Zerrissen. Andreas Osinski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andreas Osinski
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847689928
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Verabredung außerhalb hatte und deshalb nicht ins Büro gefahren ist? Ein vielleicht sehr kurzfristig angesetzter Termin? Ein Termin, von dem nicht einmal seine Sekretärin etwas gewußt hat?“ fragte ich vorsichtig nach. „Möglicherweise hatte er diesen Termin ganz einfach vergessen, als er Sie bat, mit ihm zu Mittag zu essen!“ „Ausgeschlossen!“ entgegnete Lisa Warbs, wobei ihre Stimme deutlich an Volumen und Intensität zunahm. Ihr Blick bekam etwas Stechendes. „Wie ich Ihnen bereits gesagt habe, hatte mein Mann heute morgen um acht einen Termin. Dieser Termin war sehr, sehr wichtig für ihn. Und andere Termine gab es nicht heute morgen. Glauben Sie es mir!“Sie lehnte sich in ihrem Sessel zurück und schlug die Beine übereinander. „Es ist außerdem sehr abwegig zu glauben, daß mein Mann einen Termin vergißt, oder seine Sekretärin nicht informiert!“ fuhr sie mit ernster Stimme fort. „Sie können es nicht wissen, Herr Hayenfeldt! Aber gerade in diesen Angelegenheiten ist mein Mann sehr gewissenhaft und absolut genau. Fast schon pedantisch. Und mal angenommen, es wäre tatsächlich ein auswärtiger Termin angesetzt gewesen, für heute morgen, so hätte mein Mann mir gestern Abend davon erzählt.“ „Sie haben also noch gestern Abend mit Ihrem Mann über die Termine für heute gesprochen?“ „Ja. Das machen wir normalerweise so. Mein Mann erzählt mir immer, was er am nächsten Tag so auf dem Terminkalender stehen hat. Bis zur Geburt unserer Tochter war ich seine Sekretärin.“ „Gut. Dann wird mir einiges klar. Sie wissen also über die geschäftlichen Angelegenheiten ihres Mannes gut Bescheid!“ stellte ich fest. „Ja!“ antwortete Lisa Warbs zustimmend. Sie nahm das Taschentuch in die rechte Hand und wischte sich kurz über die Augen. „Natürlich, es kommt hin und wieder schon mal vor, daß sich mein Mann verspätet, weil eine Sitzung länger dauert als erwartet oder er aufgehalten wird.“ fuhr sie mit leicht zitternder Stimme fort. „Aber dann ruft er mich an. Er ruft mich dann an! Es ist jetzt fast elf Uhr und er hat immer noch nichts von sich hören lassen. Nein, Herr Hayenfeldt, es ist etwas passiert. Etwas Schreckliches. Ich weiß es!“ „Gut, nun mal ganz ruhig!“ versuchte ich sie wieder zu beruhigen. „Also schließen wir diese Möglichkeit mal aus!“ Ich überlegte angespannt. „Aber Ihr Mann könnte zum Beispiel einen Verkehrsunfall gehabt haben und in ein Krankenhaus eingeliefert worden sein!“ fuhr ich fort. „Nein!“ antwortete Lisa Warbs energisch und schüttelte dabei ungläubig den Kopf. „Sie verstehen mich nicht, Herr Hayenfeldt! Es ist nicht nur so, daß mein Mann nicht im Büro angekommen ist. Er ist überhaupt nicht weggefahren, heute morgen. Sein Wagen steht in der Garage. Unbenutzt!“„Vielleicht ist der Wagen ihres Mannes heute morgen einfach nicht angesprungen.“ deutete ich vorsichtig an. „Nein!“ entgegnete sie kopfschüttelnd „An diese Möglichkeit habe ich schon gedacht. Aber der Wagen ist völlig in Ordnung! Ich habe es vorhin ausprobiert. Und auch wenn sein Wagen kaputt gewesen wäre, heute morgen, dann hätte er meinen genommen. Er hat die Schlüssel zu meinem Wagen!