Aber die Gier nach dem Geld hatte ihn auf den teuflischen Gedanken gebracht, dass ein anderer es übernehmen konnte, so etwas Grässliches zu tun. Und außerdem gab es ja auch noch seine Rachegelüste…
„Wie lange sollen wir hier denn noch warten?“
Der Fahrer neben ihm unterbrach ihn in seinen Gedanken. Er war einer, der völlig emotionslos seine ‚Arbeit’ erledigte. Es gab manche, die sagten, er sei der ausgesprochene Killertyp, jemand, der seinen Aggressionstrieb instrumentell nutzte. Natürlich war er vorbestraft, unter anderem wegen schweren Raubes und Vergewaltigung.
„Irgendwann wird sie schon raus kommen, und wenn nicht heute, dann eben morgen. Ich weiß gar nicht, was du willst. Du kriegst doch ’ne Menge Kohle dafür.“
„Meinst du denn, das macht mir Spaß, dauernd auf diese protzige Villa zu starren und zu warten, bis Madam herausspaziert kommt und der Chauffeur ihr mit einer tiefen Verbeugung den Wagenschlag aufreißt?“, maulte sein Kumpel und rülpste ungenierlich laut. Der Arbeitslose wäre am liebsten ausgestiegen, doch er riss sich zusammen. Ein Cabrio fuhr an ihnen vorbei, ein schnittiger BMW Z4.
„Das ist der Ehemann von der Tochter des Bosses“, erklärte er dem Fahrer.
„Was du alles weißt“, brabbelte dieser. „Mich interessiert eher die Kiste. Ich glaub’ der hat den Schlüssel stecken lassen. Ob ich mal…“
„Untersteh dich, Mensch!“
Der Arbeitslose hieb ihm den Ellenbogen in die Rippen und der schnappte nach Luft.
„Entweder du machst das, was ich dir gesagt habe, oder du kannst abhauen!“
„Ist ja schon gut, ist ja schon gut“, gab der Fahrer maulend zurück und in diesem Moment näherte sich von hinten eine weitere Nobelkarosse, ein Mercedes-Sportwagen mit offenem Verdeck. Ein Mann sprang über die geschlossene Wagentür nach draußen und lief die Stufen der breiten Treppe nach oben auf den Eingang zu. Der Mann auf dem Beifahrersitz drehte sich zu dem Menschen um, den er unbedingt für seinen Job brauchte.
„Das ist der Sohn des Unternehmers. Kann sein, dass sich jetzt etwas tut.“
Und er sollte recht behalten. Nach knapp einer Viertelstunde verließen die beiden Männer die Villa und in ihrer Mitte eine junge Frau. Die drei debattierten lautstark. Erst vor ihren Autos trennten sie sich und die junge Frau setzte sich in das Auto des Mannes mit dem Mercedes. Der Beifahrer wunderte sich darüber, sagte aber nichts. Erst als die beiden Fahrzeuge an ihnen vorbeigefahren waren, gab er sich und seinem Fahrer eine Anweisung: „Günstiger wird’s nicht. Komm!“
Die beiden verließen das schmutzige Gefährt und der Arbeitslose merkte nicht, dass sein Rätselheft beim Aussteigen auf den Fußweg fiel, von einer kurzen Windbö erfasst wurde und unter dem Auto zu liegen kam.
Der Mordermittler drückte die Austaste an der Freisprecheinrichtung und atmete erleichtert aus. Nein, er brauchte wirklich nicht umzukehren. Das, was sein Vertreter ihm mitzuteilen hatte, war kein Knaller gewesen. Seine Kollegen hatten in einer alten Mordsache in der Nähe von Husum ein interessantes Detail entdeckt. Und Werner Hansen hatte ihn deshalb angerufen, weil sie bei der Recherche eine Peinlichkeit herausgefunden hatten. Ausgerechnet dem Leiter der Kripo in Husum, der ansonsten ein mehr als penibler Vorgesetzter war und der seinen Kollegen mit seiner penetranten Ermittlungsgenauigkeit gelegentlich auf die Nerven ging, ausgerechnet dem war ein Fehler unterlaufen, den jeder Kriminalanwärter mit einer ungenügenden Note in einer Prüfungsarbeit quittiert bekommen hätte. Die Kollegen von der Kriminaltechnik hatten damals in dem Zimmer des Mordopfers diverse rötliche Flecken auf dem Holzfußboden nicht als Spuren gesichert, weil die Mutter des getöteten Mädchens ausgesagt hatte, dass ihr Kind am Tag zuvor Nasenbluten gehabt hätte. Es gehörte zum Einmaleins eines Kriminalisten, dass alle Spuren in einem Kapitaldelikt zu sichern waren, gleichgültig, ob es eine Tatrelevanz gab oder nicht. Und in diesem Fall gab es jetzt nach über 10 Jahren eine mögliche solche Bedeutung. Wartefuhl musste innerlich grienen, wenn er daran dachte, wie der Chef in Husum wohl reagieren würde, wenn man ihn damit konfrontierte, denn er war es höchst persönlich gewesen, der als damaliger Leiter der Kriminaltechnik vor Ort gewesen war und die Spuren nicht hatte sichern lassen.
