„Aiden, komm doch mit, wenn du heute Abend nichts mehr vorhast."
Verflucht. Natürlich fragt sie, ob er mitkommt. Wie sollte es auch anders kommen? Innerlich verdamme ich sie dafür. Ich hatte ihr doch heute Mittag erzählt, dass ich ihn nicht ausstehen kann.
"Gerne." Ich höre, dass Aiden aufsteht.
Ich koche und funkle Aby wütend an.
Sie schaut mich nur entschuldigend an, als würde das jetzt meinen Abend retten.
Also machen wir uns zu sechst auf den Weg zu Clavers, um - wie Aby es ausgedrückt hat - uns besser kennenzulernen. Die Lust ist mir durch Aiden stetig vergangen.
Wir betreten eine kleine typische Bar mit Billiardtisch und Frauen mit aufreizenden Kleidern die irgendwelche betrunkenen Kerle anschmachten. Es riecht hier nach Alkohol und Rauch und man hört durch versteckte Lautstärker das Lied Come As You Are von Nirvana. Wenigstens läuft keine Technomusik. Das hätte mir jetzt noch den Rest gegeben.
Wir setzen uns an einen Tisch ganz hinten in der Ecke. Aby sitzt schräg von mir gegenüber, neben Leon. Lucas und Noah sitzen neben mir und Aiden sitzt mir genau gegenüber. Was auch sonst.
Eine männliche Bedienung kommt an unseren Tisch. "Hi, ich bin Colder, was darf ich euch denn bringen?"
Lucas, Leon, Noah und Aby bestellen ein Bier.
"Einen On The Rocks, bitte", sagen Aiden und ich gleichzeitig.
Wir schauen uns verwirrt an. Ich zucke nur mit den Schultern, als wäre das ein kleiner Zufall gewesen. Dabei kenne ich niemanden, der auch gerne On The Rocks trinkt.
"Also Ravely." Noah beginnt als erster ein Gespräch. "Erzähl mal was von dir! Wir kennen uns ja schon alle gegenseitig."
"Nenn mich bitte Rave. Aby hat sich so viel Mühe mit dem Spitznamen gemacht, also sollte er auch benutzt werden." Wow, das habe ich selbstbewusster gesagt, als ich dachte.
"Genau!" Aby lacht.
"Also ich bin Rave, achtzehn Jahre alt, komme aus den tiefsten Tiefen Englands und bin jetzt auf der ZOS um englische Literatur zu studieren", erzähle ich. Um ehrlich zu sein, schäme ich mich ein wenig, dass ich nicht mehr erzählen kann. Ich wette alle von ihnen hier, könnten schon einen Bestseller über ihr Leben schreiben.
Ich bin ein absoluter Langweiler.
"Das war‘s?", fragt Leon und schaut mich erstaunt an.
"Ja, ich denke schon."
"Hast du einen Freund?", fragt Lucas mich ganz direkt und ich schnappe erschrocken nach Luft. Das kam unerwartet.
Die Bedienung kommt gerade wieder an den Tisch und bringt unsere Getränke. Ich lächle dem Kellner zu und bedanke mich stumm dafür, dass er mir geholfen hat dieser Frage aus dem Weg zu gehen.
Doch nichts da. "Also?" Lucas lässt nicht locker.
Mist. Alle, bis auf Aiden, warten gespannt auf meine Antwort.
"Nein, habe ich nicht." Ich nehme einen Schluck von meinem Getränk, um nicht mehr dazu sagen zu müssen.
"Wie kommt das denn? Du bist doch hübsch." Noah lächelt.
Ich spüre wie mir leicht die Röte in den Kopf schießt. Das war mal offen. "Danke, aber Beziehungen sind einfach nichts für mich. Ich bin achtzehn Jahre alt. Ich hab noch mein ganzes Leben lang Zeit so etwas wie Beziehungen zu führen." Ich spüre klar Aidens Blick auf mir.
"Endlich mal eine Frau, die weiß, was sie will", lacht Leon.
"Ey, ich weiß auch was ich will!", wirft Aby gespielt beleidigt ein und verschränkt die Arme.
"Nein, weißt du nicht."
Auch Noah stimmt zu. "Du hast jede Woche eine neue große Liebe. Also ich bitte dich."
"Jahaa, weil es immer der Richtige sein kann!"
