In einer Nacht am Straßenrand. Ben Worthmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ben Worthmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738024999
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noch einen Tisch draußen unter einem der großen Sonnenschirme.

      Nina Winkler kam mit ein paar Minuten Verspätung. Diesmal hatte sie kein Kleid an, sondern Jeans-Shorts und ein geripptes weißes Top. Es saß sehr eng, man konnte sehen, dass sie nichts darunter anhatte. Über der Schulter trug sie eine bunte geflochtene Tasche. Ihre Sonnenbrille hatte sie hoch in ihr kurzes Haar geschoben. Wieder fielen ihm ihr Gang und ihre Haltung auf - Anmut, gemischt mit einer gewissen schlaksigen Burschikosität, die jetzt von ihrem legeren Outfit noch unterstrichen wurde. Sie war wohl doch noch ein Stück weiter von den dreißig entfernt, als er zunächst am Freitagabend gedacht hatte.

      Sie winkte ihm zu, als sie ihn entdeckt hatte. Er wollte aufstehen, um sie zu begrüßen, aber sie ließ sich sofort mit einem kleinen Seufzer auf den Stuhl gegenüber sinken und streckte ihre langen Beine aus. An den Füßen trug sie Ballerinas.

      „Puh, ist das wieder eine Hitze“, stöhnte sie. Er hob die Hand, als die Bedienung vorbeikam. Nina Winkler ließ sich eine Cola bringen, er Wasser und einen Mokka. Sie mussten zum Glück nicht lange darauf warten.

      „Sie sehen aus, als wollten Sie zum Strand. Aber den gibt’s ja hier leider nicht, nur den See“, sagte er und spürte eine leichte Verlegenheit.

      „Mal gucken, vielleicht gehe ich gleich noch schwimmen.“

      „So gut möchte ich es auch haben. Müssen Sie denn nicht arbeiten?“

      „Sie sind wohl ein bisschen neugierig, was?“

      Da war er wieder, dieser plötzlich etwas kokette Unterton, wie am Freitagabend.

      „Berufskrankheit.“

      „Hui, das klingt ja geheimnisvoll.“

      „Das müssen Sie gerade sagen.“

      „Wie meinen Sie denn das nun? Übrigens, wie haben Sie mich überhaupt ausfindig gemacht? Wir haben uns einander ja nicht mal vorgestellt.“

      „Beziehungen, ein Anruf genügt.“

      „Nein, jetzt mal im Ernst“, sagte sie und wirkte leicht verunsichert.

      Leonhard wies auf das Gebäude des „Morgenkurier“ schräg gegenüber.

      „Mein Arbeitsplatz ist dort.“

      „Sie sind bei der Zeitung? Reporter oder so?“

      „Genau“, sagte er und konnte es nicht lassen, noch hinzuzufügen: „Vielleicht haben Sie ja meinen Namen schon einmal gelesen.“

      Sie blickte ihn ernst und ein bisschen forschend an, ging aber nicht darauf ein. Ihre Augen waren von einem sehr dunklen Grün.

      Er wollte jetzt eine rauchen. Er nahm seine Zigarettenschachtel aus der einen Tasche des Sakkos, das er über den Stuhl gehängt hatte, aus der anderen holte er das Pillendöschen hervor und legte es ihr hin.

      „Hier, damit wir das Wichtigste nicht vergessen.“

      Sie griff rasch danach und ließ es sofort in ihrer bunten Tasche verschwinden.

      „Vielen Dank“, sagte sie und errötete leicht.

      „Wer ist denn eigentlich B.B.?“, fragte er und bot ihr eine Zigarette an, bevor er sich selbst eine anzündete. Sie hielt ihre vorsichtig zwischen ihren schmalen Fingern, nicht wie eine geübte Raucherin. Erst jetzt fiel ihm auf, dass ihre Nägel nicht mehr rot lackiert waren. Einen Ehering trug sie nicht.

      „Brigitte Bardot, Bert Brecht oder Benjamin Brittain ja wohl eher nicht“, versuchte er es, als sie nicht auf seine Frage reagierte.

      „Nun seien Sie mal nicht zu neugierig, Herr Reporter“, sagte sie und klang plötzlich ein bisschen schnippisch.

      „Na ja, ich weiß ja so gut wie nichts über Sie – nur, dass Sie einen schicken offenen Zweisitzer fahren und manchmal abends anhalten müssen, weil ihnen etwas flau ist.“

      „Ach, das...“ Sie verzog leicht das Gesicht.

