Geschichten der Nebelwelt. Inga Kozuruba. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Inga Kozuruba
Издательство: Bookwire
Серия: Geschichten der Nebelwelt
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753191263
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der Krempe seines großen Schlapphuts aus Filz überrascht und auch etwas erschrocken ansah.

      „Keine Angst, es ist nichts passiert,“ rief sie ihm hastig zu. „Ich muss gleich weiter. Ein Heer der Rächer wird bald hier über die Straße ziehen, nach Starogrâd. Warnt die Dorfbewohner vor, damit sie möglichst wenig Scherereien haben. Und haltet eure wertvollsten Tiere zurück, nicht dass man sie zum Schlachten einfordert.“

      Sie wartete die Antwort des Mannes nicht ab und trieb Kari wieder zur Eile an. Ein kurzer Blick über die Schulter zeigte ihr, dass der alte Schäfer einen der jüngeren Burschen zu sich gerufen hatte und ihm wohl wild gestikulierend die Anweisung gab, ins Dorf zu laufen. Feli hoffte, dass sie den Menschen im Dorf mit dieser Vorwarnung einen Gefallen getan hatte. Auch wenn die Truppen der Rächer sich in vielerlei Hinsicht deutlich disziplinierter und zivilisierter benahmen als die Söldnerheere der Adligen, so nahmen sie sich zumindest in Bezug auf die Versorgung der Soldaten durchaus gewisse Freiheiten heraus, was das Eigentum anderer Leute betraf. Der Klerus und seine Armeen hatten schon immer ihre Sonderrechte. Also war es besser, wenn die besten Tiere, insbesondere die für die Zucht, dem Heer gar nicht erst ins Blickfeld fallen würden, ebenso wie das gelagerte Saatgut. Alles andere ließe sich verschmerzen. Die Zeit der Kälte war zwar wie immer grausam gewesen, aber das Jahr zuvor hatte sich als fruchtbar erwiesen, so dass die Menschen ein paar Verluste verkraften können würden.

      Feli war inzwischen an dem kleinen Weg angekommen, den Jäger in dieser Gegend nutzten, um schnell durch die Wälder zur Fuhrt zu gelangen. Sie ließ ihre Stute so schnell vorwärts reiten wie es unter dem Blätterdach möglich war, und wandte ihre Sinne ganz und gar der Umgebung zu. Mit Raubtieren würde sie vermutlich keine großen Schwierigkeiten bekommen, aber sie wollte nicht unerwartet auf einen Trupp Wegelagerer stoßen, die solche versteckten Wege auch gern nutzten, um schnell zwischen verschiedenen Abschnitten der großen Straße zu reisen und einem ausgekundschafteten Ziel einen Hinterhalt bereiten zu können. Diesen Leuten wollte Feli nicht in die Arme laufen. Auch wenn sie den meisten Banditen durch ihre Kampfausbildung, Bewaffnung und Erfahrung überlegen war, gegen eine Überzahl mitten im Wald zu kämpfen war eine riskante Angelegenheit. Sie wollte lieber vorgewarnt sein, und selbst das Überraschungsmoment nutzen können, um so viele Gegner wie möglich mit ihrem Bogen niederzustrecken, bevor sie in den Nahkampf musste. Sie wollte Kari um keinen Preis der Gefahr aussetzen, verletzt oder gar abgestochen zu werden, nur um dann als Mahlzeit zu enden, weil solche Leute den Wert eines derart edlen Tiers nicht erkennen würden. Und wenn die Räuber halbwegs bei Verstand wären, dann würden sie zuerst versuchen, das Pferd niederzustrecken, bevor sie sich an die Reiterin machen. Dieses Szenario wollte Feli unbedingt vermeiden.

      Ihre Ohren vernahmen den Ruf eines Falken weit über ihr. Feli lächelte leicht und deutete Kari, anzuhalten. Wenig später stand die Stute still und gab bis auf ein leises Schnauben kein Geräusch von sich. Feli hob ihr Gesicht 'gen Himmel und sah einen winzigen Schemen weit oben durch die wenigen Lücken zwischen den sich im Wind bewegenden Ästen, die über dem Weg nicht so dicht zusammenschlugen wie drum herum. Feli fixierte die geflügelte Gestalt mit ihrem Blick so gut sie konnte, und breitete langsam die Arme auf Schulterhöhe aus, streckte die Finger aus, und sog tief die Luft in die Lungen, während sie ihren Willen auf den Vogel weit über sich konzentrierte. Die Kunst, mit dem Bewusstsein eines Tiers zu verschmelzen, war keine einfache und forderte Kraft, aber es war die beste Möglichkeit, sich einen schnellen Überblick über die nahe Umgebung zu verschaffen. Und falls das Heer der Rächer bereits in der Nähe war, würde sie diese ebenfalls erblicken und sich auf den Rückweg machen können.

