Endzeit. S. Mayer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: S. Mayer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754140109
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wegen jener Gegenfrage selbst. Wo er gerne sein würde?

      Auch wenn es nur Smalltalk war – davon abgesehen, dass er Smalltalk hasste und lieber die Klappe hielt, als offensichtlichen, oberflächlichen Nonsens von sich zu geben, war ihm die ehrliche Antwort darauf zu persönlich für jemanden, den er seit nicht einmal fünf Minuten kannte, und, was weitaus wichtiger war, mit viel zu vielen Widerhaken versehen. Deshalb kam ihm auch kein sarkastischer Spruch über die Lippen, oder nur eine zynische, zurückweisende Bemerkung, sondern er presste stumm die Kiefer aufeinander und unterbrach den Blickkontakt zu Suzann.

      Wo er gerne sein würde war nur ein Bruchstück, viel bedeutender war, was er dort tun wollte. Er wollte Dinge ungeschehen machen.

      »Ich sehe schon, du bist ein Kandidat fürs Fegefeuer«, meinte Suzann und machte ein mitleidvolles Gesicht, das eindeutig echt war. »Tja, vorerst bist du im Palast des Herrn, und ich kümmere mich um dich rohes Ei, also entspann dich.«

      Jonas schielte sie nur verständnislos von der Seite her an. Wovon, verflucht, redete sie da?

      Suzann legte den Kopf leicht schräg. »Wie ist es denn dazu gekommen?«, wollte sie wissen.

      »Wie ist es wozu gekommen«, erwiderte er unfreundlich. Wollte sie etwa den ganzen Tag da sitzen und ihn anstarren? Er hätte gelogen, hätte er behauptet, sie wäre ihm nicht sympathisch, aber sie fing irgendwie an, ihm auf die Nerven zu gehen – da kam allmählich Frust in ihm auf, und er projizierte wider besseren Wissens. Warum war Laori noch immer nicht hier und wo, zum Kuckuck, war der Rest des Begrüßungskomitees? Jemanden, den man als Retter der Welt verpflichten wollte, den ließ man doch nicht einfach links liegen, kaum dass er der dringlichen Einladung endlich gefolgt war.

      Er verwandelte einen Teil des Ärgers in Bewegungsenergie und schob und rutschte umständlich ein Stück nach oben, um sich mit dem Rücken am Kopfteil des Bettes anzulehnen. Ein fieses, nachhallendes Ziehen in der Naht ließ ihn schmerzhaft das Gesicht verziehen, so dass Suzann ihm helfend das Kissen zurechtstopfte, bevor sie nachdrücklich den Kopf wiegte und die Lippen breit zog.

      »Wieso bist du gestorben«, erläuterte sie mit unverkennbar neugieriger Ungeduld, aber ebenso großer Nachsicht in der Stimme.

      »Ich bin nicht gestorben«, antwortete Jonas beinahe pampig und zog nichtsdestotrotz stutzig die Augenbrauen zusammen.

      »Schon mal von den fünf Stufen der Todesverarbeitung gehört?«, meinte Suzann und sah ihn schief an. »Die erste ist leugnen.«

      »Wenn ich tot wäre, täte das hier nicht so beschissen weh«, entgegnete er, deutete auf den sich allmählich bildenden, dunkelgrünen Fleck auf dem Verband und damit die Verletzung und entschied zudem, die Matschkompresse lange genug auf die Blessuren in seinem Gesicht eingewirkt gelassen zu haben. Mit einem bezeichnenden Blick hielt er sie Suzann hin. »Was aber die Toten betrifft, sie sind sich nicht des Geringsten bewusst, oder irre ich mich da?«

      Auf Suzanns Gesicht breitete sich ein Lächeln aus, von dem er nicht sagen konnte, ob es nur amüsiert war oder auch hämisch, und ob es sich darauf bezog, dass er diese Bibelstelle aus dem FF zitieren konnte, oder vielmehr den Inhalt selbst. Wenigstens nahm sie ihm ohne eine weitere Bemerkung zu seiner mangelnden Mannhaftigkeit die Kompresse ab, gab sie in eine der leeren Schüsseln und nahm ein frisches Tuch, um es ins Wasser zu tauchen, auszuwringen und sich ihm damit wieder zuzuwenden.

      »Jede Religion hat ihre eigene Version«, meinte sie dabei. »Der Kern ist überall derselbe: es heißt Leben nach dem Tod, nicht Tod nach dem Tod.« Sie beugte sich vor und begann unerwartet vorsichtig, sein Gesicht von den Resten der Kräuterpaste zu säubern.

      »Die Pforte war nicht in meinem Kopf.« Jonas wusste nicht, warum er es nicht einfach so stehen ließ, sondern regelrecht darauf beharrte, dass J ihn nicht umgebracht hatte. Natürlich gab es immer wieder Beschreibungen von Nahtoderlebnissen, von gestaltlosem Schweben über dem eigenen Körper, von Stimmen geliebter Personen, die einem aus dem Jenseits zuriefen, dass es noch nicht Zeit sei, und dem Klassiker, dem langen, dunklen Tunnel mit dem heilvollen Licht am Ende.

