Pestalozzi stand jetzt auf der Höhe seines Ruhmes. In seiner Anstalt wurde eifrig und begeistert gearbeitet. In schönem Wetteifer spannte jeder seine Kräfte aufs höchste an. Unter den Mitarbeitern treten seit dieser Zeit die zwei Männer mehr und mehr hervor, die auf die weiteren Schicksale der Anstalt den größten – leider nicht dauernd heilsamen Einfluss üben sollten: Schmid und Niederer. Der Vorarlberger Joseph Schmid war 1801 mit 14 Jahren als Zögling in die Burgdorfer Anstalt eingetreten. Er bewies besondere Anlagen namentlich für die methodische Bearbeitung der Mathematik und wurde bereits nach zwei Jahren als Unterlehrer in diesem Fach beschäftigt.
Johannes Niederer – 1779 – 1843
https://de.wikipedia.org/wiki/Johannes_Niederer_(Geistlicher)
Johannes Niederer aus Bretten im Kanton Appenzell (geboren 1779) hatte ernste theologische und philosophische Studien gemacht und bekleidete bereits seine zweite Pfarrstelle, als er 1800 durch seinen Freund Tobler mit Pestalozzi bekannt wurde; im Jahre 1803 trat er unter Verzicht auf sein Amt in das Institut ein. Ihm fielen hauptsachlich der theoretische Ausbau der „Methode“ und die schriftstellerische Vertretung der Anstalt als Aufgabe zu, während Schmid der besonderen Anwendung der Methode auf die Mathematik eine neue, geschicktere Form gab. Dass beide Männer hierbei sehr selbständig zu Werke gingen, war nur in der Ordnung; bedenklicher schon, dass ihre Arbeiten durch Pestalozzis Namen gedeckt wurden. Aber Niederer hat dann vielfach auch eigene Schriften Pestalozzis nicht bloß stilistisch überarbeitet, sondern mehr und mehr auch inhaltlich von seinem Eigenen hinzugetan und dadurch Pestalozzis Lehre mehr oder minder verschoben oder wenigstens verdunkelt, namentlich ihr eine eigentümliche philosophische Wendung gegeben, die Pestalozzis eigner Denk- und Ausdrucksweise fremd war und später von ihm gänzlich verworfen wurde; eine Wendung, die überdies nicht mehr dem schlichten, rein methodischen Kritizismus Kants, sondern der absolutistischen Umdeutung entsprach, welche inzwischen Fichte und Schelling dem Kantischen „Idealismus“ gegeben hatten. Es gilt dies noch nicht von den im einzigen erschienenen Heft des „Journals für Erziehung“ oder „ Ansichten und Erfahrungen die Idee der Elementarbildung betreffend“ (1807) unter dem Titel „Ein Blick auf meine Erziehungszwecke“ vereinigten Pestalozzischen Fragmenten, die, wie die Vergleichung mit den erhaltenen Manuskripten ergibt, zwar in der Disposition und hin und wieder im Ausdruck, aber nicht im Inhalt von Niederer wesentlich geändert sind; wohl aber gilt das Gesagte von einigen in der „Wochenschrift für Menschenbildung“ (1807-1811) durch Niederer unter Pestalozzis Namen herausgegebenen Schriften, neben denen übrigens manches sich auch dort findet, was echt Pestalozzisch oder wenigstens ganz in Pestalozzis Geiste ist.
Über den weiteren Ausbau der Methode in den einzelnen Unterrichtsfächern ist in meiner Biographie (Kap. 6, §§ 3-8) ausführlich berichtet worden und wird zum Teil unten im dritten Kapitel zu berichten sein. Am besten gelang die volle Durchführung in den mathematischen Fächern, im mathematischen Zeichnen, in der Heimatkunde und in der Gesanglehre; auch die Anwendung auf die Körperbildung ist hochbedeutend und schlägt in der Hauptsache die richtige Bahn ein. Dagegen blieb die Bearbeitung des Sprach-, Geschichts- und Religionsunterrichts eingestandenermaßen unbefriedigend. So Tiefes und Wertvolles Pestalozzi zum Verständnis der Menschheitsentwicklung nach wirtschaftlicher, politischer und ethisch-religiöser Seite beigetragen hat, eine überzeugende Anwendung davon auf die Methode des Unterrichts in diesen Gebieten ist trotz unermüdlichen Bemühens weder ihm noch seinen Mitarbeitern geglückt; während, was in der Mathematik und in der Geographie geleistet wurde, die höchste Anerkennung auch so genialer, schöpferischer Forscher in diesen Gebieten wie Karl Ritter und Jakob Steiner fand, von denen der erste, obwohl aus der Schule der Philanthropinisten erwachsen, sich eng und mit tiefem Verständnis an Pestalozzi anschloss, der letztere direkt aus Pestalozzis Schule hervorging. Beide bekennen, geradezu die entscheidende Anregung zu ihren großen Forschungen Pestalozzi und seinen Ideen zu verdanken. Auch viele andere, auf den höchsten Stufen wissenschaftlicher und humaner Bildung stehende Besucher der Anstalt empfingen mächtige und nachhaltige Eindrücke von dem, was sie dort sahen und erlebten, vor allem freilich von der großen und dabei rührenden Persönlichkeit ihres Leiters; so Clausewitz, Benzenberg, Schwarz, Willemer, Mad. de Stael, Jullien u. v. a. Auch die besonneneren und fortgeschritteneren Pädagogen der älteren, philanthropinischen Schule, wie besonders Trapp, wandten sich mehr und mehr Pestalozzi zu. Zurückhaltender urteilte A. H. Niemeyer, der indessen doch auch bemüht ist, dem Verdienste des Mannes auf seine Weise gerecht zu werden. Von Jüngeren empfingen Herbart und Fröbel tiefgehende Einwirkungen von Pestalozzi, ohne sich in ihrer Selbständigkeit dadurch beschränken zu lassen; sie waren für sich zu bedeutend, um bloß Pestalozzianer sein zu wollen oder zu können.
