Geschichten aus Friedstatt Band 2: Flammendurst. Christian Voss. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christian Voss
Издательство: Bookwire
Серия: Geschichten aus Friedstatt
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742781253
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mit denen er an der Wand fixiert war. Er stank, eigentlich gehört dieser Kerl in den Regen, sinnierte Fizzgert, während er sich an dieser bemitleidenswerten Kreatur vorbei schlich.

      Theowald saß, wie gewöhnlich, auf seinem Schemel. Er war in seine Schriften vertieft. Seine Feder quietschte grob, über den Hinrichtungsbefehl. Seine Hand war ungelenk, die Schrift unleserlich, Art eines Kindes.

      "Huh, bist nass geworden?" Fizz nickte stumm, er schätzte diese Art Unterhaltung nicht sehr. Der Folterknecht widersprach seinem Berufsethos. Fizz sah sich eher als eine Art Heiler. Er schnitt die Geschwüre aus der Mitte der Gesellschaft. Seiner Ansicht nach war Theowald ein verdammter und verachtungswürdiger Sadist.

      Theowald machte, im Grunde, nur seine Arbeit und das schon seit fünfzig Jahren und sehr anständig und gewissenhaft. Nicht ganz regelkonform – aber durch die Kenntnisse des menschlichen Körpers, gelang es ihm die höchstmögliche Qual zu erzeugen, ohne das Opfer zu töten. Er heilte sie, nach seiner Ansicht, geschickt im Spannungsfeld zwischen Leben und Tod.

      Fizz strebte in seine Kammer. Er tauschte seine Kapuze gegen eine lederne Haube. Sie lief spitz zu und war mit einem Sehschlitz versehen. Die Öffnung ließ nur seine lebhaften Augen durchblitzen. Mit dieser ungewöhnlichen Kopfbedeckung blieb er vollkommen anonym. Er liebte die Unkenntnis seiner Zuschauer – denn sein Beruf genoss im Allgemeinen kein hohes Ansehen. Doch heute war ein besonderer Tag. Der Gefangene, der so kümmerlich in der Ecke hockte und stank wie eine Rotte Schweine, war angeblich ein hohes Tier der Garnison – ein Ordensritter des Mondsichelordens. Angeblich war er in die Stadt gelangt und in der Nacht von der Stadtwache aufgegriffen und auch gleich abgeurteilt worden – er stellte den kümmerlichen Rest der neuen Garnisonsarmee dar, die vor den Toren von den Orks vollkommen aufgerieben wurde.

      Fizz kümmerten die Umstände nicht, er war hier um das Urteil zu vollziehen und das hieß immer: Tod.

      Als er endlich sein Richtschwert nahm und nach außen trat, regnete es immer noch. Der Hof war voll. Trauben von Menschen standen dort – dicht an dicht. So einen Zuspruch an dieser fraglichen Zeremonie war mehr als ungewöhnlich. Es rührte wohl daher, dass der erste Auftritt der Garnison nach Jahren, so eine Pleite war, und nun endlich ein gemeinsames Feindbild entstand, welches die Massen im Geiste einigte. Der Truchsess schürte natürlich mit seinem unverantwortlichen Handeln diese Fehde, zwischen einem unbekannten König und Thronanwärter und seiner Wenigkeit. Ehrengeist hielt an seinem Machtanspruch fest, schalten und walten wie er wollte und sich nicht von Dritten hereinreden lassen, in seine mannigfaltigen und zweifelhaften Geschäfte, von einem dahergelaufenen Emporkömmling in silberner Rüstung erst recht nicht – das war sein Begehr.

      Ehrengeist hatte für sich entschieden: die Stadt brauchte ihn und keinen König. Und so blieb der Thron bis auf weiteres verwaist und der greise Bastard an der Macht.

      Hochrufe schlugen dem überraschten Fizzgert entgegen. Der verschämt sein Antlitz senkte. So einen Andrang hatte er nicht erwartet. Gemessenen Schrittes eine gewisse Würde ausstrahlend, bahnte er sich einen Weg durch die Masse. Brav traten die Anwesenden zur Seite. Den Truchsess suchte man vergeblich – der lag sicher wieder in einem Bett mit einer seiner zahlreichen Kurtisanen.

      Hinter ihm trat der Gefangene auf den Platz, flankiert von zwei Wachen. Seine Ketten klirrten und der dürre Kerl versank ein stückweit in dem morastigen Boden. Es regnete in Strömen. Schon nach ein paar Schritten waren alle auf dem Platz vollkommen durchnässt, doch das minderte die Stimmung nicht. Hochrufe und Klatschen begleiteten den Scharfrichter während er, in einstudierter, würdevoller Haltung, auf das Podest trat. Die Wachen führten den gebrochenen Mann direkt zum Richtblock, der heute ausnehmend glänzte. Das Wetter schien seinen Bürgern heute zu zürnen.

      Der Mann blieb still. Eilfertig und vollkommen gelassen kniete er sich hin und legte seinen Hals in die halbmondförmige Aussparung im Richtblock.