"Ich denke, man weiß von der ersten Sekunde an, ob jemand der oder die Richtige ist." Auch Aiden meldet sich mal zu Wort und nimmt theatralisch einen Schluck von seinem Getränk nach dieser unfassbaren Weisheit. Idiot.
Ich beäuge ihn mit erhobenen Augenbrauen.
"Oho, der Meister hat gesprochen", ruft Lucas und tut so, als würde er sich vor Aiden beugen.
Alle anderen lachen.
"Das stimmt nicht", sage ich und schaue auf mein Glas.
Alle in der Runde schauen mich an, als hätte ich ihnen erzählt, dass ich Krebs heilen könnte. Sie scheinen darauf zu warten, dass ich mehr sage.
"Also nehme ich an, dass du an Liebe auf den ersten Blick glaubst?", frage ich Aiden mutig und beäuge ihn.
"Liebe auf den ersten Blick ist ein Mythos. Doch von Anfang zu merken, dass jemand zu einem gehört, nicht. Oder würdest du etwa das Gegenteil behaupten?", sagt er mit fester Stimme und richtet sich auf.
Ich zucke abwegig mit den Schultern. "Ich weiß nicht. Ich denke, das ist Schwachsinn. So etwas wie geistliche Verbindungen oder Seelenverwandtschaft existiert einfach nicht. Sonst wären die Menschen heutzutage glücklich, weil sie mit den richtigen Leuten agieren."
"Die Menschen sind unglücklich, weil sie sehen, was sie sehen wollen. Zu denken, dass geistliche Verbindungen nicht existieren, macht dich zu einen von ihnen. Wenn du richtig hinsiehst, weißt du von der ersten Sekunde an, wer zu dir gehört und wer nicht. Vielleicht solltest du mehr Bronté lesen." Er grinst verhöhnt und nimmt noch einen Schluck von seinem Getränk, ohne den Blick von meinen Augen zu nehmen.
Ich kneife die Augen zusammen und merke schon wie sich mir tausend Worte im Kopf zusammenbrauen.
Als ich gerade etwas Gemeines sagen will, stoppt mich Aby. "Okay, wenn zwei Philosophen sich streiten, sollte man dann aufhören, wenn es am schönsten wird", lacht sie und hebt ihr Bier in die Luft. "Auf einen schönen Abend!"
Kapitel 3
"Du warst aber schon mal verliebt, oder?" Aby sieht mich mit erhobenen Brauen an.
Irgendwie werden die Fragen immer persönlicher.
"Na ja ... was heißt schon verliebt." Meine Worte sind nicht mehr als ein undeutliches Gemurmel, bedacht darauf sie nicht anzusehen.
"Wie? Du willst uns doch jetzt nicht verklickern, dass du noch nie verliebt warst!"
Ich versuche mich an meinen Freund aus der zehnten Klasse zu erinnern und suche nach irgendeinem Anzeichen, das mir sagen könnte, dass es Liebe war. War es definitiv nicht. Er einfach eine Notlösung dafür, dass ich die einzige war, die noch nie einen Freund hatte, mehr nicht. Außerdem war er ein Vollidiot.
Auch der Rest der Gruppe sieht mich jetzt verblüfft an. Sogar Aiden scheint überrascht zu sein.
"Also hattest du auch noch keinen Freund?" Auch Noah betrachtet mich argwöhnisch.
"Doch, hatte ich. In der zehnten Klasse war ich mal mit jemandem fünf Monate zusammen."
"Aber du hast ihn nicht geliebt?" Aby scheint außer sich zu sein.
"Nein." Ich räuspere mich einmal. "Ich meine, ich war damals gerade mal sechzehn geworden. Ich mochte ihn und wollte wissen wie es ist, einen Freund zu haben, aber ..." Ich komme mir wirklich bescheuert vor. Eigentlich sollte ich mich doch gar nicht verteidigen müssen. So etwas tun Jugendliche doch, oder? Beziehungen haben und sie wieder beenden. Hier scheint es ein Tabuthema zu sein. Ich versuche, vom Thema abzulenken und frage Lucas über sein Studium über Wirtschaftsmathematik aus. Hauptsache, ich muss diese blöden Fragen nicht mehr über mich ergehen lassen.
Aby und ich kamen erst um ein Uhr nachts am Campus an. Für meine Verhältnisse war das viel zu spät und ich nehme mir vor, es bei diesem einen Abend zu belassen. Konzentration auf das Wichtige ist angesagt. Und das ist