„Mein Bruder ist nicht hier“, schnappte Sharon. „Und über die Neugestaltung der Regierung haben wir bereits zu genüge diskutiert.“
„Es steht aber immer noch die Bildung eines Rates aus“, hob Aurelia an.
„Die Mitglieder des Rates stehen so gut wie fest“, entgegnete Sharon ungerührt. „Neben Norwin als dein Berater, werden der oberste Befehlshaber der Armee und drei Stellvertreter aus der Bevölkerung ein Teil davon sein. Bleibt nur abzuwarten, wer die Adelshäuser vertreten wird und wen... nun... sagen wir mal, wen die nicht so vermögende Bevölkerung auserwählt.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Kein Grund sich deswegen den Kopf zu zerbrechen. Da ihr allerdings die Gründung von Zaubererschulen erwägt, würde ich euch empfehlen zusätzlich jemanden in den Rat zu berufen, der die magisch begabte Bevölkerung vertritt. Constantin zum Beispiel.“ Sie reckte die Arme über den Kopf. „Für mich ist der Plan ziemlich klar. Somit denke ich, habe ich mir auch eine kleine Auszeit verdient.“
„Sharon - ich bitte dich“, versuchte Aurelia einen erneuten Einwand.
„Aurelia. Ich kann auf mich selbst aufpassen. Ich habe ebenfalls in der Schlacht gegen den Schattenkönig gekämpft, falls du es vergessen haben solltest“, sagte sie schroff.
Kyle beugte sich dicht zu Aurelia heran. „Lass es gut sein. Du wirst sie nicht umstimmen“, flüsterte er.
„Aber sie handelt auf eigene Faust. Ich mag mir nicht ausmalen, was geschieht, falls ihr etwas zu stößt“, gab sie leise zurück. „Sie ist so ein Dickkopf!“
Kyle lachte an ihrem Ohr. „Ganz genau wie du.“
Ihr Ellbogen traf ihn in die Seite und er stieß einen leisen Schmerzenslaut aus.
„Na schön. Ich kann dich eh nicht aufhalten“, gab Aurelia endlich auf. „Damit wäre das Treffen auch beendet.“
Sharon seufzte erleichtert, streckte die Arme von sich und schritt an Aurelia vorbei zur Tür. „Dann sehen wir uns später zum Essen“, sagte sie über die Schulter hinweg und verschwand.
Arvid Nader und Schatzmeister Ludbrock räumten ebenfalls ihre Sachen zusammen und verließen gemeinsam den Raum. Norwin wechselte einige kurze Worte mit Kyle, ehe auch er sich auf seine Gemächer zurückzog.
Constantin trat an Aurelia heran und musterte sie kurz. „Hast du einen Moment für mich?“, fragte er leise.
Aurelia wandte sich an Kyle.
„Ich warte draußen“, sagte er und ließ die beiden allein.
„Also...“ Aurelia drehte sich zu Constantin um. „Ich hatte noch gar keine Gelegenheit dir zu deiner Position als Oberhaupt des Ordens zu gratulieren.“ Sie versuchte ein freudiges Lächeln, aber der Schmerz über Meisters Albions Tod war noch zu stark.
„Danke“, sagte Constantin heiser. „Ich konnte immer nur erahnen, wie es für dich gewesen sein musste, als man dir plötzlich so viel Verantwortung auferlegt hat. Jetzt kann ich es nachempfinden.“ Ein schiefes Lächeln huschte über sein Gesicht. „Es ist kein einfaches Los.“
Sie griff nach seinen Händen und drückte sie. „Trotzdem freue ich mich darüber, dass du den Orden im Sinne unseres Meisters weiterführen wirst. Er wäre stolz auf dich.“
„Er wäre genauso stolz auf dich, wenn er dich heute hätte sehen können“, gab Constantin zurück.
Für einen Moment schwiegen sie.
„Ich bin froh, dass du in Kyle jemanden gefunden hast, dem du dein Leben anvertrauen kannst.“ Aurelia sah ihn überrascht an. „Schau nicht so. Ich kann mir euch zwei ohne einander gar nicht mehr vorstellen.“
Ihr Gesicht begann zu erröten und sie musste seinem Blick ausweichen. „Danke sehr“, sagte sie verlegen.
