Endzeit. S. Mayer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: S. Mayer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754140109
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schon Einsein gesagt: ein leerer Magen war ein schlechter Ratgeber, und er war sicher, dass im nächsten Moment ein Knurren ertönen wurde, das durch ganz Eden bis zur Erde dröhnte, wenn er dem Fordern seines Magens nicht nachgab.

      »Du musst alles aufessen, sonst wird es morgen den ganzen Tag regnen«, meinte Suzann, während er zu identifizieren versuchte, was sich in der Schüssel befand. Es war zwar warm, roch aber nicht, und sah aus wie mit Pappmaschee vermischter, pampiger Milchreis.

      »Ist das auch eine Kräutermixtur oder einfach nur das Ergebnis deiner mangelnden Kochkünste«, sagte er.

      Suzann grinste frech. »Ich habe es dir vorgekaut«, antwortete sie, woraufhin Jonas der Brei tatsächlich wie Erbrochenes anmutete, nur ohne den Gestank.

      Er zog eine angeekelte Grimasse und gab einen angewiderten, ablehnenden Laut von sich, nahm jedoch den Löffel, den Suzann ihm reichte, und schob in der Devise Augen zu und durch ohne Umschweife eine Portion in den Mund.

      Es schmeckte überraschend gut, sehr mild und cremig, aber selbst wenn es so geschmeckt hätte, wie es aussah, sein Magen verwandelte sich beim ersten Bissen in ein zügelloses, gieriges Ungetüm, das ihn ungestüm loslöffeln und fast schon gierig schlingen ließ.

      »Braver Junge, ich bin stolz auf dich.« Suzann streckte die Hand aus, als wollte sie seinen Kopf tätscheln, doch Jonas wich unwillig aus.

      »Ey, lass den Quatsch«, wies er sie mit halbvollem Mund zurecht. Er hatte genug von ihrem Schalk und fand nicht, dass er sich das länger gefallen lassen musste. Außerdem mochte er es nun weniger denn je, einfach angegrabscht zu werden, Mädchen oder nicht und harmlose Geste hin oder her. Er hatte so wenig Toleranz für Tuchfühlung wie noch nie. »Such dir einen Freund, wenn du wen zum Schmusen brauchst.«

      Suzann legte den Kopf schräg und grinste schief, jedoch nicht mehr ganz so ungezwungen. Sie wirkte auf einmal ernst und sah ihn mit einem Blick an, in dem sich mehr versteckte.

      »Vielleicht arbeite ich ja daran«, meinte sie dennoch verschmitzt.

      »Kein Interesse, tut mir leid«, antwortete Jonas unumwunden und in reflexartig kühlem, abschätzendem Ton. Mit Mädchen sprach er so normalerweise nicht, aber Suzann hatte etwas an sich, das ihn da ziemlich ungeniert sein ließ.

      »Nur keine Scham wegen der Narben«, sagte sie scheinbar ungetrübt. »Das macht sexy. Was hältst du von meiner?«

      Sie zog ihr Kleid bis über die Knie hoch und streckte das rechte Bein aufs Bett, drehte die Außenseite nach oben. Vom Knöchel bis fast zum Knie hinauf verlief eine helle, schmale Linie.

      Jonas war überrascht – fand Suzann deswegen aber nicht plötzlich so scharf, dass er sich die Finger nach ihr geleckt hätte. Trotzdem bereute er seine fast beleidigende Abfuhr gerade eben ein wenig. Suzann war keck und offenbar genauso schlagfertig wie er, die große Narbe bewies außerdem, dass sie etwas vom Leben kannte und nicht nur floskelhaft daherredete. Vermutlich ließ sich jeder von ihrem zarten Aussehen täuschen – genau wie von ihm nichts weiter erwartet wurde als früher oder später Schwierigkeiten.

      »Mein Bruder wollte mir skateboarden wie die Profis beibringen, der Idiot«, erklärte sie flapsig und zuckte halbwegs mit den Schultern. »Der halbe Knochen war zersplittert. Vater hat ihm den Kopf abgerissen, und Mutter gar nicht mehr aufgehört, zu weinen. Dabei war es ein Unfall.« Ein Schatten erschien auf ihrem Gesicht, doch sie schüttelte ihn unmittelbar ab, indem sie Jonas breit anlächelte. »Du siehst also, netten Menschen passieren die gemeinsten Dinge.«

      Jonas verzog nun seinerseits den Mund zu einem schiefen Grinsen, verspürte allerdings keinerlei Humor dabei. »Nett hat mich noch keiner genannt«, meinte er und fragte sich, ob er das jetzt als Kompliment verbuchen sollte.

      Suzann sah ihn mit einem Blick an, der ihn an Mona erinnerte und ihm dadurch doppelt unangenehm war, nahm dann ihr Bein vom Bett und zuckte erneut mit den Schultern.