      Plötzlich stieß ein Wind herab, eine tosende Welle – lautlos hatte er sich angeschlichen. Gerade als Fizz im Begriff war sein Schwert zu heben, erfasste ihn diese tosende Säule und riss ihn von der Platte. Die Menge drückte sich zu Boden und kauerte sich schutzsuchend an die umgebende Hofmauer. Hüte wirbelten empor, die Leute kreischten. Dieser Wirbelwind verzog sich heulend, genauso schnell wie er gekommen war und riss Staub und Steine mit sich fort. Fizz war benommen, nur mit Mühe raffte er sich auf. Die Leute erhoben sich der Reihe nach. Niemand schien verletzt.

      Fizz machte sich gerade, rang nach Haltung und stieg auf sein Podest zurück. Der Delinquent harrte weiterhin am Boden aus, als wäre nichts geschehen. Aber jetzt als Fizz sein Schwert in die Hand nahm, geschah etwas

      Außergewöhnliches. Ein Seufzen ging durch die Menge und schwärmende Blicke flogen ihm zu. Frauen drängten sich nach vorn. Ihre Gesichter strahlten, verträumte Augen wurden von sinnlicher Glut erfüllt.

      Regen tropfte herab. Er spürte die ersten neuen Tropfen, wie sie an seiner Wange kalt hinab liefen. Seine Zunge glitt über seine Lippen. Er spürte mit Wohlwollen die kühle Feuchtigkeit auf seinen Wangen.

      Seine Maske war fort, er sah sie ganz in der Nähe im Dreck liegen. Selbst die Wachen sahen ihn sprachlos an. Niemand hatte Fizz bisher ohne seine geliebte Haube gesehen. Ein vielstimmiges Raunen ging durch die Menge auf dem Richtplatz, nachdem sich das erste Erstaunen gelegt hatte. Seine feinen Gesichtszüge, die für alle Anwesenden gut sichtbar waren, zeugten – ganz fraglos, von einer edlen Herkunft. Noch nie hatte jemand einen des legendären weisen Volkes gesehen. Seine Haare waren blond, seine Augen mandelförmig, die Ohren leicht zugespitzt.

      Die Damen jauchzten, die Herren blickten angewidert nach oben. Ein Hochelf hatte sich in ihre Reihen verirrt und jahrelang unentdeckt unter ihnen geweilt und dazu noch als Scharfrichter – das war ein unerhörter Zustand.

      Als sich Fizz seiner Blöße bewusst war, zog er sich augenblicklich zurück. Seine Maske grub er aus dem Dreck – unter dem verwirrten Blick der Masse, bahnte er sich eilig einen Weg in Richtung Tor. Bevor auch nur einer der Anwesenden aufbegehrte, fand er seinen Weg auf die Straße und stahl sich davon. Er eilte unverrichteter Dinge zu seinem Haus, das ganz in der Nähe stand, angelehnt an den äußeren Wall, weit ab vom lärmenden Zentrum der Stadt. Dabei hielt er krampfhaft seine Maske in den kalten Händen. Ein kleiner Friedhof war ganz in der Nähe, niemand bei Verstand wollte hier wohnen, nicht mal die Toten der Bürgerlichen wurden hier begraben, ausschließlich Gerichtete wurden in dem unheiligen Boden notdürftig verscharrt.

      Die Hinrichtung wurde verschoben. Glowid war anwesend, und stellte dem ahnungslosen Elfen sofort nach. Theowald schwieg sich aus, der Kerl blieb stumm wie ein Fisch. Die hiesige Wochenzeitung brauchte einen Aufmacher, und dort vorne floh er – leichtfüßig und ziemlich schnell. Die Straßen zeigten sich seifenglatt und so fiel Glowid das eine oder andere Mal hin. Er fluchte und beobachtete frustriert, wie der Elf in seinem windschiefen Haus verschwand. Glowid wusste, als erfahrener Berichterstatter, wo seine Grenzen lagen und die waren soeben erreicht, genau vor der schweren verwitterten Holztür des Scharfrichters Fizzgert. Er unternahm gar nicht erst den Versuch, durch anhaltendes Klopfen auf sich aufmerksam zu machen. Er setzte sich auf den Treppenabsatz und starrte eine Zeit lang nachdenklich vor sich hin. Der Regen hatte erneut eingesetzt. Ein Wind pfiff und heulte, von der Leine gelassen, durch die Straßen und trieb einige herrenlose Katzen vor sich her, die über ihr nasses Fell klagten. Eine weitere kleine Windhose kreuzte in Höhe des Gefangenenfriedhofs die enge Gasse und riss ein paar Schindeln von den Dächern der baufälligen Häuser, die hier überall in der Weitweggasse, tief geneigt, und verlassen vor sich hin rotteten. Was war zu tun? – die Story musste er unbedingt haben – ein Hochelf inmitten von Friedstatt und dann noch inkognito – und zu allem Überfluss als Henker maskiert – unglaublich, das war der Knaller. Glowid entschloss sich zum Gefängnis zurückzukehren, vielleicht bekam er ja doch noch etwas aus den Wachen und diesem, wie hieß er doch gleich? – Theowald heraus.

      Missmutig verließ er die Weitweggasse, er sah sich noch mehrfach um, aber der Elf ließ sich nicht mehr blicken.

      Fehgarwin alias Fizzgert, saß in seinem bequemen Sessel und blickte unbewegt ins Feuer. Es knisterte fröhlich, während es eine behagliche Wärme in der kleinen und niedrigen Stube verteilte.

      Die