Die Existenz von Proselyten (Konvertiten zum Judentum), Konvertiten zum Christentum und "Mischlingen“ ist Zeichen der weitgehenden Assimilation und Integration der Juden in die deutsche Gesellschaft. Auch in Frankfurt lebte eine ganze Anzahl Juden in "Mischehen", wo also die Ehepartner aus christlichen Familien stammten und ein Ehepartner mitunter zur Religion des anderen, zur christlichen oder jüdischen, übergetreten war. Die Kinder aus „gemischten“ Ehen wussten oft nichts von ihrer jüdischen Herkunft. Dennoch galten sie als "Mischlinge" und waren den sich ständig steigernden gesetzlichen Einschränkungen unterworfen.
Es gibt kaum einen Zweifel, dass man gegen Kriegsende auch die Ermordung der sogenannten „Mischlinge ersten Grades“ plante. Bis dahin wurden sie wegen der „arischen Blutbeimischung“ noch geschont. Kinder aus gemischten Ehen, die der jüdischen Religionsgemeinschaft angehörten, die sogenannten „Geltungsjuden“, standen eine Stufe unter den christlichen "Mischlingen". Außer den Proselyten gab es auch nicht wenige Juden, die keiner Gemeinde angehörten und, ohne getauft zu sein, sich selbst nicht mehr als jüdisch betrachteten. Ihre Kinder, ihrer Herkunft oft nicht bewusst, galten jedoch ebenfalls als „Volljuden“.
Ich bitte also stets bei diesen Begriffen sich die Anführungsstriche, falls sie fehlen sollten, und den inneren Vorbehalt dazu zu denken. Die erwähnten Umstände erklären auch, dass die für die NS-Zeit angegebenen Zahlen der Juden in Frankfurt schwanken, je nachdem, ob nur die Listen der jüdischen Gemeindemitglieder zu Grunde gelegt werden, oder ob alle Personen mit jüdischer Familiengeschichte, nichtjüdische zum Judentum übergetretene Ehepartner und "Mischlinge" einbezogen wurden oder nicht. So erklärt es sich wohl, dass schon die Zahl der für Anfang 1933 in Frankfurt festgestellten Juden zwischen 568 und rund 800 schwankt.
Genauere Daten ergibt kurz vor Kriegsbeginn die Volkszählung vom Mai 19391. Sie unterscheidet zwischen Voll-, Halb- und Vierteljuden ohne Rücksicht auf die jeweilige Konfession. Insgesamt zählt sie nur noch 298 Personen auf, von denen 126 „Mischlinge“ und 172 „Volljuden“ sind, also drei oder vier jüdische Großeltern hatten. Da die Zahl der "Volljuden" 1933 gewiss 600 überstieg, ist zu folgern, dass die Hälfte von ihnen Frankfurt schon vor dem Krieg verlassen hatte. Allerdings konnten nur die wenigsten ins Ausland emigrieren. Viele siedelten nach Berlin über, wo sie sich in der Anonymität der Großstadt sicherer fühlten. Deutsche Juden, die in die Niederlande, Frankreich oder andere im Krieg später besetzte Gebiete geflohen waren, fielen später wieder in die Hände der Gestapo. Andererseits konnten Juden unter bestimmten Voraussetzungen noch bis in die ersten Kriegsjahre emigrieren oder fliehen, so dass auch einige der 1939 in Frankfurt lebenden Juden noch bis 1941, teilweise - sicherlich durch massive Bestechung – sogar noch 1942 außer Landes gelangten.
Tatsächlich war die Politik der Nazis vor 1941 darauf gerichtet, die Juden durch Nötigung zur Emigration aus Deutschland zu entfernen. Dies gelang nicht, denn praktisch alle Länder hatten sich mit Einreisesperren oder -Beschränkungen gegen jüdische Flüchtlinge abgeschottet. Um die Wende 1941/1942 wurde schließlich mit dem Verbot der Auswanderung die physische Vernichtung der Juden zur „Endlösung“. Die Zahl der „Volljuden“, die durch den nichtjüdischen Ehepartner geschützt waren - falls er sich nicht scheiden ließ - betrug bei Kriegsende in Frankfurt noch 19 Personen. Bekannt ist das Schicksal der Ärztin Dr. Lilly Jahn, die durch Heirat mit dem „arischen“ Dr. Ernst Jahn, mit dem sie fünf Kinder hatte, in Immenhausen bei Kassel in einer privilegierten „Mischehe“ lebte. Nachdem sich ihr Mann 1942 von ihr getrennt hatte, wurde sie aus dem Ort vertrieben, schließlich nach Auschwitz deportiert und 1944 ermordet.