      »Ich durfte dich tagelang ungehindert betatschen«, sagte sie. »Da denke ich schon, dass du nett bist. Ein Weichei zwar, aber durch und durch nett.« Ihr Lächeln bekam einen überdeutlichen, gewitzten Einschlag, und sie musterte ihn genau.

      Jonas verschluckte sich fast am Essen und blitzte sie sowohl zornig als auch peinlich berührt an, aber Suzann freute sich nur darüber, so dass er nicht wusste, ob sie durch und durch nur so sagte, um ihn wieder zu ärgern, oder ob sie ihn tatsächlich ungehindert betatscht hatte. Erneut schlug ihm das Herz hektisch bis zum Hals.

      »Zieh mich ja nie wieder aus, wenn ich mich nicht wehren kann.« Er zog es vor, nicht auf ihre Andeutung einzugehen.

      »Spielverderber.« Suzann zog eine beleidigte Schnute.

      »Ich meine das todernst«, fügte Jonas dunkel hinzu und stellte die Schüssel weg; sie war ohnehin leer. Durchdringend sah er Suzann an, damit sie es auch wirklich verstand.

      »Okay, okay«, gab sie abwehrend nach, sah ihn noch einen Moment mit Monas Psychologieblick an und stand dann auf. Sie schenkte aus einem bauchigen Krug in einen schlichten Becher und warf ihm dann zwei Kleidungsstücke in den Schoß – noch ein Punkt für Yû.

      »Zieh dich an, heute geht es los.«

      »Was geht los?«, wollte Jonas wissen und besah sich die Kleidung; ein grauweißes Oberteil und eine erdfarbene Hose aus grobem Leinen, beides in einfachstem Schnitt und ohne den Luxus von Knöpfen oder einem Reißverschluss.

      Säuerlich ließ er die Schultern hängen. Das war ja noch schlimmer als in Wiegenmoor-Haus.

      »Wo ist mein Pullover?«

      »Du wurdest eingezogen, da gibt es keine individuelle Mode mehr«, antwortete Suzann leichthin.

      Jonas sparte sich nachhakende Fragen und streifte sich das Hemd über. Es war ihm mindestens zwei Nummern zu groß und roch zwar sauber, aber nicht gerade frisch; allerdings überwog die leise Erleichterung, nicht mehr nackt dasitzen zu müssen, so dass er nicht viel darauf gab.

      Suzann sah ihm ungeniert zu und drehte sich erst um, als er mit dem Finger auffordernd eine kreiselnde Bewegung machte. Sie ging zu einer der Truhen hinüber, stemmte den offenbar schweren Deckel auf und kramte zwei Laken sowie ein weiteres, kleineres Stück Stoff daraus hervor. Ob sie dabei das Gesäß noch extra in seine Richtung streckte oder es in dem schmalen Kleid eben einfach nur besonders gut zur Geltung kam, konnte er nur schwer abschätzen.

      Es interessierte ihn auch nur am Rande – klar sah er hin und war einigermaßen angetan, doch Jonas gehörte nicht zu den unkontrollierten Kerlen, die anstandslos gafften, nach Tangas suchten und ständig auf einen Nippelblitzer hofften. Er holte sich auch keinen in der Schultoilette runter, weil das eine oder andere Mädchen die ganze Unterrichtsstunde lang mit ihren offenen Reizen seine Triebe entfachte, dass er bald das Sabbern anfing. Natürlich blieb er nicht unberührt, aber wenn sein Interesse nicht unter die Oberfläche reichte, hielt sich auch seine Lust in Grenzen.

      Erst recht, wenn er nur noch Augen für Eine hatte.

      Darüber hinaus war er nicht sicher, wie umfangreich der Schaden war, den Karl ihm zugefügt hatte. Der Gedanke, Suzann hätte ihn unsittlich berührt oder stundenlang lasziv betrachtet, löste vielmehr dieses schreckliche Gefühl des verzweifelt hilflosen und abstoßenden Widerwillens in ihm aus als kindische Scham. Er würde diese Sekunden, diese ganze Nacht, niemals vergessen.

      Obwohl Suzann ihm den Rücken zuwandte, schlug er die Decke erst vollkommen beiseite, als er die Hose ganz hochgezogen hatte. Schon unangenehm eng zog er die Bundschnur zu und verknotete sie doppelt, obwohl es ihm selbst total übertrieben vorkam.

      Mit einem schweren, inneren Seufzer stand er auf und reckte prüfend die Schultern. Eine Woche, und davor bereits eine Unzufriedenheit hervorrufend lange Zeit ohne richtiges Training oder nur leichten Bewegungssport. Diesbezüglich war er wirklich weit davon entfernt, sich über die Schnellheilung im Schlaf zu beschweren, denn er fühlte sich zwar etwas ungelenk und misste ein wenig die gewohnte Muskelgeschmeidigkeit, aber er war ausgeruht und frisch wie der Morgen.

      Nur der tierische Durst trübte dieses Wohlbefinden ein wenig, und Jonas