Samruk - Alte Schwüre. Nina Heyer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nina Heyer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753189659
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wie Ebenholz, die Lippen rot wie Blut.

      Langsam strich sie mit den besudelten Fingern über ihren Mund und verharrte ein paar Minuten, bis ihr Puls sich normalisiert hatte. Dann erhob sie sich, ging in das Badezimmer, das direkt an das Schlafzimmer grenzte und stellte sich unter den heißen Wasserstrahl der Dusche. Mit geschlossenen Augen genoss sie das Gefühl, rein gewaschen zu werden.

      Von allem Blut. Von allen Sünden.

      Rote Rinnsale flossen über ihre Haut und verbanden sich auf der weißen Keramikoberfläche zu einem breiten Fluss, der sich nach wenigen Minuten klärte. Dampf stieg auf und füllte den Raum. Nichts war zu hören, außer dem Prasseln des Wassers. Ruhe erfüllte Ping.

      Sie hatte es nicht eilig. Niemand würde sie stören. Der Mann im Schlafzimmer hatte keine Familie und nur wenige Freunde. Eher Bekannte. Er lebte für seine Arbeit. Was war also falsch daran, für seine Arbeit zu sterben?

      Als Ping fertig war, stellte sie sicher, dass sie keine Spuren in der Dusche hinterlassen hatte und rieb sich mit einem kleinen mitgebrachten Handtuch ab, dass sie danach wieder in ihrer Handtasche verstaute. Dann holte sie die große Sprühdose hervor, nebelte damit das Badezimmer ein und verteilte das Mittel überall dort in der Wohnung, wo sie Spuren hinterlassen haben könnte. Als Letztes war der Leichnam dran. Das große Küchenmesser wanderte in eine Plastiktüte und dann in ihre Tasche.

      Sie zog sich an, schlüpfte in ihre Pfennigabsätze und ließ ein letztes Mal den Blick über den Tatort gleiten. Die Wohnung war nicht sonderlich üppig eingerichtet. Die wenigen Schubladen, die es gab, hatte sie herausgezogen und ausgeschüttet, Schranktüren standen offen, Flaschen waren zerbrochen. Die Polizei würde ein Verbrechen aus Leidenschaft oder die benebelte Tat eines Junkies vermuten. Schließlich war Rom keine ungefährliche Stadt und manchmal machte sie selbst vor den Männern Gottes nicht halt. Vor allem, wenn diese ihre Prinzipien für ein paar Stunden käuflicher Gesellschaft in den Wind schossen.

      Dieser hier war zwar einer von den Guten, nur leider war seine Neugier größer gewesen als seine Vorsicht und wenn jemand de Santi im Weg stand, mussten gewissen Vorkehrungen getroffen werden, egal wie gut die Seele war, die Ping dafür ins Jenseits schicken musste. Sie sah hinab auf den Leichnam, sprach ein stummes Gebet für den Geistlichen und verließ die kleine Wohnung am Ufer des Tiber.

      5.

      »Was zur Hölle ist das?!« Silas drehte sein Gesicht vor dem Spiegel hin und her. Aus dem Glas glotzte ihn etwas an, dass ihn entfernt an den Film »Die Fliege« erinnerte. Ein breites Brillengestell aus schwarzem Kunststoff rahmte dunkle Gläser ein, die in drei verschiedene Sehstärken unterteilt waren. Je nachdem, wie er den Kopf drehte, kamen ihm Objekte näher, oder entfernten sich ein Stück. An der rechten Seite des Rahmens ragte etwas hervor, das die Größe einer Kidney-Bohne besaß und sich auf einem winzigen Scharnier in sämtliche Richtungen drehen konnte. Am unteren Rand der Brillengläser befanden sich drei winzige Knöpfe, die man eher ertasten als sehen konnte. Die ganze Apparatur wurde durch ein dünnes, elastisches Band gesichtert, das kaum unter Silas’ blondem Haarschopf auszumachen war.

      Stolz blickte Napier auf seinen neuesten Geniestreich.

      »Es lässt sich als mehrstufige Lupe, Nachtsichtgerät und als Infrarotkamera benutzen. Das kleine Ding an der Seite ist eine drehbare, hochauflösende Kamera, deren Bild direkt zum Van übertragen wird. Mikrofon und Ohrstecker sind integriert. Dieses Schätzchen ist wasserdicht, schlag- und kratzfest und wird deinen bescheidenen Coolness-Faktor ins Unermessliche steigern. Ich bastel schon seit ein paar Wochen daran herum. Der Hammer, oder?«

      Silas betrachtete sich kritisch im Spiegel. Sein Verständnis von »cool« war meilenweit von dem entfernt, was Napier darunter verstand, aber er konnte nicht leugnen, dass dieses Gerät bei seiner Arbeit mehr als hilfreich sein würde. Er testete die verschiedenen Funktionen, die alle einwandfrei funktionierten und ein Blick auf den tragbaren Bildschirm bestätigte, dass die Kamera ein messerscharfes Bild lieferte. Von seinem Laptop aus, konnte Napier die Bewegung der Kamera steuern, zoomen und alles aufzeichnen.

