§V
Die Last der Steuern sei nur geschaffen für die Dummen! Leistungen der Allgemeinheit an Uns, seien reichlich und in edler Weise gewährt. Das garst'ge Wort `Geld´ sei stets verpönt. Vermerk' diese wohlfeilen Mittel stets und getreulich uns'rer erhab'nen Stellung als wohllöbliche `Subvention´. Leistungen, zur Unterstützung der Nied'ren und Bedürftigen, seien stets als `Geld der Steuerzahler´ kompromittiert und aufs schärfste verflucht.
Sie seien fortwährend und mit Vehemenz als Einnahmen aus Leistungslosigkeit gescholten und stets vom Schwefelgeruch der `leistungsfeindlichen Gleichmacherei´ umnebelt!!!
§VI
Verschweige immerdar die Kenntnis über Interna! Eine Befragung hiernach, sei durch Hinweis aufs geringe Gedächtnis abgewehrt. Und sei es, dass die schiere Wahrheit das Licht erblicken möge, so sei Dein allehrbares Zeugnis: Die Lüge! Die Lüge! Die Lüge!
§VII
Treib´ Deine Gegner in endlosen Ruin oder gar Freitod.
Auf dass sie auf ewig ohn' Gefahr seien, sowohl für das Oberdeck, als auch für Deinen Ruhm und Deine Habe.
§VIII
Niemals weiche ab, vom Kurs und der ehernen Haltung des Oberdecks! Ein Verstoß gegen die Regeln sei nicht toleriert! Niemals! Daher bedenke fortwährend: Das Oberdeck ist sich stets gewahr, um Deine „Achilles-Ferse“.
§IX
Wende Dich ab, von jedem der es wagt, gegen diese güld'nen Regeln der ew'gen Macht zu verstoßen! Verfluche jeden, der Zweifel sähet, am System, sowie an Sinn und Erscheinungsbild des Oberdecks.
§X
Lass' Dich Nicht Erwischen!
Blickte man hinab, auf die niederen Ränge, beispielsweise auf Köchmüllers gehobene Fußvolk-Ebene, so wurde offenbar, dass nicht nur er, sondern auch seine ehemaligen Kollegen, sich stets des Folgenden bewusst waren: Gleichgültig, ob man sich als ehrwürdiges Mitglied oder nur als mausgrauer Bediensteter auf dem „Oberdeck des Staatsschiffes“ aufhielt, wer gegen die oben genannten, einfachen Regeln verstieß, offen ein Mitglied der eigenen Kaste anschwärzte, oder, insbesondere, gegen das alles bestimmende „Zehnte Gebot“ handelte, sich also unwiderlegbar inflagranti erwischen ließ, der würde schnellstmöglich über Bord geworfen. Der oder die Verstoßene träfe sodann, binnen kürzester Frist, erneut auf die, zuvor sekttrinkenden, Richter und Staats-Anwälte. - Nun jedoch, für die Gestürzten, aus der unbequemen Position der (fast) Normalsterblichen. Die wenigen endgültig Verlorenen der modernen Aristokratie erwartete, standesgemäß, eine Doppelverurteilung nach dem `Siebten Gebot des Oberdecks´ – „…sicher ist sicher“. Die Hinabgestoßenen trafen nämlich zusätzlich und insbesondere auf die Hofschranzen-Journalisten - diese, grad eben noch „aufstiegsbehilfliche Freunde“, nun zu Kannibalen mutiert – diese diktierten ungerührt, die gesellschaftlich tödlichen Schlagzeilen, während der Verurteilung jener aus dem Olymp Verjagten, wegen Steuerhinterziehung, Drogen-Missbrauchs, Anlage- und Prozess-Betrugs, offener Vetternwirtschaft, korrupter Luxusreisen oder irgendeiner anderen – bisher allseits wohlgeschützten – „Achilles-Ferse“.
Selbstverständlich galten die, aus der obigen Gebote-Liste, abgeleiteten Regeln, in besonderem Maße, für das lebenswichtige Finanzgewerbe und damit auch für Köchmüllers Arbeitgeber und dessen Mitarbeiter. Da ein kleines Rädchen, mit dem Namen Heinrich T. Köchmüller, in diesem Räderwerk, bestehend aus „Wegnehmen und Übertölpeln“, bereits durch das bloße Vorhandensein von so etwas wie Gewissen, Überzeugung und Ehrenhaftigkeit, über die Jahre, immer mehr an diesen Regeln gekratzt hatte, wurde er, bei gutem Gehalt, stets auf Neben-Gleisen gehalten. Eine Karriere als Filial-/Bezirksleiter oder gar Direktor war, mit dieser Grundhaltung, völlig unmöglich, in einem Gewerbe, das, immer sektenähnlicher, an den „…totalen Endsieg…“ der unendlichen Gewinnmaximierung zu glauben hatte.