      Aber er hatte sich das nicht eingebildet, die Pforte war keine Illusion, die seine erlöschenden Hirnfunktionen produziert hatten, um es seinem Geist leichter zu machen, loszulassen. Jeder Quadratzentimeter seiner Haut hatte den Windstrom in ihrem Inneren gespürt, der ihn mit der Gewalt eines Tornados ergriffen und doch irgendwie sanft geleitet hatte – bis er ihn wie einen Kirschkern wieder ausgespuckt hatte –, und da war garantiert kein herzerwärmendes Gefühl von Ruhe und allumfassender Gnade in ihm gewesen.

      Vielleicht musste er es einfach laut aussprechen, damit dieses kleine, leise Stimmchen in ihm wieder verschwand, das furchtbare Angst hatte, dass er doch nicht noch einmal davon gekommen, sondern verblutet war. Dass nach all den übersinnlichen Attacken auf sein Leben ihn eine banale Pistolenkugel getötet hatte, und der flüchtige Eindruck, den er vorhin beim Aufwachen gehabt und sogar hatte festhalten wollen, womöglich die Wahrheit war.

      Suzann hielt inne und sah ihn überrascht, fast schon erschrocken, an. »Du bist durch eine Pforte hergekommen?«

      »Und ich bin davon ausgegangen, dass Laori mich auf der anderen Seite erwartet«, fügte Jonas eindringlich hinzu, ohne auf ihre Reaktion besonders viel zu geben. Er nahm nicht an, dass Engelspforten hier das übliche Transportmittel darstellten, und er hatte auch so schon genug Fragen. »Wo ist sie?«

      »Sie ist die letzte ihrer Art, denkst du, sie hat nichts Besseres zu tun, als dir bei deiner Genesung Händchen zu halten?« Suzanns Ton war spitzfindig wie zuvor, dennoch klang es wie eine Ausrede, und sie konzentrierte sich ein wenig zu sehr darauf, weiter seine Wange abzuwischen, als dass es Jonas nicht so schien, als würde sie ihm ausweichen.

      Vielmehr irritierten ihn jedoch ihre Worte. Die letzte ihrer Art? Was sollte das bedeuten?

      Seine Neugier und auch die Verwirrung hielten sich allerdings in Grenzen, dafür verstärkte sich der Frust in ihm geradezu exponentiell. Es war töricht, anzunehmen, die Bahn zwischen Laori und ihm wäre geebnet, nur weil die Verwechslung, der er aufgesessen war, aufgedeckt worden war und sie gesagt hatte, dass sie ihn mochte – er war in sie verliebt, aber er wusste überhaupt nichts über sie.

      Außerdem … Sie war ein Engel und noch dazu die letzte ihrer Art? Jonas kam sich auf einmal irgendwie primitiv und unwürdig vor. Dabei war es nicht so, dass er darauf aufmerksam wurde, dass sie unterschiedliche Rassen waren – oder gar Spezies; wie auch immer man Himmelswesen kategorisieren konnte –, sondern es beschlich ihn das unangenehme Gefühl, dass sie in getrennten Ligen spielten.

      Er hob die Hand und hinderte Suzann an ihrem Tun. »Ich glaube, das reicht«, sagte er, wollte eigentlich nüchtern klingen, aber stattdessen war seine Stimme kühl und fast schon hart. Er schnaubte innerlich und schalt sich, sich zusammenzureißen.

      Suzann wirkte ein wenig vor den Kopf gestoßen, sah ihn mit demselben seltsamen Blick an, als er nach Raphael gefragt hatte, und wich dann irgendwie betroffen von ihm ab. Sie legte das Tuch zu den anderen und räumte ordentlich zusammen.

      »Es dauert seine Zeit, bis man es versteht«, meinte sie sanft, dass sich nun auch noch Jonas’ schlechtes Gewissen meldete, weil er sich nicht gerade höflich benahm. »Aber davon haben wir hier mehr als genug.«

      Sie strich sich abermals das Haar hinters Ohr und warf ihm einen flüchtigen, eindeutig scheuen Blick zu, verschloss sorgsam das offene Fläschchen und stellte die anderen beiden an die Tischkante direkt vor ihn.

      »Das hilft gegen die Schmerzen«, erklärte sie. »Nimm einen kleinen Schluck, wenn sie zu stark werden.« Bis auf die Wasserschüssel und die sauberen Tücher raffte sie alles Übrige geschickt an sich und stand auf. »Ich komme später wieder und bringe dir etwas zu essen. Lass dir nicht einfallen, herumzulaufen.«

      Sie hob mahnend den Zeigefinger, wandte sich ab und verließ den Raum; alles, ohne ihn noch einmal anzusehen.

      Jonas schnaubte abermals und lehnte den Kopf zurück. Er hoffte nur, dass er, was auch immer nötig war, um J loszuwerden, schnell erledigen und wieder nach Hause konnte.

      Herr, der allmächtige