und kann zusätzlich ein Augenmerk auf diese Germanicus legen. Ich habe leider die Sonderkommission am Hals. Vielleicht stoßen die von selbst auf die Spur.«
»Mit anderen Worten, du willst jemandem auf die Sprünge helfen.«
»Jein. Der Staatsanwalt wird den Fall früher oder später an die nächsthöhere Behörde abgeben, wenn wir nicht in den nächsten Tagen einen Durchbruch erzielen.«
»Ich höre mich morgen im Institut um.« Kurt blieb nach dem Studium an der TH. Mittlerweile arbeitete er als Mathematiker für den Staat und freiberuflich als Physiker für die Industrie. Sein Aufgabenbereich fächerte breit und er entwickelte neue Grundlagen für die Raumfahrttechnik. Sein Gehalt bezog er über das Institut. Wie sie den privaten vom öffentlichen Dienst trennten und berechneten, interessierte ihn nicht.
Im Grunde war er auf das Geld nicht angewiesen. Aus heiterem Himmel brach vor einiger Zeit ein Geldsegen über ihn herein. Zwar musste er das Geld mit Leo, seinem behinderten Neffen oder Halbbruder, so genau wusste er das nicht, teilen, doch sie beide konnten es nie in ihrem Leben ausgeben. Das war vor knapp drei Jahren, als drei mysteriöse Leichenfunde in der Heide sein bisheriges Leben auf den Kopf stellte. Die Ermittlungen zu diesem Fall leitete Claudia, die auch prompt bei ihm hängen blieb. Die große Liebe seines Lebens, wie er mittlerweile genau wusste.
»Geh behutsam vor.« Sie konnte es ihm nicht ausreden, das wusste sie. Doch, wenn sein Temperament durchging, machte er mehr kaputt, als sie wieder zusammensetzen konnte.
»Ich bin immer behutsam.« Er umfasste ihre Brüste von hinten. »Auf ins Bett. Dann zeige ich dir, wie.«
Seltsam, dass Susanne sich, nach so vielen Jahren, gerade an ihn erinnerte? Er hielt das Pferd am langen Zügel und überlegte, ob er bei Klaus vorbeischauen sollte. Der alte Kauz besaß eine Hütte im Heidegebiet. Er verschob den Besuch auf später und ritt durch das ehemalige Kiesabbaugelände zur Neutralen Straße. Die Holländer suchten dort eine Tonne, in der ein Toter stecken sollte. Schon seit Wochen buddelten Bagger durch das Gelände. Er erfuhr erst gestern davon und musste heute seine Neugierde befriedigen. Doch schon bald hielt ihn rot-weißes Absperrband auf.
Kurt lenkte den Wallach zurück. Heute war wieder so ein lauer Tag. Viel zu warm für den Spätherbst. Er ritt am Fließsandloch vorbei, wo er vor knapp drei Jahren fast versunken wäre. Seit er Claudia kannte, wurde sein Leben kräftig durcheinander gerüttelt. Was ihm die anderen als Neugierde auslegten, entsprang der Sorge um sie. Nie würde er sich an die Gefahr gewöhnen, mit der sie beruflich umging. Jetzt ermittelte sie wieder in einem beknackten Fall. Und der wurde gefährlich, das spürte er in allen Knochen.
*
Dreizehn
Peter Brock bestand sein zweites Staatsexamen mit Prädikatsexamen und einer Punktezahl von achtzehn. Mehr konnte er nicht erreichen. Einer Karriere, als Staatsanwalt oder Richter, stand nichts im Wege.
Zurückblickend kam dieses überragende Prüfungsergebnis durch die Verbindung zustande. Er musste die letzten Jahre nichts anderes tun, als studieren. Das Stipendium, das er erhielt, war umfassend und nach der Aufnahme in die Burschenschaft, nicht zu erwarten. Neben der, durchaus großzügigen finanziellen Zuwendung, kamen da noch viele andere Anreize, die sein Leben sorglos machten. Aber ebenso geschahen Dinge, die ihn anfangs abschreckten, worüber er sich mittlerweile keine Gedanken mehr machte. Die Burschenschaft vereinnahmte ihn mit Leib und Leben. Im ersten Jahr musste er mindestens zwei Mal in der Woche im Konvent erscheinen. Während dieser Zeit führten sie ihn in die Gepflogenheiten der Verbindung ein. Für die großzügige Unterstützung saugte die Burschenschaft sein Ich, seine Persönlichkeit auf. Die Methoden dazu erschienen anfangs ebenso abschreckend, wie archaisch. Doch mittlerweile wusste er, nur die persönliche Verpflichtung brachte Sicherheit für die gesamte Gruppe und sicherte die Positionen sowie Funktionen in den Machtapparaten der Gesellschaft. Für das große Ziel zählte der Einzelne wenig.
Seine Veränderung kam schleichend und vertiefte sich durch jede Aufgabe, die er für die Verbindung erledigen musste. Mittlerweile kannte er kaum noch Skrupel. Im Anfang war das anders. Nach seiner Initialisierung musste er erbrechen. Zuvor drohte er, an der Aufgabe zu scheitern. Heute wusste er, dass das Hintanstellen der persönlichen Gefühle über sein Leben und seinen Tod entschied. Ja. Richtig. Über seinen Tod. Dafür gab es Beispiele genug. Er dachte an eine entscheidende Begegnung zurück.
»Peter. Schön, dass du dich einmal bei mir sehen lässt.« Der alte Herr begrüßte ihn sichtlich erfreut.
Schauspieler, dachte Peter. Er kam nicht aus eigenem Antrieb, sondern wurde quasi einbestellt. Der alte Herr war gar nicht so alt. Vielleicht Mitte fünfzig. Doch zu den Eigenschaften der Burschenschaft gehörte es, dass die Mitglieder, die im Berufsleben standen, sich so nannten. Er kannte lediglich den Vornamen des Mannes, der in der verborgenen Hierarchie eine einflussreiche Position besetzte.
»Tobias.« Er reichte ihm die Hand. »Ich freue mich auch.« In der Verbindung duzte jeder jeden, um den Anschein zu wahren, dass jeder sich gleich fühlte.
»Wie lange bist du jetzt bei uns?« Tobias musterte ihn wohlwollend.
»Etwas mehr, als ein Jahr.« Er wusste, sein Gegenüber kannte den Tag, an dem er in die Burschenschaft eintrat.
»Wir haben ein Problem.« Es gehörte zu den angenehmen Seiten von Tobias. Er kam direkt zum Kern. »Du erinnerst dich vielleicht. Bastian. Er wurde mit dir geprüft und aufgenommen. Er erwies sich nicht für würdig. Du nimmst die Angelegenheit in die Hand?«
»Ja.« Peter nickte. »Sicherlich.« Aufgrund der ungeschriebenen Gesetze stellte er keine Fragen.
»Gut. Ich habe nichts anderes erwartet.« Der alte Herr wirkte zufrieden. »Das Säuberungsteam wird morgen mit dir Verbindung aufnehmen. Die Herren wissen, was zu tun ist. Jetzt erzähl einmal: Wie läuft es mit dem Studium?«
Zwei bullige Typen holten ihn am nächsten Tag ab. Er bestieg den dunklen Transporter mit einem flauen Gefühl in der Magengegend. Nach wenigen Minuten hielten sie vor einem kleinen Bungalow, ähnlich dem, den auch er bewohnte.
Auf