Sandors Figurenspiel. Peter Maibach. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Maibach
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847615699
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etwas älter als du. Aber sie steht mit beiden Füssen auf dem Boden. Apropos, nicht schlecht, was, Herr Kunststudent? Appetitlich, äusserst angenehme Erscheinung», Hans grinste, «und klug!»

      «Ja, sie hat ein Semester bei Professor Etter studiert, so wie ich», warf ich ein. Hans klopfte mir anerkennend auf die Schulter. Ich blickte warnend, Ludmilla kam zum Tisch zurück. Hans verschwand wieder in seinem Reich hinter den klirrend nachschwingenden Küchentüren.

      «Über unschuldige Mädchen herziehen, so geht das bei euch Männern!», lachte Ludmilla. Der Wirt brachte eine weitere Flasche Gigondas. Als er mit der leeren Flasche wieder weggeschlurft war, strich Ludmilla mit einer weiten Geste das Tischtuch vor sich glatt, als wären dort Krümel wegzuwischen. «So, Sandor, Enkel des Xavers, diese Flasche ist meinem Plan und uns beiden gewidmet.»

      Ich muss überrascht aufgeschaut haben.

      «Ich weiss, es scheint vielleicht etwas roh, so kurz nach einer Beerdigung schon Zukunftspläne zu schmieden, ich gebe es zu, und es tut mir auch echt Leid. Aber siehst du, Sandor, dort vorne am Stammtisch sitzen die Gierigen. Sie warten nur darauf, dich über den Tisch zu ziehen. Bestimmt hat dir der Bürgermeister von seinem Museum erzählt. Und vom erhofften touristischen Aufschwung? Von deiner Kindheit im Dorf? Dankbarkeit, Ehre, auf immer und ewig?»

      Ich musste grinsen, nickte aber nachdenklich. «Hans ist derselben Ansicht.»

      «Hans versteht sehr gut, worum alles geht. Er, Grossvater und ich sassen oft beisammen. Grossvater wünschte, dass wir drei Jungen zusammenhalten würden. Gemeinsam schafft ihr es, pflegte er unsere Gespräche zu beenden.»

      «Mir ist das alles etwas zu hoch, und es geht mir viel zu schnell.»

      «Das verstehe ich sehr gut, Sandor, besser als du vielleicht glaubst. Aber ich habe solide Grundlagen und gute Gründe für meinen Überfall auf dich.» Ludmilla lächelte mich an, sie beugte sich über den Tisch und griff nach meiner Hand. Ich roch ihr betörend schweres, geheimnisvolles Parfüm, spürte, wie ihre Wärme über den Tisch schlug. «Wach endlich auf, Sandor, jetzt geht es erst recht los!»

      Ich setzte mich gerade hin, zog meine Hand zurück. Ich musste mich am Ohr kratzen. Ludmilla sah mir irritiert zu. «Entschuldigung», murmelte ich und verschränkte die Arme auf dem Tisch.

      «Ich kenne das künstlerische Schaffen deines Grossvaters sehr gut. Ich kannte auch ihn sehr gut. Xaver meine ich, deinen Grossvater.»

      Ich drehte nachdenklich den Stiel des Weinglases zwischen den Fingern. «Wie gut kanntest du Grossvater eigentlich?»

      Ludmilla schlug die Augen nieder, lächelte sanft, strich sich ein paar Locken aus der Stirn.

      «Schau Sandor, dein Grossvater war ein kluger Mann. Ich weiss nicht, wie es um seine Finanzen stand. Aber ahnst du überhaupt, was für ein immenses Lebenswerk er geschaffen hat? Weisst du eigentlich, was du erben wirst? Da kommt ganz schön was auf dich zu!»

      «Woher willst du denn das so genau wissen?»

      «Geduld, Sandor, ich mach es so kurz wie möglich!» Ludmilla suchte erneut meine Hand, als wolle sie die Zukunft daraus lesen.

      «Ich lernte deinen Grossvater vor ein paar Jahren kennen. Ich schrieb damals eine Arbeit über den Villacher Altar, den er ja grösstenteils restauriert und erweitert hat. Er hat mich bei sich aufgenommen. In langen Gesprächen haben wir Vertrauen zueinander gefasst. Xaver hat mir erzählt, dass er bei weitem nicht alle seine Kunstwerke verkauft, sondern sie in einer Halle bei Sendingen eingelagert habe. Mit der Zeit ist dort eine stattliche Sammlung zusammengekommen. Das weiss hier oben aber keiner ausser Hans, der heimlich die Transporte ausgeführt hat.»

      «Warum hat er denn die Kunstwerke nicht verkauft, ich meine, einfach eine Privatsammlung anlegen, da sehe ich keinen Sinn dahinter?» Ich spürte einen Stich, ich war ein wenig eifersüchtig auf Ludmilla und Hans, welche offenbar die Vertrauten von Grossvater geworden waren.

      «Ich glaube, er hatte einfach alles, was er brauchte. Ich glaube, er wollte für deine Zukunft ein einmaliges Sparheft anlegen, so wie nur er es konnte. Bestimmt aber hat er lieber hier oben gearbeitet, als sich um Verträge zu kümmern und sich mit den Händlern in der Stadt herumärgern zu müssen.»