“ „Er kann aber auch ganz einfach ein Taxi genommen haben.“ versuchte ich einzuwerfen. „Nein, ausgeschlossen. Dazu ist mein Mann einfach zu sparsam. Und warum sollte er ein Taxi nehmen, wenn mein Wagen in der Garage steht?“ „Vielleicht ist Ihr Mann davon ausgegangen, daß Sie ihren Wagen heute selbst benutzen wollen?“ stellte ich in den Raum. „Nein!“ antwortete Lisa Warbs wieder mit einem eindeutigen Gesichtsausdruck. „Ich war heute mit ein paar Freundinnen verabredet. Zum Frühstück, in der Stadt. Das machen wir regelmäßig alle vierzehn Tage. Ellen, meine Nachbarin, wollte mich mitnehmen. Ich habe mit Klaus-Dieter gestern Abend noch über meine Pläne für heute gesprochen und ihm dabei auch gesagt, daß Ellen mich mitnehmen würde. Mein Mann wußte also, daß ich meinen Wagen heute nicht benötigen würde.“ Lisa Warbs senkte den Kopf und blickte starr nach unten. Ich sah eine vereinzelte Träne ihr Gesicht herunterrinnen. „Es gibt keine logische Erklarung, Herr Hayenfeldt. Glauben Sie mir! Den ganzen Tag grübele ich schon hin und her. Da ist etwas passiert. Es ist schon zu lange her. Da ist etwas passiert! Ich weiß es einfach.“ entfuhr es ihr schließlich mit einem verzweifelt klingenden Unterton in der Stimme. Ich wußte, daß Lisa Warbs ihre Fassung vollends verlieren würde, stellte ich ihr jetzt auch nur noch eine einzige Frage. Zwar hatte sie sich die ganze Zeit über sehr beherrscht und ruhig gegeben, doch war ich mir bei ihr ziemlich sicher, daß sie nicht wirklich so fühlte, sondern nur sehr gut schauspielerte. Mit Sicherheit war sie so erzogen worden. Stark zu sein und nicht die Fassung zu verlieren! Es war der richtige Moment, unser Gespräch hier abzubrechen. Ich hatte alle wichtigen Informationen und konnte mir ein erstes Bild machen. Es war -zugegebenermaßen- noch nicht sehr viel, was ich in Erfahrung bringen konnte, aber mehr war für den Moment nicht zu erwarten. Und es war in der Tat ein wenig merkwürdig, daß sich Klaus-Dieter Warbs seit Stunden nicht gemeldet hatte und weder seiner Frau noch seiner Sekretärin bekannt war, wo er sich gerade aufhielt. Und ich war mir auch ganz sicher, daß ich die nicht zu leugnende Möglichkeit, daß Klaus-Dieter Warbs vielleicht „freiwillig“ verschwunden sein könnte, getrost beiseite schieben konnte. Lisa Warbs hatte diese Möglichkeit mit Sicherheit schon vor ihrem Anruf bei mir in Betracht gezogen und durchdacht. Außerdem gab es keinen Anhaltspunkt, der darauf hindeutete, das Klaus-Dieter Warbs einfach „so“ sang- ung klanglos abgetaucht war. „Gut!“ stellte ich nach einer kurzen Pause fest und erhob mich schwerfällig und mit einem knarrenden Geräusch aus dem Ledersessel. Lisa Warbs blickte erwartungsvoll zu mir auf. „Nur, damit ich Sie auch richtig verstehe: Sie haben Ihren Mann heute morgen nicht gesehen, richtig?“ „Richtig!“ wiederholte Lisa Warbs mit einem zustimmenden Kopfnicken. „Ich bin heute ein wenig später aufgestanden als mein Mann. Ich habe noch bis ungefähr drei Uhr geschrieben. An einem neuen Buch. Nachts kann ich am besten arbeiten, wissen Sie. Deswegen hat mich mein Mann heute morgen nicht geweckt. Eigentlich stehen wir gemeinsam auf und frühstücken dann zusammen.