Geboren im Jahr 1933. Georg M Peters. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Georg M Peters
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783742737571
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dann „Ein Feuer­­zeug, nett anzusehen“ und „Minz und Maunz die Katzen, die heben ihre Tatzen. Sie drohen mit den Pfoten, der Vater hat’s verboten.“ Jedesmal hoffte ich inständig, das Mädchen würde das Hölzchen nicht anzünden. Aber nein, bald stand sie wieder in Flammen! Oder die Geschichte vom fliegenden Robert! „An die Wolken stößt er schon!“ und dazu das Bild, auf dem er nur noch winzig klein zu sehen ist. Schrecklich! Bei Busch war es eine bestimmte Geschichte, die ich immer wieder mit Faszination studierte. Ein braves Ehepaar ruhte friedlich im Schlaf, während zwei Einbrecher sich in ihre Wohnung schleichen. Doch die werden ertappt und flüchten durchs Fenster. Dabei fallen sie so unglücklich auf das Straßenpflas­ter, dass sie sich gegenseitig mit ihren Regenschirmen auf­spießen. Dieser Schrecken wurde aber bei weitem überboten durch ein völlig zerlesenes Buch, das ich im Keller fand und vor meinen Eltern versteckte. Es war „Der Doppelmord in der Rue la Morgue“ von Edgar Allen Poe. Im vierten Stock eines Hauses wurden Leichen gefunden, die von zwei ermordeten Frauen stammten. Die eine war mit unvorstellbarer Gewalt in den Kamin geschoben worden. Und es war unerklärlich, wie der Mörder aus der Wohnung hatte fliehen können. Die Auflösung bestand darin, dass der Täter ein Orang-Utan war. Aber so weit bin ich mit meiner Lektüre nicht gekommen, weil wir ausgebombt wurden. Den Schrecken, den mir das Buch eingeflößt hat, spüre ich heute noch.

      Einstellung zu Waffen

      Nebenbei machte ich mir auch Gedanken über die Bewaffnung unsrer Soldaten. Meine eigene Waffen­samm­­lung bestand aus einem wunderbaren Luftge­wehr mit gezogenem Lauf, das ich kurz vor der Ausbombung zum Geburtstag bekam, und einem Bolzenge­wehr. Ich erinnere mich an ein Erfolgs­er­le­bnis mit dem Bolzengewehr. Entweder schoss ich mit Gummibolzen, oder, wenn ich das Geschoss nicht zurück holen konnte, mit Bleistiften. Es war ein warmer Tag und die Fenster in unserem Treppenhaus standen offen. Ich stand davor mit meinem Bolzengewehr und suchte ein Ziel. Ich fand es in der halb offenen Luftklappe des gegenüber liegenden Treppenhausfensters. Dazwischen lag der Hinterhof unsres Hauses. Ich legte an, berechnete im Geiste die Flugparabel, die der eingelegte Bleistift nehmen würde, und drückte ab. Und tatsächlich, in einer flach gebogenen Parabel zischte mein Pfeil dahin und flog auf der gegenüber liegenden Seite genau durch den Spalt über der Luftklappe in das Treppenhaus.

      Mein Beitrag zur Entwicklung der Waffentechnik bestand darin, dass ich die Zeit verkürzen wollte, die der Soldat beim Übergang zum Nahkampf brauchte, um das Bajonett aus dem Koppel zu holen und auf den Karabiner zu stecken. Ich fertigte eine technische Zeichnung an, so gut ich das konnte, die zeigte, wie das Bajonett im Schaft des Karabiners arretiert wurde. Im Bedarfsfalle wurde es mit Hilfe eines zweiten Abzughebels aus der Arretierung gelöst, durch Federkraft nach vorne gestoßen und durch einen zweiten Federbolzen festgehalten. Mein Vater hat meine Zeichnung mit einer entsprechen­den Erläuterung an die Firma Krupp geschickt, und die haben in einem freund­lichen Brief geantwortet. Sie schrieben, dass sie die gleiche Konstruktionsidee bereits in Erwägung gezogen hätten, sie aber wieder verworfen hätten, weil der Karabiner mit dem eingefügten Bajonett zu schwer werden würde. Ich solle mich aber nicht entmutigen lassen und in meiner Erfindertätigkeit fortfahren.

      Meine nächste Erfindung war der „stählerne Maulwurf“, ein Gerät, das einige Soldaten unter dem gegnerischen Schützengraben hindurch hinter die Front bringen sollte. Vorne war ein spiraliger Bohrkopf, der sich in die Erde bohren sollte. Er wurde durch einen Motor in Drehung versetzt, der sich im Rumpf des Fahrzeugs befand. Der Rumpf war auch der Aufenthaltsraum für die Kämpfer. Er besaß Leitbleche, die verhinderten, dass er sich mitdrehte. Am Heck befanden sich zwei Stützen, die hydraulisch ausgefahren wurden, und die das Fahrzeug schräg stellten, damit es sich in die Erde bohren konnte. Irgendein Problem gab es, das mir zu schaffen machte, und das ich nicht lösen konnte. Ich glaube es war das Problem, die Stützen abzudichten gegen auslaufendes Drucköl. Ich kannte das Prinzip der Stopfbuchse nicht. Immerhin fertigte ich die entsprechenden technischen Zeichnungen an und hütete sie wie ein kriegsentscheidendes Geheimnis. Nach der Ausbombung wechselten wir häufig den Wohnsitz, und jedesmal, wenn wir eine neue Wohnung bezogen, suchte ich als erstes nach einem Versteck für meine Konstruktionspläne.

