Köchmüller hielt seine Bierflasche grüßend hoch. „Ein Prosit auf das perfekte Verbrechen, inmitten des einäugig gehaltenen Rechtsstaats!“ Zwar verbiss er sich namentliche Nennungen, zur Untermauerung seiner Positionierung zu „…diesen Arschlöchern…“, die auch bei seinem ehemaligen Arbeitgeber ein- und ausgingen. Auch verschwieg er, ihm wohlbekannte, direkte Beziehungen zwischen Abzockern einerseits und, andererseits, ihm persönlich bekannte Vertreter der selbsternannten, hochglanzpolierten Nobel-Journaille.
Yellow-Press-Berichterstatter, die, zu allem Überfluss, die dreisten, nicht selten aus Steuertöpfen finanzierten Jubelfeiern der Lorbeer-überschütteten Abzocker, für das untertänig zuschauende Fußvolk ins rechtschaffende Licht einer so genannten Spenden-Gala rückten.
„Wer spendet hier wem?“, war seine spöttische Frage, wenn er entsprechende Fotos erblickte, „Die Abzocker dem guten Zweck? Oder berappt der Steuerzahler das Doppelte und Dreifache für die Glitzer-Partys am >Loch Neunzehn< und für das Hummer-Wettfressen zu Gunsten der armen Negerkinder??? Ausgerichtet von den - als gemeinnützig deklarierten - Luxus-Vereinen!“
In Wirklichkeit - so seine, auf eigener Anschauung basierende, Feststellung in der geselligen Runde der Auto-Bastler - in Wirklichkeit sei das Erklingen der goldgeränderten Sekt-Gläser nur das unverfängliche Erkennungszeichen, auf dem Promenadendeck des Staatsschiffs, gerichtet an diejenigen, die wahrlich von allem befreit seien. In der Endphase seines Anstellungsverhältnisses, am Tage des Erhalts seines Kündigungsschreibens, im Kreise der Autoschrauber, auf seinen Standpunkt angesprochen, ließ er sich die Klarstellung nicht nehmen:
„Dort oben schmeichelt der Duft von Geld und übergesetzlicher Macht. Dort weht er, der vielzitierte >Wind der Freiheit<. Das von höchster Stelle gelobte Flair der wahren Freiheit der Wenigen. Wohlwollend aufgebaut auf karibischen Postfach-Betrieben, geschützt durch Spezelwirtschaft, wird die Maximierung von Anlagebetrug und Steuerhinterziehung betrieben; bis hin zu Sozialbetrug und Lohnunterschlagung, bei den Wehrlosen, den Eingeschleppten, den scheinselbständigen Schwarzarbeits-Sklaven auf halbstaatlichen PPP-Großbaustellen. Dort, auf dem Oberdeck, das könnt ihr mir glauben, dort herrscht sie generell nicht mehr, die stickige Enge von >Recht und Gesetz< in unserem Sinne. Jenes bleierne Korsett für uns, die wir hier sitzen. Das Stachelhalsband, geschmiedet aus Gesetzesschlüsseln, gilt nur für uns, die gängelungsbedürftigen, subalternen Frauen und Herren Jedermann, ohne goldene Fahrkarte In deren Kreisen zählt nur noch jener Leitsatz, der für diejenigen gilt, die sich als wirkliche Leistungs-Elite wähnen, das so genannte >Zehnte Gebot des Oberdecks<“.
Und wenn dieses „Zehnte Gebot“ einmal nicht anwendbar sei, so zücke man eben hemmungslos, vor Gericht, das Scheckbuch und erkundige sich ungeniert bei Staatsanwaltschaft und Richter nach dem Preisschild, am bequemen Urteil für die Passagiere in der allerersten Ober-Klasse. Köchmüller, in Imitation einer merklich schweren Zunge:
„Sind 100Mio. genug, Herr Richter? Ist ja auch viel Geld, Herr Richter! Für Sie! Und das Fußvolk! Prosit, Herr Richter…! Aber… pschschschttt… mir bleiben ja die restlichen 900Mio., Herr Richter! Pschschttt… Wir sehen uns dann… - morgen… – nach dem Rennen… - auf meiner Yacht, Herr Richter!“
Er habe mehrfach die ungewollte Gelegenheit gehabt, zu sehen, wer in diesem freiheitlichen Ambiente bedenkenlos aufeinandertreffe. Wie man sich ebenso völlig unbefangen mit Despoten unterhielt, die ihr gestohlenes Geld sicher gebunkert hatten, wie mit hochbetagten Alt-Nazis, die auf diesen „Hähnchen-Feder-Partys“ stolz ihre Orden trugen; sowohl das anrüchige Blech aus der Zeit vor, als auch jenes aus der „...hoffentlich nur vorübergehenden, führungslosen Phase nach dem schmachvollen Zusammenbruch...“ „So reden die, wenn sie sich unter Ihresgleichen befinden. Den - zurzeit - anrüchigen Teil der Abzeichen tragen diese Tattergreise zeitweise verdeckt, auf der Innenseite des Jacketts, den anderen stets offen vor der Brust“, fügte er hinzu. „Die Jüngeren, die Gegelten unter den Anwesenden blicken geflissentlich darüber hinweg. Ein nicht unbedeutender Teil schaut gar ehrfürchtig und neidvoll. Aber Widerspruch: Fehlanzeige! - 's Maul aufmachen, Gewissen zeigen ist dort nun wirklich die falsche Stelle. Kostet nur Renommee, Umsatz, Beförderung, Geld.“