„Bisher dachte ich, ich wäre die Person, die dich am besten kennt. Aber diesen Posten muss ich jetzt wohl endgültig abtreten. Trotzdem....“ Er drückte ihre Hände und sie sah ihn wieder an. „Ich werde immer für dich da sein. Als dein bester Freund.“
Seine braunen Augen strahlten sie an und erinnerten sie an ihre gemeinsamen Kindertage.
„Freunde für immer“, sagte sie und erwiderte sein Lächeln. „Wann wirst du aufbrechen?“
Constantin machte ein nachdenkliches Gesicht. „Da ich noch einige Vorbereitungen treffen muss, schätze ich, in drei bis vier Tagen.“
„Ich hoffe, du bist rechtzeitig zur Hochzeit wieder zurück.“ Aurelia machte ein ernstes Gesicht und stach ihm mit einem Finger in die Brust.
„Keine Sorge“, lachte er. „Als ob ich mir das Essen entgehen lassen würde.“
Daraufhin mussten sie beide herzlich lachen.
„Im Ernst“, sagte sie dann. „Sei bitte vorsichtig... und halte ein wachsames Auge auf Sharon. Ich möchte nicht, dass ihr etwas zustößt und es dadurch zu Spannungen zwischen unseren Ländern kommt.“
„Ich denke, sie wird ein wachsames Auge auf mich halten.“ Constantin verdrehte theatralisch die Augen. „Seit der Schlacht verfolgt sie mich regelrecht.“
„Du bist scheinbar ihr Held“, kicherte Aurelia.
„Sehr witzig“, grollte er. „Falls es dich beruhigt: Ich plane erst zum Orden zu reiten. Mit etwas Glück kann ich sie dort zurück lassen und mich auf eigene Faust in den Dörfern umhören.“
„Ist gut“, sagte sie und nickte. Dann machte sie einen Schritt auf ihn zu und umarmte ihn. „Ich werde dich vermissen. Pass auf dich auf und komm schnell wieder zurück.“
„Das werde ich“, versprach er.
Sie umarmten sich noch einen Moment lang, dann lösten sie sich voneinander und verließen den Raum. Constantin verabschiedete sich und schritt den Gang hinunter. Aurelia blieb bei Kyle, fasste seine Hand und verschränkte ihre Finger mit den seinen.
„Geht es dir gut?“, fragte er und sah sie besorgt an. Schweigend nickte sie und lehnte sich an seine Schulter. „Ich liebe dich“, sagte sie leise.
Kyle strich ihr zärtlich über das Haar und hauchte einen Kuss auf ihren Scheitel. „Ich liebe dich auch.“
Kapitel 4
Constantin bog um eine Ecke und hörte Stimmen auf dem Gang. Erstaunt blieb er stehen und lauschte. Wenn er sich nicht täuschte, waren es die Stimmen von Kyle und Raik. Verwundert ging er weiter. Die Stimmen wurden deutlicher, so dass er einzelne Worte verstehen konnte. Als er um die nächste Ecke bog, sah er die beiden auf einem Sofa auf dem Gang sitzen. Sie lachten laut, als Constantin näher kam.
„Ah Constantin!“, rief Raik als er ihn bemerkte.
„Hallo“, sagte Constantin und blieb bei den beiden stehen. „Wie ich sehe, seid ihr wieder zurück. Das muss mir wohl völlig entgangen sein.“
Raik wedelte abwehrend mit einer Hand und lächelte entschuldigend. „Wir sind heute Vormittag zurückgekehrt. Noch weiß fast niemand davon.“
„Wenn das so ist... Ich hoffe ihr habt euch gut erholt?“ Constantin musterte Raik eingehend und fand, dass er beinahe erschöpfter wirkte, als vor seiner Abreise.
„Wir haben uns bemüht. Lillith und ich waren im Norden. In Vijlen, dem größten Hort unseres Volkes.“
Raiks Lachen wirkte unecht und Kyle runzelte die Stirn. „Hat sich die Lage im Norden gebessert?“
Raik ließ sich Zeit mit der Antwort. „Nein. Nicht wirklich. Was soll ich sagen... es herrschen im Moment unruhige Zeiten“, meinte