Aiden wirft den Kopf in den Nacken und lacht laut. "Du solltest aufhören, alles so ernst zu nehmen, Raven."
"Du hast echt einen kranken Humor." Augenrollend öffne ich die Autotür und steige aus. Mein Grinsen kann ich trotzdem nicht verbergen. Ich steige aus und beuge mich nochmal ins Auto. "Danke für dein Fahrdienst."
"Danke für diese durchaus interessante Nacht mit interessanten Gesprächen", grinst Aiden und startet den Motor.
Ich schließe die Tür und warte noch auf dem Parkplatz bis Aiden weggefahren ist. Er winkt mir zu und biegt dann um die Kreuzung. Ich atme einmal tief und lasse auf dem Weg in mein Zimmer die letzten Stunden durch meinen Kopf gehen.
Eigentlich wollte ich ja nur zu einer einfachen Lesung und daraus wurde ... ich glaube, die beste Nacht meines Lebens? Ich fange definitiv an, Aiden zu mögen. Er bringt mich in jeder Sekunde zum Lächeln, egal was er macht. Er hat ständig einen Spruch auf den Lippen und sieht nie etwas zu eng.
Aber gleichzeitig ist er auch so solidarisch. Aiden gibt mir das Gefühl, dass ich mehr bin, als ich von mir denke und das fühlt sich gut. Ja, in seiner Gegenwart fühle ich mich gut. Vielleicht brauche ich keine Partys, Drogen oder Alkohol, um in meinem Leben Spaß zu haben. Ich denke, das einzige, das ich brauche, ist so etwas. Freundschaften.
Und in dieser Nacht träume ich von grünen Augen und vorbeiziehenden Lichtern.
Ich werde von meinem Handyklingelton geweckt und stöhne genervt auf. Mit geschlossenen Augen greife ich auf meinen Nachttisch und nehme den Anruf an, ohne meine Augen zu öffnen. "Ja?", krächze ich ins Telefon.
"Ravely? Hast du noch geschlafen?", fragt mich die Person an der anderen Leitung, bis sich nach kurzem Überlegen herausstellt, dass es mein Vater ist.
"Ganz offensichtlich."
"Tut mir leid, Mäuschen." Er lacht. "Sieht dir gar nicht ähnlich, bis halb zwei zu schlafen."
Sofort reiße ich meine Augen auf und schaue auf die Uhr auf meinem Handy. 1.34 PM. Tatsächlich, ich habe den halben Sonntag geschlafen. "O, ähm, ja", stottere ich. "Ich hab letzte Nacht einfach zu lange geschrieben." Mein Dad muss nicht wissen, dass ich letzte Nacht so lange mit Aiden unterwegs war. Ich hab keine Ahnung, wie er reagieren würde.
Mein Dad seufzt in die Leitung. "Ravely ..."
"Ja?"
"Ich finde es ja gut, dass du viel lernst und schreibst, aber ... meinst du nicht, dass du - wenn du schon mal auf einem College bist - eventuell ein paar neue Leute kennenlernen möchtest?"
Ich runzle verwirrt die Stirn. Selbst mein Dad sagt, dass ich Freundschaften knüpfen sollte. Kurz schweige ich, entschließe mich aber, ihm zu Liebe die Wahrheit zu sagen. "Um ehrlich zu sein, war ich letzte Nacht mit jemandem aus."
"Wirklich? Das freut mich wirklich, Schatz. Ist es deine Zimmerkameradin?"
"Ähm, nein, eigentlich war ich mit einem Jungen aus meinem Kurs unterwegs. Aiden."
"O." Er ist unverkennbar überrascht. "Na ja, du bist alt genug und ich hoffe du weißt das ganze ... mit der Verhü -"
"Oh Gott, Dad, ja!", unterbreche ich ihn. Darüber will ich mit meinem Vater wirklich nicht reden. "Es ist auch eher nur eine Freundschaft." Ich betone das Wort Freundschaft extra, damit auch keine Missverständnisse aufkommen.
"Gott sei Dank! Du fehlst mir hier ganz schön. Ohne dich ist das Haus so leer."
"Ich vermisse dich auch, Dad. Aber weißt du, wie du nicht mehr so einsam sein würdest?"
Dad stöhnt genervt ins Telefon, "Schatz, bitte nicht scho -"
"Richtig, wenn du dir eine Frau suchst. Du bist doch noch ein attraktiver Mann. Wenn du einmal alt und runzlig bist, werden die Frauen dir nicht mehr hinterherrennen." Ich grinse breit.
"Ravel - "
"Ich meine, allein schon unsere Nachbarin. Die schmachtet dich doch schon seit Jahren an."
