INPRAXI. Kristina Marie Edwards. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Kristina Marie Edwards
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742718761
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Als der schmale Streifen feinen Sands endlich vor mir lag, hätte ich mich am liebsten sofort hineingesetzt. Aber ich zwang mich, aufrecht zu stehen, aus Furcht, ich käme nicht wieder hoch. So kurz vorm Ziel und doch verendet wie ein waidwundes Tier? Nur ein paar Schritte noch zum Ziel! Siehst du, wie das Licht mit den Wellen spielt? Sie rufen dich! Komm, spiel mit uns! Die Gedanken drehten sich im Kreis. Mein Körper schien nicht mehr er selber zu sein und doch machte ich Schritt um Schritt, schlurfte und stolperte mehr, als dass ich lief, bis ich unsanft zu Boden ging - mit dem Kopf voran, Arme und Beine weit von mir gestreckt. Mein Schädel brummte, wie nach einer durchzechten Nacht. Etwas Feuchtes lief mir in Nase und Mund. Vermutlich hatte ich mich beim Sturz verletzt. Trotzdem sog ich es gierig auf, mochte es Blut sein oder auch nicht. Es wäre nicht das erste Mal. Als Junge war ich oft genug gestürzt. „Kein Kind produziert so viel Blut, wie du“, hatte meine Mutter immer gesagt. Ich erwartete einen dicklichen, süßen Geschmack im Mund, aber die Flüssigkeit war erfrischend und klar. Abgesehen von einigen Körnern Sand. Ich drehte mich ein wenig herum, so dass ich auf dem Rücken lag. Die Sonne stand hoch über mir. Wohlige Wärme überzog mein Gesicht, während ich halb im Wasser lag. Kleine Wellen kräuselten meinen Körper entlang. Ich wünschte, ich läge für immer hier! Immer wieder schöpfte ich Wasser mit meiner Hand. Zunächst zu viel, so dass ich heftig zu husten begann. Meine trockene Kehle war das Schlucken nicht mehr gewohnt. Danach führte ich es behutsam an meine Lippen heran, von wo es Tropfen für Tropfen in den Mundraum rann. Ganz allmählich kehrten meine Sinne zurück. Wie viele Stunden mochten vergangen sein? Jedoch - ich fühlte mich herrlich erfrischt, wenn auch schwach. Die Sonne verlor bereits an Kraft. Die Schatten der Bäume krochen auf mich zu. Ich spürte, wie ich wieder zu frieren begann. Ich musste aus diesem Wasser heraus! Vorsichtig setzte ich mich auf. Der erwartete Schwindel blieb aus. Hatte die Angst vorm Verdursten die letzten Tage dominiert, so war es jetzt der Gedanke an Essen und Unterkunft. Vielleicht gab es hier Beeren oder Moos. Ich hatte gelesen, dass Moos durchaus essbar war. Zum meinem Leidwesen entdeckte ich von hier aus jedoch nur Farne und dichtes Gehölz. Als Kind hatte ich wilde Erdbeeren geliebt. Nun wären schon Brennnesseln und Sauerampfer ein Traum - falls es die hier überhaupt gab. Heute allerdings war ich zu schlapp dafür. Ein Gewaltmarsch am Tag war mehr als genug. Entschlossen blickte ich mich um. Die Bäume am Ufer boten sicher Schutz für die Nacht. Auf eine weitere kam es nicht an, jetzt wo Wasser in der Nähe war. Der Sand schien mir als Schlafplatz nicht angebracht. Womöglich kamen nachts wilde Tiere her. Trotzdem glitt mein Blick weiter das Ufer entlang. Die Wellen spülten nach wie vor sanft über das Land. Ihr gleichmäßiges Plätschern strömte Ruhe aus. Eigentlich gehörte ein Boot auf diesen See. Auf und ab und auf und ab. Fast konnte ich es vor mir sehen. Ich hörte das Schlagen von Rudern und Stimmen im Wind.

      „Aaron, schaukel nicht so wild! - He, du spritzt mich ja ganz nass!“

      Das helle Lachen klang ganz klar zu mir her.

      Dann verschwand es so schnell, wie es gekommen war. Ich begann bereits zu phantasieren. Höchste Zeit, dass ich morgen etwas Essbares fand. Und doch blickte ich wieder am Ufer entlang. Die Dämmerung brach ganz allmählich herein. Bald würde der Mond am Himmel stehen und ich saß noch immer hier im Sand. Die Schatten der Bäume nahmen bizarre Formen an und warfen seltsame Muster hinaus auf den See. Fast war es, als grinsten sie mich an. Dort der Schatten sah aus wie ein Bär und der dahinter wie ein Zirkuszelt. Noch ein Stück weiter lag ein Boot halb am Strand. Ganz deutlich konnte ich die Ruder sehen. Es sah so aus wie in meiner Phantasie. Es würde wohl auch nichts anderes sein. Und doch hörte ich das Knarzen des Holzes im Sand, das Schlagen der Wellen gegen den Bug. Ich schloss die Augen für einen Moment, vernahm nur meinen Herzschlag und den Atem, der gleichmäßig ging. Wenn ich gleich wieder auf den See hinaus sah, würde das Boot sicher verschwunden sein.

      Doch es war noch da!