“ „Wann verläßt Ihr Mann üblicherweise morgens das Haus?“ „Zwischen sieben und halb acht.“ antwortete Lisa Warbs. „Ich bin eine schlechte Gastgeberin!“ fügte sie plötzlich leicht irritiert hinzu. „Ich haben Ihnen ja überhaupt nichts angeboten!“ „Das ist auch nicht nötig, trotzdem vielen Dank!“ antwortete ich guterzogen und versenkte die Hände in den Seitentaschen meiner Lederjacke. „Ich werde jetzt gehen. Es ist schon spät. Und ich werde Ihnen helfen, Frau Warbs. Allerdings nur unter einer Bedingung!“ Lisa Warbs blickte mich fragend an. Sie drehte den Kopf ein wenig zur Seite und lehnte sich erwartungsvoll nach vorn.„Was für eine Bedingung?“ fragte sie nach einer kurzen Pause. „Ich möchte, daß Sie sich hinlegen und versuchen, ein wenig zu schlafen, wenn ich jetzt gehe.“ Lisa Warbs erhob sich aus ihrem Sessel und ging langsam hinüber zum Kamin. Das Feuer war mittlerweile fast erloschen und nur noch die schwache Glut tief unten in den niedergebrannten Holzscheiten warf einen schwachen Lichtschein auf die gelbschimmernden Schamottsteine. „Ich weiß nicht, ob ich jetzt...“ begann sie. „Ich weiß, was Sie mir jetzt sagen wollen!“ unterbrach ich sie ein wenig unsanft. „Ich möchte auch nur, daß Sie es versuchen, mehr nicht! Verstehen Sie, wir können im Moment nichts weiter tun. Ich werde gleich von meinem Autotelefon aus die Notaufnahmen der Krankenhäuser anrufen und dann noch bei der Taxizentrale nachfragen. Dann wissen wir schon mehr. Ich melde mich dann wieder bei Ihnen. Wir müssen einfach abwarten, bis sich die Entführer Ihres Mannes melden!“ versuchte ich ihr zu erklären.„Ich kann mir vorstellen, daß es Ihnen schwerfällt! Aber wir können im Moment wirklich nichts weiter tun!“ Lisa Warbs schaute gedankenverloren in die schwachleuchtende Glut und nickte dann zustimmend. „In Ordnung!“ sagte sie kurz. „Ich habe es verstanden. Sie haben höchstwahrsacheinlich recht.“ „Okay. Falls irgend etwas passiert oder die Entführer sich melden, dann rufen Sie mich bitte sofort an!“ gab ich ihr zu verstehen. Ich fingerte eine Visitenkarte aus der Innentasche meiner Lederjacke, ging mit ein paar kurzen Schritten hinüber zum Kamin und drückte sie Lisa Warbs in die Hand. „Unter der oberen Nummer können Sie mich rund um die Uhr erreichen!“ Lisa Warbs blickte wortlos auf das Stückchen Karton in ihrer Hand und legte es dann auf den ausladenden Kaminsims. „Und noch etwas: Ich würde mich wirklich besser fühlen, wenn ich die Gewißheit hätte, daß Sie heute Nacht nicht allein sind. Haben Sie jemanden, der sich um Sie kümmern kann?“ fuhr ich fort.„Vielleicht Ihre Freundin Ellen?“ „Nein!“ antwortete Lisa Warbs mit einer abwehrenden Handbewegung. „Ich glaube, ich kann jetzt niemanden ertragen. Ich verspreche Ihnen, daß ich versuchen werde, zu schlafen. Ich werde gleich nur noch kurz meine Tochter Claudia anrufen.“ „Die junge Dame auf dem Foto hier?“ fragte ich sie ein wenig neugierig, während ich mit dem Zeigefinger meiner rechten auf das Portrait in der Mitte des Kaminsimses deutete. „Ja. Sie lebt in München. Wir haben uns lange