"Ravely!", ruft Dad lachend. "Ich hab dich verstanden."
"Gut, dann solltest du die Chance nutzen und dich endlich mal wieder verlieben."
Ich merke durch das Handy, dass er die Augen verdreht. "Ist ja gut, ich überlege es mir."
Dad hat nach meiner Mutter keine Frau mehr an seine Seite herangelassen. Als ich noch klein war, habe ich ihn immer gefragt, wieso er sich keine Frau sucht und er meinte, dass er seine 'Prinzessin' noch nicht gefunden hat. Mit den Jahren merkte ich immer wieder, dass er einzig und allein Angst hat, noch einmal so verletzt zu werden, wie damals von Mum. Ich meine, er ist wirklich - für sein Alter - noch ein gutaussehender Mann und ich kenne auch viele Frauen, die sich oft verzweifelt an ihn rangemacht haben. Sogar meine Mathelehrerin aus der Grundschule hat sich damals Hals über Kopf in ihn verliebt, aber er hat ihnen jedes Mal nach ein paar Wochen gesagt, dass er für Beziehungen nicht bereit sei und blieb am Ende jedes Mal wieder allein.
"Ich weiß, dass du es nicht tust, aber das solltest du wirklich machen", sage ich.
"Schatz, ich muss jetzt wieder auflegen. Oma und Opa kommen gleich zu Besuch und mir verbrennt sonst die Lasagne im Ofen. Aber es freut mich, dass du Freunde gefunden hast."
"Ist gut, Dad. Grüß die beiden von mir. Ich hab dich lieb!"
"Dito."
Kapitel 10
Sofort muss ich an Aiden denken und wie aufregend die letzte Nacht war. Ich frage mich, was er heute macht. Ich würde ihn unheimlich gerne wieder sehen, aber wahrscheinlich wäre das viel zu aufdringlich und er würde mich als nervig abstempeln.
Ich schaue nach links und wundere mich schon gar nicht mehr, dass Aby nicht da ist. Mir fällt erst jetzt auf, dass ich gar nicht ihre Handynummer habe, um sie mal anzurufen und zu fragen, ob alles in Ordnung ist. Ich muss sie auf jeden Fall danach fragen, wenn sie wieder da ist.
Verloren scrolle ich durch all meine Kontakte, die größtenteils aus Familienmitgliedern bestehen. Und jetzt auch aus Aiden. Sofort wird mein Grinsen breiter. Was macht er nur mit mir?
Ich beschließe, mir Als wir unendlich waren zu schnappen und August noch einmal beim Lieben zuzusehen. Ich komme bei jedem Kapitel nicht drum herum, August mit Aiden zu vergleichen, denn in gewisser Art und Weise sind sie sich manchmal ähnlich. Sie haben den gleichen Humor und ich muss mir jedes Mal vorstellen, wie Aiden diese Dinge sagt, die August im Buch sagt.
Als ich bei Seite 189 angekommen bin, öffnet sich die Zimmertür und Aby kommt herein getrottet. Sie sieht heute gar nicht aus wie immer. Sie sieht irgendwie traurig aus.
"Aby, alles okay?", frage ich sie und lege das Buch beiseite.
Aby lässt sich auf ihr Bett fallen, starrt auf den Boden und schüttelt nur mit dem Kopf.
Sofort setze ich mich neben sie. "Was ist passiert?"
Dann verzieht sie ihr Gesicht und sie fängt an, laut zu schluchzen und sich an mir festzuhalten. Ich bin ein wenig überrumpelt und weiß nicht, was ich tun soll, streiche ihr dann aber langsam mit der Hand über den Rücken. Aby heult so laut, dass ich Angst habe, dass es jemand auf dem Flur hören könnte und vermuten könnte, dass ich sie gerade umbringen will. "Er hat Schl-uss ge-gemacht", heult sie.
Jetzt erinnert mich diese Szene an Scar. Sie hat auch oft geweint, wenn ihre Freunde Schluss gemacht oder sogar sie selber Schluss gemacht hat. Bis heute weiß ich nicht, wie ich damit umgehen soll.
"Wieso?", frage ich und streiche ihr immer noch über den Rücken.
"Er meinte", schluchzt Aby, richtet sich auf und wischt sich nicht gerade mädchenhaft mit ihrem Handrücken über die Nase. "Dass er es sich n-nicht leisten kann, seinen J-Job zu verlieren."
"O." Mehr kann ich dazu nicht sagen. Eigentlich hat er doch Recht. Es ist wirklich extrem gefährlich, als Lehrer