Alle, auch die in betrogener Gefügigkeit dienenden Unter-Decks, wüssten in einer ihm unbegreiflichen Selbstverständlichkeit um die „Gesamtkollektion in Blech und Korruption“. Viele der indirekt Geplünderten, viele von denen die ihre Kinder in verfallende Schulen schickten oder sich über gekürzte Zuschüsse für das Stadtbad wunderten oder „sozialverträglichen Massenentlassungen“ zum Opfer gefallen waren, bewunderten ihre eigenen Schlächter und Abzocker auch noch voller Debilität in Unterhaltungs- und Talkshows. Ja, sie applaudierten diesen „Unantastbaren“ auch noch, ob deren „…gewissensfreier, gewindehälsiger System-Flexibilität.“ Köchmüller betonte, dass er auch aufgrund seiner angeheirateten, familiären Bindungen, hinreichende, wenn nicht sogar im Übermaß, Möglichkeiten gehabt hatte, um mit eigenen Augen die widerwärtigen Siegesfeiern dieser Freibeuter zu betrachten.
Egal, ob diese Herrschaften nun irgendwelche akademischen Grade ergaunert, Kleinsparer ruiniert, öffentliche Großbauten zu ihren Gunsten sabotiert, Steuern hinterzogen, Gerichtsurteile erkauft, oder gar Menschen verschachert und Kindersklaven für sich, in Rohstoffminen bis zum Tode hatten rackern lassen. Egal, ob sie ganze Völker mit Waffen versorgt hatten, damit diese sich in unzähligen, angezettelten Bürgerkriegen gegenseitig abschlachten konnten, um letztlich – als das eigentliche Ziel - in aller Seelenruhe, von den Überlebenden, die Bodenschätze stehlen zu können. „Das ist denen völlig egal! Kinder als Minenarbeiter! Völlig egal!“, stellte der Ex-Banker Heinrich T. Köchmüller nach der dritten Flasche Bier, nun mit wahrlich belegter Stimme fest.
„Beim gewissensbefreiten Raffen, ist stets das >Zehnte Gebot des Oberdecks< einzuhalten, um als ein höchst ehrbarer Leistungsträger der all-erhabenen Indemnitäts-Gesellschaft zu gelten...“
Das oberste Gebot... – es umfasste, nach Köchmüllers Meinung, nur vier Worte:
„Lass' – dich – nicht – erwischen!“
Heinrich T. Köchmüller hatte sie einmal notiert; hatte sie aus seiner Sicht zusammengestellt, die
„Zehn Gebote der ehrbaren Leistungsträger“
Jenes Grundgesetz, das jedem Neuankömmling und Bediensteten auf dem Oberdeck, in ungeschriebener Form umgehend verdeutlicht wurde.
Und wehe der oder die Neue hielt sich nicht daran!
Waren diese Regeln doch so einfach zu befolgen:
§I
Du sollst niemals einem and'ren die Hand in wahrer Freundschaft reichen, als jenen, denen es ebenfalls in eitlem Häufen und Haben gelungen ist, das Oberdeck des Staatsschiffs zu erreichen! Hier kennt man einander, hier hilft man einander.
§II
Ehre den Gewinn und die Rendite, damit Du und die Deinen lange leben, auf dem Oberdeck! Doch fürchte, auch Du, die Regel für alle Decks: `Was und wer sich nicht rechnet, muss weg!´
§III
Stets wohlwollend neiget sich Justitias Waage auf uns're Seite. Aus uns'rem Bestand sei ihr auch das Schwert geliehen. So eigne Dir, in ihrem Schutze, an, ohne jede falsche Scham. Dein Wunsch sei Befehl. Gott Mammon ebne Dir dazu den Weg. Entbehrung sei das allzeit gerechte Los der Nied'ren. Auch berappe nur, wenn Dir jeder and're Weg versperrt. All, was dein Begehr – Grundstück, Maschine, Arbeitskraft, Eigentum jeglicher Art – nimm nach Bedarf.Doch nimm nur und ausschließlich von den nied'ren Decks!
§IV
Lass', wer des Oberdecks nicht würdig, durch Dein verbrieftes Recht arbeiten, an sieben Tagen in der Woche, zu jeder Zeit, das ganze Jahr.