      Leicht umspülten die Wellen den hölzernen Rumpf, leckten schlürfend über den nassen Sand und zogen sich wieder zurück in den See. Tausend Gedanken schossen mir durch den Kopf, in der Hoffnung sie wären alle real. Wo ein Boot war, mussten Menschen sein! Wo Menschen waren, war Hilfe nicht weit! Nur - wo waren diese Menschen jetzt? Vielleicht kamen sie nur im Sommer hierher? Jetzt war bereits Herbst. Bleib ruhig, Kai-Konrad, ermahnte ich mich. Bleib ruhig und gelassen und atme tief durch! Wenn DU die Menschen nicht siehst, können sie DICH vielleicht hören! Jetzt zeige, was deine Stimme kann! …. Aber - sie konnte nichts!

      „Hallo! - Ist da jemand?“ brüllte ich laut.

      Oder zumindest dachte ich, ich würde es tun. Das heisere Krächzen, das meiner Kehle entrann, hätte noch nicht einmal einem neugeboren Papagei zur Ehre gereicht. Hastig schöpfte ich ein wenig Wasser in meinen Mund. Kein Wunder, wenn die Stimme nach drei Tagen im Wald ein wenig eingetrocknet war. Entschlossen räusperte ich mich und versuchte es gleich noch einmal.

      „Hallo! - Ist jemand da?“

      Nicht, dass ich eine Antwort erwartet hätte, aber ein wenig besser klang das schon.

      Und doch machte sich Enttäuschung in mir breit. Ich hatte die Stimmen noch deutlich im Ohr. Ein Mann und eine Frau in einem Boot - in diesem Boot.

      „Aaron, schaukel nicht so wild! - He, du spritzt mich ja ganz nass!“

      Nein, es war keine Halluzination! Der Mann war real! Die Frau hatte ihn beim Namen genannt - sie schienen übermütig und jung. Wo mochten sie nur geblieben sein? Das Boot dort am Ufer war definitiv leer. Vielleicht war ich weggenickt, als sie kamen und sie selber hatten mich nicht bemerkt. Wieder hatte ich das helle Lachen der Frau im Ohr. Sicher waren sie versunken in ihre eigene Welt - frisch verliebt und mit sich allein. Da dachte man nicht daran, was um einen geschah. Ganz dunkel erinnerte ich mich an dieses Gefühl. Es war wirklich schon verdammt lang her. Langsam zog der Mond über Wald und See und beleuchtete das Boot. Mein Verstand sagte mir, mich in den Wald zurückzuziehen, bevor die Nacht gänzlich um sich griff, und doch zog mich dieses Boot geradezu magisch an. Ich musste einfach dorthin! Ich musste es riechen und fühlen und notfalls auch schmecken, wie das Laub im Wald, um zu sehen, dass ich nicht doch verrückt geworden war. Was also hielte mich davon ab? Die Zeit? - Ich hatte alle Zeit der Welt - nur bestimmt durch Sonne und Mond und den Wind, der um mich strich.

      Mein Fuß? - Dem schien es schon wieder weitaus besser zu gehen - jedenfalls besser, als noch zwei Tage zuvor. Ein Dauerlauf am Ufer entlang, wäre zwar definitiv noch zu viel, aber langsamen Schrittes - ja, doch, das würde schon möglich sein.

      Behutsam setzte ich Fuß vor Fuß, immer das sanft schaukelnde Boot im Blick, aus Furcht, es könne verschwinden, wenn ich es aus den Augen verlor. Aber es verschwand nicht, auch wenn es mir wieder wie Stunden schien, bis ich gänzlich bei ihm angelangt war. Erleichtert stützte ich mich auf der Reling ab. Das Holz fühlte sich gut an! Rau und lebendig - durchdrungen von einem Geruch aus Wasser und Teer. Es dauerte einige Augenblicke, bis ich wieder zu Atem kam. Das Mondlicht glitzerte auf dem See, während der Wald gänzlich im Dunkel lag. Dorthin zog es mich heute Nacht nicht mehr zurück. Auch wenn der Sand weniger Schutz bot, als ein Blätterdach, so würde das Boot es sicher tun.

      Und ich wurde nicht enttäuscht.

      Eine Plane zog sich sorgfältig vom Heck bis zum Bug. Zumindest daran hatten die jungen Leute gedacht. Vorsichtig öffnete ich den ersten Verschluss. Wenn ich einen Teil auf den Boden legte, konnte ich den anderen beim Schlafen um mich ziehen. Bequem und warm wäre das sicherlich nicht, aber immer noch besser als die Nächte im Wald. Zudem hatte ich vom Schlafen im Sitzen genug. Bedachtsam löste ich Verschluss um Verschluss. In der Mitte des Bootes beulte die Plane ein wenig aus, als ob dort noch etwas verborgen lag. Ein Tier vielleicht in seinem Unterschlupf? Vorsichtig tippte ich mit den Fingern darauf. Bewegen jedenfalls tat es sich nicht. Falls überhaupt ein Lebewesen, hoffte ich, dass es nicht verendet war. Obwohl - wie sollte es verendet sein, wenn das Boot noch kurz zuvor auf dem plätschernden See…

      „Hej, Aaron - lass das endlich sein!“

      Die Stimme der Frau war wunderschön! Ich stellte mir ihr Lachen vor. Sicher hätte es gut in diese Mondnacht gepasst.

      Mit einem Ruck zog ich