      „Und was machen Sie sonst so?“

      „Im Moment, ehrlich gesagt, gar nichts. Ich habe erst kürzlich mein Medizinstudium beendet und bin jetzt auf Jobsuche. Hab mir ein bisschen viel Zeit gelassen damit.“

      Sie bemerkte offenbar seinen fragenden Blick.

      „Als Nächstes wollen Sie wahrscheinlich wissen, wieso eine Langzeitstudentin einen Sportwagen fährt. Nun, ich werde von zu Hause großzügig subventioniert. Verwöhntes Einzelkind und so.“

      Sie sagte das mit einem etwas spöttischen Lächeln.

      „Und Ihre Eltern, wohnen die ebenfalls hier?“

      „Nein. Und ich habe bis vor Kurzem auch nicht hier gewohnt. Schließlich gibt’s ja hier keine Uni.“

      Sie drückte ihre Zigarette aus und schwieg. Leonhard hätte sie gern gefragt, weshalb sie hierher gezogen war und auch noch einiges mehr. Aber er hatte das Gefühl, dass seine Fragen ihr nicht besonders angenehm waren. Und sie wiederum schien auch nicht daran interessiert zu sein, ihm weitere Fragen zu stellen, beispielsweise, ob er Kinder hatte oder wie lange er schon verheiratet war. Ihr konnte ja wohl kaum entgangen sein, dass er einen Ehering anhatte. Und er arbeitete bei der Zeitung. Das allein machte die meisten Menschen neugierig.

      „Halte ich Sie eigentlich nicht von der Arbeit ab?“, fragte sie nur.

      „Nein nein, keine Sorge, so sehr eilt das nicht.“

      Gern hätte er sich länger mit ihr unterhalten, und zwar richtig. Er merkte, dass es ihm gefiel, mit ihr zusammen hier zu sitzen. Sie war, nun ja, irgendwie interessant – ganz abgesehen von ihrer unbestreitbaren Attraktivität.

      „Aber ich glaube, ich muss auch mal so allmählich los.“ Sie begann in ihrer Tasche zu kramen und holte ihr Portemonnaie hervor.

      „Lassen Sie mal, ich mache das schon“, sagte Leonhard und setzte dann, ohne recht zu wissen, weshalb, hinzu:. „Was meinen Sie, sehen wir uns mal wieder?“

      „Weiß man's?“, sagte sie und blickte ihm ein paar Sekunden voll ins Gesicht. Ihre Augen waren schön. Nicht nur ihre Augen.

      Dann stand sie auf, er ebenfalls, und sie gaben einander die Hand. Ihre fühlte sich schmal und weich an, doch der Druck war fest.

      „Und vielen Dank noch einmal für alles.“

      Er blieb noch sitzen, um zu bezahlen, und sah ihr nach. Auch von hinten sah sie wirklich gut aus.

      Für die paar Schritte zurück in die Redaktion ließ er sich viel Zeit.

      4. Kapitel

      In der Redaktion wurde er bereits von seinen Kollegen erwartet. „Gut, dass du endlich kommst. Wir wollten dich schon anrufen. Es gibt Arbeit für dich.“

      „Immer mit der Ruhe, was ist denn los?“

      „Wir haben eine prominente Leiche. Eben kam eine Mitteilung von der Polizei. Sie haben Bruno Böhning gefunden, drüben im Stadtwald, nicht weit von der Landstraße. Am besten rufst du da gleich mal deine Spezis an.“

      Leonhard brauchte ein paar Sekunden, um zu begreifen, was er da hörte. Dann zuckte innerlich zusammen, während sich die einzelnen Worte zu einer Kette verwirrender Assoziationen fügten. Bruno Böhning – B.B. - Nina Winkler und ihr Pillendöschen - die Landstraße am Stadtwald. Du lieber Himmel, was war denn das nun? Konnte es tatsächlich so viele Zufälle geben? Seine Gedanken überschlugen sich. Er durfte sich jetzt bloß nichts anmerken lassen und musste erst mal einen kühlen Kopf bewahren, um seinen Job zu erledigen.

      „Bin schon dabei.“

      Er öffnete sein Büro und machte die Tür hinter sich zu, etwas heftiger als nötig. Er ließ sich in seinen Schreibtischstuhl fallen, legte die Füße hoch, nahm sie wieder herunter und lief einige Schritte hin und her. Er steckte sich eine Zigarette an. Das hätte er jetzt auch getan, wenn er kein eigenes Zimmer