      Das konnte ich wiederum sehr gut verstehen. Grossvater im Anzug, polierten Schuhen und mit einem Aktenkoffer in einer Galerie in der Stadt? Unvorstellbar. Ludmilla nahm mein Lächeln auf. «Ich kenne mich in sakraler Holzschnitzkunst gut aus. Und Xaver Lendel war ein wichtiger Künstler und zudem ein spannender Mann.»

      Wieder dieser Stich, ich muss die Augenbrauen hochgezogen haben.

      «Nun, jedenfalls hat mich dein Grossvater beauftragt, seine Sammlung in Sendingen zu katalogisieren und zu schätzen.»

      «Jetzt verstehe ich, was er damit gemeint hatte, als er am Telefon von Buchhaltung und Inventar fabulierte. Ich hatte mich wirklich gewundert; Grossvater und Bürokram, unvorstellbar.» Ich schob das Weinglas mit gespielter Entrüstung von mir. «Ihr seid mir schon eine ausgekochte Bande!» Ludmilla strahlte mich an.

      «Gell!» Sie goss uns Wein nach. «In den letzten Jahren allerdings hat Xaver hier oben ausnahmslos nur noch für sich gearbeitet. Er hat kein einziges Objekt mehr eingelagert. Nie hat er eine Arbeit vorgezeigt. In der Werkstatt bedeckte er seine unfertigen Werkstücke mit Tüchern. Ab und zu, wenn ich ihn besuchte, traf ich auf Kundschaft, er hat wahrscheinlich doch noch einige kleinere Aufträge angenommen.»

      «Gut, meinetwegen. Jetzt sitze ich auf einem Haus in den Bergen, was mich kaum reizt. Zudem wurde ich über Nacht Besitzer einer Kunstsammlung sakraler Werke in einer Lagerhalle. Soll ich ein Museum eröffnen und Grossvaters Schätze hüten?» Und ich hätte eigentlich lieber das Geld, aber das sprach ich nicht aus. «Ich fühle mich zu jung, um in einem Museum zu leben!»

      Ludmilla setzte sich aufrecht hin. Sie lachte hell auf. Dann strich sie sich wieder ein paar vorwitzige Locken aus der Stirn und goss uns Wein nach.

      «Nun,Sandor, genau hier beginnt mein Plan. Wir beide machen einen Deal. Alles, was an Arbeiten von Xaver in Sendingen steht oder sich noch hier im Haus befindet, bildet die so genannte Sammlung Lendel. Ich verkaufe sie für dich so teuer, wie ich kann. Ich weiss, was ungefähr drin liegt. Ich kenne die Szene. Ich verspreche dir, da liegt der Schatz vom Silbersee. Genug für zwei! Aber man muss klug vorgehen und nicht zu hastig verkaufen. Das kann lange dauern. Ich weiss, wie man das macht, ich erledige das. Vom Reingewinn machen wir fifty-fifty.»

      Ich wollte mich am Ohr kratzen, hielt aber im letzten Moment inne. Die andern Gäste waren schon gegangen, und Hans schloss die Wirtshaustüre ab. «Feierabend, Polizeistunde. Das gilt aber nicht für Übernachtungsgäste», rief er uns über die Schulter zu. «Der Letzte löscht das Licht!»

      Wir blieben alleine in der Gaststube zurück.

      Ludmilla streckte sich entspannt. Sie holte vom Schanktisch ein paar Rechaudkerzen. Als sie brannten, knipste Ludmilla das Licht aus. Ihre Augen funkelten wie geheimnisvolle Edelsteine. Ein kupferfarbener Schimmer überzog ihre rotblonde Mähne. «Also Sandor, wie stehts?», flüsterte sie, ihr Mund schwebte heiss über meinem Ohr. Ich wollte nicht mehr klar denken, ich konnte es auch nicht, es kam jetzt sowieso nicht mehr darauf an.

      «Einverstanden, wir machens», schlug ich ein. «Morgen sehen wir uns gemeinsam das Haus genauer an!»

      Ludmilla sprang auf. Sie steckte ein paar Münzen in die Jukebox. ‚Are you lonesome tonight?‘ schmolz durch die leere Lindenstube, danach langsame Tanzmusik. Ludmilla und ich tanzten, eng umschlungen. Ich sog ihren wilden Duft ein, spürte ihren straffen, prallen Körper, der zu vibrieren schien. Sie löste ihre Haare und zog sich mit einem «Puh, hier ist es heiss!» den Pullover über den Kopf. Ihre Haare knisterten und Funken sprühten. Bei den letzten Takten der Musik küssten wir uns.

      «Sandor, du wirst es nicht bereuen», flüsterte sie mir ins Ohr.

      ***

      Ludmilla hatte recht gehabt, wie eigentlich in allem. Nein, ich bereue es nicht, diesen Pakt mit ihr geschlossen zu haben. Ihr angeborenes Verkaufstalent hatte sich im Laufe der Jahre immer