Der Chef der Mordkommission bremste seinen Wagen ab und bog in den Sandweg ein, der ihn nach 50 Metern zu ihrem ‚Knusperhäuschen’ führte. Mit der Handkante erzeugte er einen kurzen Hupton auf dem Lenkrad und durch die offene Terrassentür kam ihm seine Frau entgegen. Jörg Wartefuhl versuchte in dem Gesicht von Karin zu lesen, als er ausstieg und ihr entgegenging. Ihr Gesicht lachte, aber die Augen, die spiegelten eine große Traurigkeit wider, wenn auch nicht so schlimm, wie von ihm befürchtet.
„Beinahe wäre es nichts geworden mit unserem langen Wochenende“, nahm er Karin in den Arm, hob sie hoch und drehte sich mit ihr ein paar Mal im Kreis herum. Er wusste, dass sie das gern hatte.
„Ich hätte dich aber nicht gehen lassen, mein Lieber“, meinte sie lächelnd und schmiegte sich an ihn. „Ich brauche dich, Jörg! Ich brauch dich gerade jetzt und ich will dich nie wieder loslassen.“
Jörg Wartefuhl kannte solche Worte und wusste, was dahinter stand. Karin war wieder einmal auf dem Weg in eine depressive Phase. Und er verstand auch, was das bedeutete: keine Aktivitäten, keine Radtour, keine Freunde, mit denen man abends auf der Terrasse grillte und sich fröhlich unterhalten konnte. Er merkte, wie in ihm das Gefühl der Enttäuschung aufkam.
Doch da überraschte sie ihn.
„Wir haben Besuch, mein Lieber, und du wirst staunen, wer es ist!“
Jörg ließ Karin los, trat einen Schritt zurück und wollte gerade fragen, mit wem er gleich das Vergnügen haben werde, da sah er aus den Augenwinkeln einen Menschen in die Terrassentür treten.
Yasmine schaute ihren Bruder erstaunt an. Sie saßen beide in einem Straßencafé und jeder von ihnen schleckte an einer großen Eisportion.
„Ich dachte, du wüsstest, wie ich darüber denke, Norbert.“
„Ja, das schon, aber…“
„Aber! Aber! Immer wieder aber!“, unterbrach sie ihn wütend. „Sei doch nicht immer so pessimistisch! Ich will nicht in die Firma und Chris gehört da einfach nicht hin! Und das sag’ ich, obwohl er mein Mann ist! Basta! Menschenskind, das muss dir doch genügen!“
Norbert Eichstätt schaute seine Schwester lange an.
„Bist du dir absolut sicher, dass Vater die richtige Entscheidung trifft?“
Yasmine warf ihren Eislöffel auf die Serviette und lehnte sich in ihrem Plastikstuhl nach hinten.
„Also, wirklich, dir ist nicht mehr zu helfen! Was ist nur los mit dir? Hast du denn gar kein Selbstbewusstsein mehr? Einen wirklichen Konkurrenten gibt es doch gar nicht! Du bist jemand, der zwei Studiengänge erfolgreich abgeschlossen hat und der gute und wirksame Verbesserungsvorschläge eingebracht hat, und du…“
„Ja, ja, das weiß ich alles selber“, unterbrach sie ihr Bruder. „Aber in der letzten Zeit stelle ich fest, dass Vater überhaupt nicht auf mich hört. Wir verlieren Kunden, aber er will das einfach nicht wahrhaben. Stattdessen amüsiert er sich mit deinem Sohn. Das ist doch nicht mehr normal!“
„Hoppla, daher weht der Wind. Also doch Eifersucht, was? Glaubst du allen Ernstes, dass Papa daran denkt, einen Säugling zu seinem Alleinerben zu machen? Glaubst du das wirklich?“
Norbert wand