      »Meinst du, wir könnten die nächste Edition etwas ... naja ... unauffälliger gestalten?«

      »Unauffällig? Was meinst du mit unauffällig?«

      Silas blickte Napier mit Augen an, die durch die dicken Brillengläser in unterschiedliche Größen zerstückelt schienen.

      »Ich meine damit, dass deine Kreation durchaus einen Nutzen hat, ich damit allerdings aussehe wie etwas aus einem miesen Sci-Fi-Film. Ich wäre dir sehr dankbar, wenn du bei deinen zukünftigen Experimenten ein etwas schlichteres Design wählen würdest.«

      Napier starrte ihn an und wendete sich dann mit einem empörten Schnaufen ab. Verwünschungen brummend holte er eine Reisetasche aus dem Schrank und warf sie Silas vor die Füße. »Zieh dich um, du undankbarer Mistkerl. Wir sind T minus dreißig Minuten bis zum Lift-Off.«

      »Du meinst, in einer halben Stunde geht’s los?«, fragte Silas trocken.

      »ZIEH DICH EINFACH UM!« Napier verzog sich Türen knallend ins Nebenzimmer.

      Zwanzig Minuten später war Silas fertig. Sein Outfit war schwarz und bestand aus einer Cargo Hose, einem eng anliegenden Langarmshirt und schmalen Kletterschuhen, in denen er sich geräuschlos wie eine Katze bewegen konnte. Das blonde Haar wurde von einer dünnen Baumwollmütze verdeckt. Er trug einen leichten Rucksack, in dem er das verstauen würde, was sich im Altar befand. Was immer das sein mochte. De Santi hatte hierzu keine Angaben gemacht. Alles was sie wussten, war, dass es sich um ein altes Artefakt handelte, das wider Erwarten nicht mit größter Vorsicht transportiert werden müsse. Es sei stabil genug, um in einer schnellen Hau-Ruck-Aktion aus dem Stein entfernt und in einen Rucksack gestopft zu werden, ohne dabei Schaden zu nehmen.

      So manches an diesem Auftrag schmeckte seltsam. Der Auftraggeber, dessen Stimme etwas ausstrahlte, das einem das Gefühl gab, einer Kobra gegenüberzustehen, die sich auf den tödlichen Sprung vorbereitete. Das unverschämt hohe Honorar, das für diesen Diebstahl gezahlt wurde. Das Artefakt, das angeblich seit fast zwei Jahrtausenden in diesem Stein steckte und von dem keine Hintergrunddetails bekannt waren. Im Normalfall erhielten sie Infos, tauschten sich häufig persönlich mit den Auftraggebern aus; meist enorm reiche Kunstliebhaber, die der Meinung waren, viel Geld befreie einen von allen moralischen und gesetzlichen Verpflichtungen. Es handelte sich um die Art von Menschen, die ihm die Jugend zur Hölle gemacht hatten, aber manchmal musste man die Gier anderer ausnutzen, um seinen eigenen Zielen näher zu kommen. Und Silas wusste genau, wie diese Leute funktionierten. Wie sie dachten, handelten, was ihre Beweggründe waren. Und er konnte erkennen, ob sie harmlos waren. Die meisten waren zahm wie Lämmer und gierten einfach nur danach, etwas zu besitzen, das ein van Gogh gemalt, oder ein unbekannter Grieche vor Jahrtausenden aus Gold geformt hatte.

      Zweifel stiegen in ihm auf. Er hatte von Anfang an ein schlechtes Gefühl hierbei gehabt. Und dieses Gefühl sagte ihm, dass sie sich in eine Schlangengrube begeben hatten, aus der es möglicherweise keinen Fluchtweg gab.

      6.

      Ping bewegte sich zielstrebig durch die Flure des Herrenhauses, ohne die ausgestellten Kunstwerke, die antiken Bücher und die uralten Artefakte auch nur eines Blickes zu würdigen. Wie eine Drohne steuerte sie auf ihr Ziel zu, darauf programmiert nur einem Zweck zu dienen. Vor der Tür aus dunklem, schwerem Holz blieb sie stehen und wartete. Ein paar Sekunden später ertönte ein kaum hörbares Summen, ein leises Klicken und die Tür öffnete sich einen Spaltbreit. Ping ging hindurch und schloss die Tür hinter sich. Das Büro war größtenteils in dunklem Holz gehalten. Deckenhohe Bücherregale beherbergten die größten Schätze in diesem Haus. Schriften, die so alt waren, dass sie in gläsernen Kästen aufbewahrt werden mussten, in denen Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Gasgemisch so kalibriert waren, dass die dünnen Papyrusseiten nicht dem Drängen der Zeit nachgaben und zu Staub zerfielen. Artefakte, die in speziellen Flüssigkeiten schwammen, weil nur ein kurzer Luftkontakt deren Ende bedeutet hätte. Notizbücher, Tagebücher, Akten über Vorfälle und Personen, die jeden Verschwörungstheoretiker vor Glück zum Weinen gebracht hätten. Dieser Raum war ein Tresor, in dem Geheimnisse lagerten, die sich kaum ein Mensch vorstellen konnte und wenn doch, würde man ihn