„Wenn du genausolange Beine hast, wie dein Papa!” Lord Wellington zwinkerte dem Kleinen zu und verschwand in der Nacht.
Anfang November erreichten aufregende Neuigkeiten das kleine Dorf in der Beira. Rowland Hill hatte bei Arroya dos Molinos den französischen General Girard vernichtend geschlagen. Der Adler hatte es gewagt, sich dem Sicherheitsperimeter von Elvas zu nähern. Hill hatte Aufklärer in der Estremadura. Sie berichteten, daß der Franzosen ohne Unterstützung gekommen war. Die Gelegenheit war günstig gewesen. Der Kommandeur der Alliierten Südarmee hatte sie genutzt. Girards Streitmacht war fast vollständig aufgerieben. Nur 600 Adlern gelang die Flucht. Die Alliierten machten 1300 Gefangene, unter ihnen General Bron, der Kommandeur der Kavallerie, den Prinzen von Aremberg, Chef des Stabes des Fünften Korps und 30 weitere hohe Offiziere. Außerdem verloren die Adler drei Geschütze und eine Kriegskasse mit 5000 goldenen Dollares, die Hill als Preisgelder unter seinen Leoparden aufteilte. Der gesamte Troß der unglücklichen Franzosen fiel den Briten und Spaniern in die Hände. Seine eigenen Verluste, die er an den Oberkommandierenden in der Beira melden mußte, waren verschwindend gering: Sieben tote Soldaten, sieben verwundete Offiziere und 75 verwundete Mannschaftsdienstgrade. Die spanischen Verbündeten, mit denen er gemeinsam gefochten hatte, beklagten 30 Verletzte. Der General aus Shropeshire hatte kurzfristig sogar in Erwägung gezogen, einen Vorstoß bis an den Guadiana zu wagen, denn nach der Abreibung, die die Adler bei Arroyo dos Molinos erhalten hatten, wäre der Graf d’Erlon mit den Überresten seines Korps sicher einfach vor ihm weggelaufen. Doch Sir Rowland besann sich: Er würde seinen Gegner zwangsläufig bis in die Sierra Morena treiben und damit riskieren, daß Marschall Soult seinem Untergebenen zur Hilfe eilte – und zwar mit allen Truppen, die er in Andalusien stehen hatte. Dann wäre die französische Südarmee konzentriert und gefährlich! Er selbst hatte 12.000 Leoparden unter Waffen. Soults 60.000 Adler schienen doch ein bißchen übermächtig. Lord Wellington las die Siegesmeldung des wackeren Sir Rowland zum zweiten Mal. Sie amüsierte ihn. Hill war ein wirklich umsichtiger Untergebener. Er verstand augenblicklich, daß 60.000 Franzosen ein ziemlich großer Wurm am Angelhaken waren. Der Kurier der Alliierten Südarmee stand unruhig neben ihm. Sein Kommandeur hatte ihn angewiesen, so schnell wie möglich mit einer Antwort nach Elvas zurückzureiten.
Der Ire holte Papier und Feder: „Nichts hätte mich mehr zufrieden stellen können als genau das, was du getan hast! Ich freue mich sehr, deinen Bruder, Hauptmann Hill, mit der Depesche über deinen Sieg bei Arroyo dos Molinos und deinen Folgehandlungen nach London schicken zu dürfen! Ich gratuliere dem tapferen Kommandeur meiner Südarmee zu seiner weisen Entscheidung, sich noch nicht gegen Marschall Soult zu schlagen, sondern bis zum Frühjahr zu warten, damit wir anderen auch noch ein bißchen Spaß mit den Adlern haben können!” Dann wandte er sich dem Offizier an seiner Seite zu: „Hauptmann Hill, Sie werden sich jetzt ausruhen und morgen nach Oporto reiten und von dort aus nach London segeln! Das Schreiben an Ihren Bruder überbringt einer meiner Kuriere!” Der junge Mann strahlte übers ganze Gesicht. Er salutierte und schlug die Haken zusammen: „Wie Sie befehlen, Mylord!”
„Schlitzohr”, dachte Lord Wellington, „du weißt ganz genau, daß die Überbringer solcher Depeschen zu Hause vor Freude gleich mitbefördert werden. Und garantiert wartet ein niedliches Vögelchen in London auf dich, mit dem es angenehmer ist, Weihnachten zu verbringen als mit dem Haufen alter Schlachtrosse in Elvas!” Zynisch fragte er den jungen Hill: „Na, wie heißt sie denn?”
Der Hauptmann wurde feuerrot im Gesicht. Dem Alten entging einfach nichts. „Alexandra, Sir!”, stammelte er verlegen.
„Reichen sechs Wochen, um eine ehrenwerte Dame aus der kleinen Lady zu machen?”