Die Aufgliederung der Frankfurter Liste vom Mai 1939 nach Altersstufen führt zu auffälligen Ergebnissen. Von den 126 Mischlingen sind 67 jünger als 26 Jahre, von 178 Volljuden aber nur noch elf. Das bedeutet, dass in Frankfurt schon vor Kriegsausbruch eine große Zahl „rein“ jüdischer Kinder und Jugendlichen außer Landes gebracht worden war. Für die Aufgliederung nach Berufen geben ebenfalls Listen Auskunft, die von der Stadtverwaltung herausgegeben wurden, um die jährliche Abnahme jüdisch geführter Geschäfte zu dokumentieren. Sie sind heute noch im Stadtarchiv zu finden. Die früheste mir zugängliche stammt aus dem Jahre 1935. Um die Gesamtzahl jüdischer Geschäfte und Betriebe Anfang 1933 festzustellen, bedarf diese Liste sicher der Ergänzung, da die bereits angelaufene Auswanderung und die "Arisierung" die Zahl der jüdischen Geschäfte, Betriebe und Praxen inzwischen vermindert hatte und laufend weiter verminderte. Beispielsweise war die Zahl der jüdischen Apotheker schon von sieben auf drei zurückgegangen. Die korrigierte Liste ergibt mit dem vorläufigen Stand der Ergänzungen 135 Berufszuordnungen, davon Akademikerberufe 24; praktische Ärzte 7; Zahnärzte 2; Apotheker 7; Rechtsanwälte 8; Kultus und Loge 8; Fabrikbesitzer 4; Handwerker 9; Handel 77, davon Konfektion und Bekleidung 34; Lebensmittel 7; Kleinhandel 11; Angestellte 8; Kreditwesen 4. Diese Liste lässt bereits erkennen, dass jüdische Mitbürger das Wirtschaftsleben Frankfurts ganz entscheidend mitgetragen haben, ebenso wie sie in öffentlichen Dienstleistungsberufen etwa als Ärzte, Apotheker, Rechtsanwälte hohes Ansehen genossen.
Wenn man den Prozentsatz der Juden von weniger als 1% innerhalb der Stadtbevölkerung mit dem ihrer Vertretung innerhalb bestimmter Berufe vergleicht, bestätigt die Liste auch, dass sie in bestimmten Berufszweigen stark überrepräsentiert waren. Eine derartige Aussage setzt freilich voraus, dass Juden innerhalb der deutschen Nation als eine Sondergruppe betrachtet werden, eine Vorstellung, die zwar von Antisemiten ebenso wie auch von Zionisten vertreten wurde, die aber nicht der Wirklichkeit vor der Machtergreifung Hitlers und erst recht nicht der vor dem 1. Weltkrieg entsprach. Allerdings gab es schon in den 1920er Jahren in Deutschland Bestrebungen des Hechaluz, der weltweiten zionistischen Jugendorganisation, durch die Hachschara, der landwirtschaftlichen Ausbildung im Hinblick auf spätere Einwanderung nach Palästina, die Berufsgliederung an die der nichtjüdischen Bevölkerung stärker anzupassen und Juden einen Zugang zu handwerklichen und bäuerlichen Berufen zu öffnen.
Aufschlussreich ist auch die Herkunft der Frankfurter Juden. Ein beachtlicher Teil der jüdischen Familien Frankfurts, insbesondere der in akademischen Berufen, ist erst unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg aus den an Polen abgetretenen Teilen der Provinzen Posen und Westpreußen zugewandert, weil sie für das Deutschtum votierten und nicht Polen werden wollten. Neben dieser Gruppe der aus den polnisch gewordenen Ostprovinzen zugewanderten jüdischen Deutschen gab es die eigentlichen "Ostjuden", die während des ersten Weltkriegs oder danach aus Polen und Russland einwanderten. Zu ihnen gehören auch eine Anzahl russisch-jüdischer Kriegsgefangener, die sich nach ihrer Entlassung in Frankfurt niederließen. Die Ostjuden waren eher orthodox, während die große Mehrheit der Frankfurter Juden wie überall in Deutschland, soweit sie überhaupt ihre jüdische Identität wahrten, der liberal-reformerischen Richtung zuzurechnen sind.
Harry Lapidoth, Sohn des Kultusbeamten, schildert anschaulich, wie die hohen Festtage in der Synagoge als gesellschaftliche Veranstaltungen begangen wurden. Die Damen kamen in großer Toilette, die Herren mit Zylinder. Der äußere Eindruck dürfte diese Gesellschaft kaum von der der deutschen gehobenen Mittelschicht unterschieden haben, wenn man von der in Frankfurt stark vertretenen militärischen Komponente absieht.
In diesem Zusammenhang verdienen die Juden aus Posen/Westpreußen besondere Aufmerksamkeit. Von dort kamen die Frankfurter Familien Aronheim, Baruch, Glass, Gumpert,