      Die Einstellung zu den Juden

      Mit dem Bombenangriff von 1943 war quasi der erste Abschnitt meiner Kindheit beendet. Was ist darüber noch nachzutragen? Wie wir die Juden aus der Stadt vertrieben haben? Es wirkt immer am unglaubwürdigsten, dass ich als Junge von der Judenfrage kaum etwas erfahren habe. Es fanden keine Razzien statt, die wir Kinder miterlebt haben. Was Nachgeborene sich nicht vorstellen können, ist die Beherrschung des öffentlichen Bewusstseins durch Propaganda in einem totalitären Staat. Ins Bewusstsein drangen die im Radio zu beliebigen Zeitpunkten ausgesandten und durch Fanfaren­stöße eingelei­teten Sondermel­dungen. Ich hörte gebannt zu und war begeistert, wenn deutsche U-Boote wieder eine Anzahl von gegnerischen Brutto­register­tonnen auf den Meeresgrund geschickt hatten. Diese Meldungen gingen ein in das öffentliche Bewusstsein.

      Wenn aber ein deutscher Soldat im Osten Zeuge von Gräueltaten geworden war und darüber zu Hause im Ver­wandten­kreis berichtete, dann hörten die Erwachsenen mit Befremden, Abscheu und Zweifeln zu, aber die Berichte fanden keinen Weg in das öffent­liche Bewusstsein. Den Erwachsenen war bekannt, dass man über bestimmte Dinge nicht reden durfte.

      1944 saßen meine Eltern und wir Kinder beim Abendessen. Ich machte irgendeine Äußerung, die meinen Eltern als problematisch erschien. Viel­leicht zweifelte ich am deutschen Endsieg? Meine Eltern machten eine Äußerung, die mich als Oberschüler sehr überraschte; denn etwas ähnliches hatte ich noch nicht gehört. Sie sagten, „darüber darf man nicht reden.“ Das war mir neu. Ich fragte, wieso nicht? „Sonst kommt man ins Konzentra­tionslager!“ Das Wort hörte ich zum ersten Mal. „Was ist denn das?“ „Das ist eine Art Gefängnis für diejenigen, die mit unserem Regierungssystem nicht einverstanden sind.“ Dass ich das Wort „Konzentrationslager“ bis dahin noch nicht gehört hatte, erscheint den Nachgeborenen natürlich wieder unglaub­würdig. Aber so ist es eben. Ich habe auch niemals während des Krieges irgendwo eine Polizeikontrolle erlebt. Wie passt das nun wieder in das Bild des Polizeistaates?

      „Die Endlösung der Judenfrage“ war ja anscheinend das Hauptanliegen von Adolf Hitler – mindestens von dem Zeitpunkt an, als er mit einem „Endsieg“ nicht mehr rechnen konnte. Und die Maßnahmen, die zur Erreichung dieses irren Zieles nötig schienen, wurden dann ja auch bis zum letzten Augenblick mit einer teuflischen Konsequenz ins Werk gesetzt.

      Im Film „Unter Bauern“ spielt Veronica Ferres die Rolle der Jüdin Marga Spiegel, die in den Jahren 1943 bis 1945 zusammen mit ihrem Mann und ihrem Kind von fünf bäuerlichen Familien im Münsterland versteckt gehalten wurden. Ein Psychologe analysiert die Motivation der Retter, die sich selbst dabei in allerhöchste Gefahr brachten. Er vermutet, dass die Bauern auf Grund ihres katholischen Glaubens und der Isolation ihrer Gehöfte an Auto­nomie gewöhnt waren. Die wollten nicht Helden sein oder Widerstand leisten; sondern unabhängig von der Obrigkeit taten sie einfach das, was ihnen der Situation am angemessensten erschien. Wie konnte eine so spektakuläre Aktion, an der fünf große Familien irgendwie beteiligt waren, verborgen bleiben? Auf den Besuch von Nachbarn konnte man sich meistens einstellen und die Verborgenen rechtzeitig warnen, damit sie sich zurück zogen. Gefahr ging von den Kindern aus, die neugierig waren, überall herumstöberten und denen nichts verborgen blieb. Der Gefahr begegnete man, indem man einfach sagte, durch diese Tür dürft ihr nicht gehen, diese Treppe dürft ihr nicht betreten, was da oben ist, das geht Euch nichts an. Für die Kinder war das ein Tabu, an das sie sich hielten. Auch wenn ihnen das Geheimnis, das sie dahinter vermuteten, unheimlich erschien. Ich erwähne das, um den Nachge­borenen verständlich zu machen, dass eine so spektakuläre Aktion wie die Judenvernichtung durchgezogen werden konnte, ohne dass wir Kinder davon etwas ahnten.

      Typisch ist auch eine Erinnerung, die mein Freund Gerd erzählt. In seiner Schulklasse wurde ein Hitlerbild angeboten, das die Schüler für einen Obolus von 50 Pfennigen erwerben konnten. Gerd wollte das Bild gerne haben und bat seine Mutter um das Geld. In der Küche, wo dieses Gespräch stattfand, war auch Gerds Tante zugegen. Gerds Eltern gehörten vor dem Krieg der