Der junge Hill wurde noch röter: „Danke, Sir!” Er stürzte aus dem Zimmer. Lord Wellington war nicht dafür bekannt, daß er mit Urlaubsscheinen um sich warf. Der Hauptmann rannte, als ob der Leibhaftige hinter ihm her wäre. Wenn Nosey es sich anders überlegte, dann würde Lady Alexandra Campbell of Glenure möglicherweise noch Jahre auf ihren Trauring warten und vielleicht sogar an Liebeskummer sterben. Die letzten Briefe, die der junge Offizier aus London erhalten hatte, waren besorgniserregend. Alexandra schrieb, daß sie vor Liebe zu ihm vergehe, nicht mehr esse, nicht mehr schlafe und nicht mehr in die Oper gehe. Die Situation war kritisch. Seine Ehre, als Offizier gebot ihm, die junge Frau augenblicklich zu retten und vor den Traualtar zu führen.
Während der glückliche Hauptmann in der kleinen Bodega am Marktplatz von Freneida ein paar ungläubigen Stabsoffizieren detailliert schilderte, wie er Lady Campbell of Glenure vor dem sicheren Tod zu bewahren gedachte, beschloß Lord Wellington, daß er sich für den heutigen Tag genug um das Schicksal der Nationen gekümmert hatte. Es war kurz vor drei am Nachmittag, das Wetter war schön und ein Spaziergang durch das Dorf und die umliegenden Apfelgärten bot sich an. Er nahm seinen Soldatenmantel vom Haken und verließ das Hauptquartier. Er war froh, daß seine unnützen Adjutanten ihn ein wenig zufriedenließen und sich um ihre eigenen Familien kümmerten: Don Antonio war mit Donna Ines in der Quinta dos Lagrimas, Colin Campbell mit seiner Frau in Oporto und Fitzroy Somerset bemüht, um die Gunst einer jungen Portugiesin, irgendwo in der Gegend von Coimbra zu werben. Er hatte sie im Vorjahr kennengelernt und sich unsterblich verliebt. Arthur war skeptisch: Die Kleine hatte vier eifersüchtige Brüder und einen grimmigen Vater, außerdem noch mindestens 30 Cousins, die ebenfalls um ihre Ehre besorgt waren. Vor der Tür sah er sich kurz um und blinzelte zufrieden in die Herbstsonne. Ein Mädchen, vielleicht fünf Jahre alt, kam auf ihn zu. Sie trug ein weißes Kleidchen und hatte lange, schwarze Zöpfe, die ordentlich von roten Bändern zusammengehalten wurden. Bestimmt packte sie Wellingtons Hand. Es war Manuela, die Tochter von Leutnant Sewards Gastgebern: „Donde esta Paddy, Querida?”, fragte der General interessiert. Normalerweise trieben die beiden sich immer zusammen herum.
„Der war nicht brav und muß heute zu Hause bleiben!”
Wellington folgte Manuela wohlerzogen in Richtung Marktplatz. Es war Mittwoch und der fliegende Händler aus Lissabon hatte seinen Stand aufgeschlagen. Den kleinen Strolchen war es nicht schwergefallen herauszufinden, daß er sich leichter überreden ließ, an diesem verhängnisvollen Wochentag an diesen verhängnisvollen Ort zu gehen als ihre beiden Mütter. Der fliegende Händler brachte immer Karamellbonbons mit. Paddy und Manuela hatten eine gemeinsame Schwäche für dieses seltene Gut. Der General verstand, wie hart der Hausarrest den kleinen Seward getroffen haben mußte. Er beschloß, Miss Marys strenge Erziehungsmethode zu umgehen. Vor der Auslage des Händlers hob er das kleine Mädchen hoch, damit sie ihre Lieblingsbonbons auswählen konnte. Der alte Mann lächelte dem irischen Offizier freundlich zu. Er kannte die Szene. Manuela entschloß sich für Butterkaramellen. Der Händler erkundigte sich nach dem jungen Seward. „Hausarrest!”, war Lord Wellingtons lakonische Antwort, „Hat wohl irgendwas ausgefressen, der rothaarige Teufelsbraten! Aber wir nehmen ihm seine Wochenration mit!” Manuela empfing zufrieden ihre Tüte Butterkaramellen. Dann folgte eine längere, ernste Verhandlung mit Paddys spanischer Freundin. Es war notwendig, sicherzustellen, daß die zweite Tüte auch wirklich beim unglücklichen jungen Seward landete und nicht in Manuelas übergroßem Kindermagen. Unschuldig sah sie Wellington an: „Du glaubst doch nicht etwa, daß ich ...!”
„Oh doch, kleine Lady! Also, versprich’s! Die eine Tüte gibst du Paddy!” Mißtrauisch-amüsiert steckte er ihr die Bonbons in die Tasche des Kleidchens. Manuela überlegte angestrengt, ob sie ihr Ehrenwort geben sollte. Sie legte den Kopf schief: „Aber er war wirklich nicht brav, Arthur!”
„Bist du immer