      Feli spürte, wie ihr Bewusstsein immer leichter wurde und ihr Körper wie gelähmt in seiner Haltung gefror und sich taub anzufühlen begann. Sie streckte sich nach oben, dem Himmel und der Sonne entgegen und spürte dann auf einmal das Federkleid um sich herum, die kräftigen Flügel, die sie im Wind trugen und ließ einen Freudenjauchzer los aus der Falkenkehle, die nun für kurze Zeit die ihre war. Sie sah, wie die Welt sich meilenweit in jede Richtung erstreckte, sah Grünau und die Herden der Tiere, sah den Wald und den kleinen Pfad zwischen den Bäumen, der Richtung Fluss führte und auf dem außer einer einsamen Gestalt auf einem Pferd keine Menschenseele zu erblicken war. Und als ihr Blick dem Fluss folgte, da sah sie auch den Staub, den eine große Menschenmenge aufwirbelte. Ihr Inneres zog sich zusammen, weil sie nur selten so viele Menschen auf einmal sah, und noch nie so viele Bewaffnete auf einmal erblickt hatte. Beinahe hatte sie die Fassung und ihre Verbindung zu den Sinnen des Vogels verloren. Doch sie hatte sich schnell wieder im Griff und wandte ihre Aufmerksamkeit ganz und gar dem riesigen Trupp zu, der sich vergleichsweise langsam, aber unaufhaltsam in Richtung der großen Brücke bewegte.

      Feli wusste, dass die Truppen des Klerus vom Brückenzoll befreit waren und daher nur insofern von der Brücke aufgehalten werden würden, als dass sie diese nicht so dicht gepackt passieren konnten, wie sie es auf der Straße taten. Sie wollte dennoch so wenig Zeit wie möglich verlieren. Wenn sie die Lage richtig einschätzte, dann hatte Starogrâd noch bestenfalls drei Tage. Wenn sie gleich umkehren und alle Abkürzungen nutzen würde, die sich ihr boten, dann könnte sie in der Nacht in die Stadt zurückkehren und den Richter in Kenntnis der Truppenstärke und Ankunftszeit setzen. Und dann wollte sie sich so schnell wie möglich aus dem Staub machen, vielleicht tatsächlich zusammen mit der jungen Gattin des wohlbetuchten Händlers, die ihre Mutter besuchen wollte und womöglich noch nicht aufgebrochen war. Feli hatte nichts übrig für die Rächer, auch wenn sie regelmäßig zur Heiligen Familie betete und einen Teil ihrer Bezahlung stets der Mutter und dem Mittler spendete.

      Die scharfen Falkenaugen erkannten allen voran fünfzig Berittene. Die Hälfte von ihnen waren schwer gerüstete Ritter mit deutlich sichtbaren Symbolen des Glaubens an ihren Wappenröcken, Schilden, und den Pferdedecken. Die andere Hälfte trug robuste Reisegewandung, auf der jedoch ebenfalls deutlich die Kirchensymbolik zu erkennen war, und hatten jeder einiges an Schriftrollen und Folianten im Gepäck. Eine ungewohnte, strenge Kälte ging von diesen Männern aus, während die Ritter eine faszinierende und ehrfurchtgebietende Aura umgab, ein Glanz, dem man sich besser nicht näherte. Einer der weniger schwer gerüsteten Kleriker, der von allen der älteste zu sein schien, war etwas aufwändiger gekleidet und hatte einen Bannerträger des Klerus neben sich auf einem einfachen Pferd, ebenso einer der Ritter, der der Gruppe voran ritt.

      Diesen Männern folgten weitere Berittene, die weniger schwer gerüstet waren und sowohl mit Bögen, als auch mit Nahkampfwaffen ausgestattet waren, Lanzen und Speere, die sich vom Pferd aus nutzen ließen. Ihre Rüstungen erlaubten eine größere Beweglichkeit und Feli glaubte zu erahnen, dass diese Truppen nicht zuletzt dazu eingesetzt wurden, um fliehende Gegner einholen oder mit Beschuss niederstrecken zu können. Sie zählte insgesamt an die Tausend Berittene. Diesen folgte eine halb so große Zahl an Bogenschützen, und den Rest bildeten einfache Fußtruppen, die ebenso zahlreich waren wie die Reiter. Den Abschluss bildete der Versorgungstross, der neben Proviant und Zelten noch andere Dinge transportierte.

      Feli spürte wieder, wie sich ihr Inneres zusammenzog, und sie die Verbindung zum Falken verlor. Innerhalb eines Augenblicks stürzte ihr Bewusstsein zurück zu Boden, fuhr wieder in ihren tauben Körper, dessen Arme eingeschlafen waren und sich nur mühsam bewegen ließen. Feli strengte sich an, bis sie schließlich das grässliche Kribbeln spürte, erst in den Fingerspitzen und dann immer weiter über die Arme hin zum Körper. Viel zu langsam ließ die Lähmung nach, aber das tat sie. Feli war sich sicher, dass die Truppen der Rächer auch Werkzeug und Teile von Belagerungsmaschinen mit sich führten. Sie hoffte, dass diese dazu gedacht waren, das befestigte, verseuchte Kloster anzugehen, und nicht die Stadt. Dem Richter würde die Nachricht so oder so bestimmt nicht gefallen.

      Feli atmete tief durch, schüttelte ihre Arme nochmals kräftig durch, streckte ihren Körper und die Gliedmaßen im Sattel und reichte Kari noch eine Möhre, während sie ihr leise zusprach: „So, mein Mädchen, heute müssen wir uns sputen. Du wirst mich sicher nicht im Stich lassen, stimmt's?“

      Die Stute nickte leicht mit dem Kopf und schnaubte leise zur Antwort. Feli lächelte, streichelte dem Tier über den Hals und gab ihr den Befehl zu wenden. Dann nahm sie den Weg zurück durch den Wald, am Waldrand entlang, um dann abermals unter das Baumdach zu tauchen. Den Weg, den sie nun nahm, nutzten nur noch die Waldläufer. Jedem anderen wäre er versperrt gewesen. Feli fühlte sich zwar schon ein