Ohne die fraglose Durchführung von Anordnungen, auf dem Niveau des Kadaver-Gehorsams, ohne der Huldigung des „Heiligen Ponzi“, ohne diese bedingungslose Grundeinstellung zum Exponential-Prozess, war, im Sprengel seiner Geldbruderschaft, kein Blumentopf zu gewinnen. Offene Häresie gegenüber Gott Mammon - oder sei es nur bloßes, agnostisches Mitläufertum – beides wurde nicht geduldet, in der Welt-Sekte. So bekam Köchmüller, mit Beginn der Finanzkrise, die Rechnung präsentiert:
Bei nächster, sich bietender Gelegenheit, nach fast zwanzig Jahren Unternehmens-Zugehörigkeit, wurde er über Bord geworfen. Aus hochwillkommenen, betriebsbedingten Gründen, sah er sich, fristgemäß, zum 31. März des Folgejahres, vor die Tür gekippt, exakt einen Monat vor seinem Dienstjubiläum.
Mit diesem Ende begann seine Vertreibung und zerbrach sein bisheriges Leben.
In Köchmüllers Ehe kriselte es schon seit geraumer Zeit. Sein Rauswurf, aus der Bank, hatte diese Entwicklung beschleunigt. Die fünfmonatige Kündigungsfrist, zwischen Anfang November und Ende März, verstärkte die bereits zuvor begonnene Drift in verschiedene Richtungen. Seine Frau ging arbeiten, ihren Hobbies und gesellschaftlichen Verpflichtungen nach, alles, offensichtlich, unbeeindruckt von Köchmüllers Entwicklung. Für ihn, jedoch, war die Situation neu und ungewohnt. Mit der Entgegennahme der Arbeitszeugnisse war er, schlagartig, vom Dienst und somit, das erste Mal in seinem Leben, von jeglicher, von außen, vorgegebener Struktur freigestellt.
Elke, sein ihm angetrautes Weib, eine geborene Schonhoff, arbeitete als Landesbeamtin im höheren Dienst. Sie war die stellvertretende Direktorin des örtlichen Gymnasiums. Ihre nebenberufliche Tätigkeit als Stadträtin, nahm, auch bedingt durch ihre Ambitionen auf die politische Landesebene, einen immer größeren Raum in ihrem Leben ein. Durch ihren wohlhabenden familiären Hintergrund gehörte sie auch den notwendigen Clubs in Stadt und Region an. Sie war knapp fünf Jahre jünger als Köchmüller, trug ihr gelocktes, dunkelbraunes mittellanges Haar offen. Insgesamt würde man, dem ersten Eindruck ihrer Ausstrahlung folgend, ihr die Rolle der umschwärmten Landadeligen, in einem plüschigen Landschaftsdrama, überlassen. Wer, jedoch, die Möglichkeit bekam, sie näher kennenzulernen, der erkannte, sehr schnell, ihre durchsetzungspotente Kinderstube. Sie war, wenn es darauf an kam, ihren Geschwistern ebenbürtig, eine toughe Geschäftsfrau in eigener Sache.
Die Kinder, Michelle, dreizehn Jahre, und Michael, elf Jahre jung, gingen beide in die rund 1.500 Schüler umfassende, altehrwürdige Lehranstalt, deren Vize-Chefin die eigene Mutter war.
Die Familie lebte in einer 420m²-Villa. Zweieinhalb Etagen, umgeben von über 6.500m² Garten. Sie zahlten eine sehr günstige Miete, für die generalsanierte, ehemalige Firmenzentrale. Vermieter war eine der verwinkelten Bau- und Liegenschaftsgesellschaften des Schonhoff-Konzerns.
Das fünfte „Familien-Mitglied“ war Schnuffi, der Golden Retriever. Sein Lebensmotto: >Leckerlis: Ja – Wachhund: Nein.<
In Elkes Verwandtschaft, dem Schonhoff-Clan, spielte, seit sechs, sieben Generationen, Geld wahrlich keine Neben-Rolle. Im Gegensatz dazu: Köchmüllers Elternhaus. Wie Elke heute, so waren seine Eltern, ehedem, ebenfalls Beamte. Doch damit erschöpften sich die gesellschaftlichen Gemeinsamkeiten auch schon restlos. Es gab und gibt nämlich Beamte und Beamte. In Elkes Stammbaum waren, neben Unternehmer-Persönlichkeiten, diese Art der „edlen Amtsträger“ zur Genüge vertreten: Stabs-Offiziere, Staatssekretäre, Botschafter, Professoren, ein Oberbürgermeister und sogar ein General, etc. Personen, die „...früher oder später aufgehängt wurden, in Essig und Öl, mit Goldrahmen...“ wie Köchmüller Senior über die Familie seiner Schwiegertochter stets zu spotten wusste.
In Köchmüllers Sippschaft waren es Arbeiter, mittlere Angestellte und Staatsdiener; wie sein Onkel, der als Brandinspektor und Wachleiter der örtlichen Berufsfeuerwehr seinen aufreibenden Schicht-Dienst, im Bewusstsein seiner Leistung für die Allgemeinheit, doch nur knapp ein