Doppelspitze. Gerhard Weis. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerhard Weis
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847691327
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meiner besten Freunde meine Grundüberzeugungen in Frage stellte. Spontan entworfene Wortkonstrukte wie »schVIPs« konnten mir schon einmal aus dem Mund flutschen und die nicht selten beleidigten Adressaten derselben den Buckel runterrutschen. Insbesondere dann, wenn ich selbst ein bisschen beschwipst war. Das konnte bei einem Sportsmann wie mir recht schnell der Fall sein. Mein Schwellenwert lag, ganz im Gegensatz zu dem meines Kumpels Hoss, deutlich unterhalb einer Kiste Stubbis. Im Falle der »schVIPs« legte ich Wert auf die Feststellung, dass die feinen Leute das »sch« meist nur zuhause, dann aber gerne inflationär in den Mund nehmen.

      »SCHEISSE, SCHEISSE, SCHEISSE!« Dieses Mal war ich es, der daheim den Worthahn aufdrehte.

      Der Grund für meinen Wutausbruch waren die höllischen Schmerzen ein Stück weit unterhalb meines Os coccygis. Sie schienen nicht wie sonst einfach wieder verschwinden zu wollen. Als die Quälerei nach mehreren Dutzend Vater unser und fast ebenso vielen Gegrüßet seist du Maria schließlich doch noch ein – vorläufiges – Ende gefunden hatte, bat ich den Herrgott für all die üblen Gedanken, die mir während meiner gut zweieinhalbstündigen Pein durch den Kopf geschossen waren, um Vergebung. So schlimm wie dieses Mal waren die bösartigen Attacken auf mein Wohlergehen aber auch nie zuvor gewesen. Ich hatte mich auf nichts mehr konzentrieren, nicht einmal mit wachen Sinnen lesen oder fernsehen können. Bei all dem Missgeschick befiel mich wegen meiner unfreiwilligen Faulenzia obendrein ein schlechtes Gewissen. Eigentlich wollte ich an diesem Nachmittag mit Daisy durch den Wald joggen und anschließend einigen Damen in ihrem begrüßenswerten Bemühen, Bauch, Beine und Po wieder in Form zu bekommen, behilflich sein. Daisy und ich drehten fast jeden Tag unsere Runden. Was andere als Sauwetter bezeichneten, konnte uns nicht hindern. Regen, Schnee und Kälte hatten zudem den Vorteil, dass die Heerscharen verweichlichter Frauenleiber, die neuerdings an zwei Krücken lahmarschig durch die Gegend geschoben wurden, der Natur fernblieben.

      »Ja gehts noch, du Hirni? Lebst du hinterm Mond? Wir ›worken nordisch‹, das verbraucht viel mehr Kalorien als dein blödes ›Tschoggen‹ und trainiert außerdem den Rücken!« So ungefähr lautete die entrüstet vorgetragene Replik zweier pummeliger Gestalten, als ich im Erbacher Forst beim Überholen kurz anhielt und höflich fragte: »Ja sagt mal, ihr zwei Hübschen, warum geht ihr im Hochsommer mit Skistöcken – aber ohne Helm – spazieren?«

      Nordic-Walking! Die größte Erfindung der Leibeserziehung seit Callanetics ward zum Volkssport ausgerufen. Leistungsfähige junge Frauen, sogar das ein oder andere verweichlichte Mannsbild, waren zu jämmerlichen Memmen mutiert. Dass die sich nicht schämten! Ich hätte diesen Schlappschwänzen nur zu gern einen Termin bei Felix Magath gemacht.

      »Mensch, Hoss, stell dir mal vor, die Gold-Rosi hätte schon in den Siebzigern ›nordisch geworkt‹, heimlich womöglich. Dann wär sie in Innsbruck auch im Skilanglauf unschlagbar gewesen. Ich lach mich gleich tot. Neureuther-Mittermaier, die nordische Kombination gekünstelten Perma-Lächelns. Eher hat der Rote Baron in der Besenkammer nach Nutella gekramt, als dass die beiden tatsächlich glauben, was sie der Nation über Nordic-Walking verklickern.«

      »Die Rosi ›workt nordisch‹, weil es ihr Freud macht, Finger.«

      »Von wegen Freud macht, Hoss. Alles nur Show! Bei der läuft außer dem Ski nix. Die ist längst durchschaut. Weißt du was ein Düsseldorfer Werbefuzzi unmittelbar nach Innsbruck über das weibsgewordene Frohlocken von der Winklmoosalm gesagt hat?«

      »Nein, schieß los, Finger!«

      »Die Gold-Rosi sei werbepsychologisch eine absolut heiße Type, könne Millionen verdienen, habe Muhammad-Ali-Format. Sie lache andauernd und die ganze Welt möge sie. Die Rosi würde sich für alles eignen. Von der Tiefkühlkost bis zur Zahnpasta und Fremdenverkehrswerbung, von Kuwait bis zum Sunset Boulevard. Nur mit dem Sex-Appeal hapere es ein bisserl. Stand alles im Spiegel. Recht hat er gehabt, der Herr Wilp. Dieser Nordic-Walking-Quatsch dient doch nur dem Fremdenverkehr und dem Portemonnaie einiger Leute!«