So breitete sich der Einfluss des Pestalozzianismus besonders nach Deutschland mehr und mehr aus; er wurde heimisch in Frankfurt (durch Ritter, Mieg u. a.), in Wiesbaden (wo de Laspee eine Pestalozzische Anstalt begründete), in Bremen und sonst; namentlich aber konnte das tief erniedrigte Preußen, seit Fichte in den „Reden an die deutsche Nation“ (1808) auf Pestalozzis einzige Bedeutung hingewiesen und die Königin Luise in schwerer Trübsal in Pestalozzis Schriften Trost gefunden hatte, in dem edlen Bestreben seiner inneren Erneuerung nur bei ihm Heil suchen.
Karl Freiherr vom Stein Wilhelm v. Humboldt
Die leitenden Minister Freiherr vom Stein und Wilhelm v. Humboldt, wie deren Räte, Nicolovius, der schon seit einem Besuche in der Schweiz 1791 Pestalozzis begeisterter Verehrer und Freund war, und der tiefdenkende Süvern, alle waren einmütig für Pestalozzi erwärmt.
So wurde seit 1809 eine Anzahl angehender Lehrer („Eleven“) seitens der preußischen Regierung nach Iferten entsandt, um sich dort mit dem Geiste der Pestalozzischen Erziehungs- und Lehrart zu erfüllen und ihn dann in die Schulen Preußens zu verpflanzen; die tüchtigsten unter diesen, wie Kawerau, Henning und Dreist (die später vereint als Seminarlehrer in Bunzlau wirken durften), ebenso Ramsauer, Blochmann u. a. haben in jenen Jahren an den Arbeiten in Iferten tätig und erfolgreich teilgenommen. Gleichzeitig wurde der eifrige Pestalozzianer August Zeller nach Preußen (Königsberg) berufen, der freilich – wie Pestalozzi vorausgesehen hatte – die großen auf ihn gesetzten Hoffnungen nicht erfüllte, vielmehr durch törichtes Mechanisieren und dabei schroffes, allzu selbstbewusstes Auftreten die Sache Pestalozzis auch bei Besonneneren unverdienterweise unbeliebt machte. Mehr entsprach dem wahren Geiste Pestalozzis das von Plamann in Berlin begründete Institut. Aus ihm gingen Männer wie Jahn, Friesen und Harnisch hervor, die übrigens, ebenso wie die meisten der in Iferten selbst ausgebildeten Männer, und auch einige aus der älteren Schule, wie Ludwig Natorp, dem preußischen Pestalozzianismus eine freiere Wendung zu geben bemüht waren.
Noch einmal ergab sich für Pestalozzi ein Anlass, das Ganze seiner Ideen und Hoffnungen zusammenzufassen in der 1809 zu Lenzburg vor der „Schweizerischen Gesellschaft der Erziehung“ gehaltenen großen Rede „Über die Idee der Elementarbildung“. Es ist sehr zu bedauern, dass gerade diese bedeutende Schrift nur in Niedereis Überarbeitung vorliegt; doch heben sich dessen Zutaten meist schon durch den Stil ziemlich kenntlich heraus (s. darüber m. Biogr., Anm. 89 zu Kap. VI). Die Schrift gibt volle Klarheit über die Zentralstellung des Sittlichen in der gesamten menschlichen Bildung. In dem Satze, dass „die intellektuelle Bildung an sich schon den Menschen sittlich in Anspruch nimmt“, ist der Begriff des „erziehenden Unterrichts“ klar erreicht. Was die Schrift sonst, namentlich über die sittliche und religiöse Bildung beibringt, dient, ebenso wie die Ausführungen über denselben Gegenstand in den „Ansichten und Erfahrungen“, zu wesentlicher Ergänzung des in den letzten Abschnitten der „Gertrud“ Gesagten.
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