      Ich vermutete, dass die meisten dieser neuen Sportskanonen über schlechtes Wetter nicht besonders traurig waren und stattdessen die Gelegenheit nutzten, sich leckere Buttercremetörtchen in ihre austrainierten Plappermäulchen zu schieben. Ohne Punkt und Komma quasseln, die armen Tiere im Wald mit einem Dauerfeuer verbaler Dumm-Dumm-Geschosse verschrecken. Das, aber keine Spur sportlicher Würde, zeichnete die »Nordisch-Worker« aus. Von wenigen löblichen Ausnahmen abgesehen: Menschen, die eine Alternative zum Rollator suchten. Nicht einmal ein schlechtes Gewissen mussten sie haben. Schließlich wurde diesen Schlaffis von allen Seiten eingetrichtert, ein von Skistöcken flankiertes Schneckentempo benötige mehr Kalorien als Joggen. Die Brigitte, die Tina, die Petra, die Lisa, selbst die Freundin der Bunten wusste Bescheid. Sollte das Bild der cosmopoliten Frau im Spiegel vital, en vogue, maximal glamour sein, dann gab es FürSie nur eins: Nordic Walking!

      Gespült wurden die für die nächste Trainingseinheit benötigten Energiespender aus der Konditorei mit Latte. Wahrscheinlich der einzigen, deren Konsistenz in der Gegenwart solcher Amazonen überhaupt möglich war. Latte war schwer angesagt, nicht nur bei den Watschelentchen. Eine stinknormale Tasse Kaffee tranken nur noch die wenigsten: Kerle wie die Saardéros. Die Gala- und Bella-Leserinnen wollten unbedingt eine Latte, den Milchschaum derselben von ihren aufgespritzten Lippen züngeln. Auch diejenigen unter ihnen, welche selbst in der Rentnerklause von Latten nur so umzingelt gewesen wären. Obwohl es dort nur Stubbis und Malzbier im Ausschank gab.

      Als verantwortungsbewusstes Herrchen hatte ich in der letzten Zeit unser Laufpensum merklich reduziert. Daisy zuliebe. Und, wenn ich ehrlich sein soll, auch ein kleines bisschen mir. Die vielen Kilometer schienen mir nicht mehr gut zu bekommen, warum auch immer. Der Arzt hatte dafür keine Erklärung. Er war der Ansicht, Joggen könne in meinem Fall keineswegs schaden. Die arme Daisy dagegen hatte nicht nur zeitlebens Probleme mit ihrem Verdauungstrakt, sondern auch mit den Hüften. Das war typisch für Deutsche Schäferhunde. Durch ein idiotisches Zuchtverhalten vermeintlicher Tierfreunde wurden sie zum Zwecke eines schwachsinnigen Schönheitsideals hintenrum tiefergelegt und somit im Laufe ihres – oft viel zu kurzen – Lebens unnütz gequält. Madame und ich hatten Daisy nach einem Sonntagsspaziergang behalten. Ihr sichtlich erleichterter Vorbesitzer wurde ausbezahlt. Die neun Monate alte Hündin bereicherte fortan unser Leben. Auch wenn ihre Anatomie den beknackten Ansprüchen mancher Hundesportler nicht genügte.

      Statt mit Daisy leichtfüßig durch den Wald zu flitzen, lag ich schwer gebeutelt auf dem Sofa. Der bumsfidele Lebenskünstler Giselher Finger war zu einem Häufchen Elend mutiert und hatte die Faxen dick. Wars das wirklich schon jewääse, das donnernde Lääve? Waren die schönen Zeiten etwa ein für allemal vorbei? Jetzt schon? Ich war doch erst Anfang vierzig, gut trainiert und, wie ich annahm, auch in der Birne bestens in Schuss.

      Dieser Nachmittag war noch qualvoller verlaufen, als ich es wegen meiner Beschwerden je für möglich gehalten hätte. Gott sei Dank hatte ich nichts Schlimmeres, Darmkrebs oder so. Das hatte der Arzt nach einer Darmspiegelung ausgeschlossen. Aber meine Lebensqualität hatte ganz schön Federn gelassen. Wenigstens wusste ich jetzt, wie sich ein Einlauf anfühlt. Ich war tagelang am Überlegen gewesen, ob es der meinem Dings abgewandten Seite dieses Jahr vielleicht besser täte, wenn ich zu Hause bliebe. Die Wandertour mit meinen Freunden stand gewaltig auf der Kippe. Seit geraumer Zeit hatte ich mit den Folgen eines völlig überflüssigen Gebarens zu kämpfen. Etwas, worüber man nicht gerne spricht, was einem hochnotpeinlich ist. Wer über Jahrzehnte – wohlgemerkt ohne Not! – auf einen permanent leeren Verdauungstrakt besteht, bekommt irgendwann die Quittung. Manchen Ballast sollte man keinesfalls überhastet loswerden wollen. Probleme mit den arteriovenösen Gefäßpolstern könnten die unangenehme Folge dieses Bedürfnisses sein. Intelligente Menschen vermeiden Druck. Zu denen zählte ich nicht! Ich war ein Klugscheißer, der sein Leben lang gepresst und jetzt die Konsequenzen am Arsch hatte. Selber Schuld!

      Die nötig gewordenen Behandlungen beim Proktologen konnten mir gar nicht gefallen. Bei der ersten fiel ich sogar in Ohnmacht. Das muss man sich mal vorstellen. Ich, Giselher Finger, Steelball und Senior Member der Saardéros, angeblich härter als jeder US-Navy-Seal, kippte einfach so um. Nur weil etwas Fremdartiges in meinem Hintern Einzug gehalten hatte. Das war mir ausgesprochen peinlich. Dabei meinte es der Onkel Doktor bestimmt nur gut, als er seinem