Der Dienst nahm zwar den Soldaten vollkommen in Anspruch, da das Einexerciren der Recruten, die monatlich dreimal angestellten Marschübungen mit vollem Gepäck, die Manöver und mancherlei Uebungen anderer Art unausgesetzt betrieben wurden und namentlich in den Grenzgebieten ein beschwerlicher Wachtdienst nothwendig war. Allein bei der langen Dienstzeit hielt man es für zweckmässig, die einförmigen, sich stets wiederholenden Uebungen durch andere Arbeiten zu unterbrechen; schon Augustus gestattete die Beschäftigung der Soldaten, aber nur mit öffentlichen Bauten, zu denen vor allem die Befestigungsbauten an den Grenzen des Reiches, wie unseres Pfahlgrabens um das Jahr 100, die Militärstrassen, die das ganze Reich durchzogen, und die Errichtung und Erhaltung der Waffenplätze, militärischen Gebäude und Wohnhäuser gehörten. (S. oben § 5, a.). Aber auch zu anderen als militärischen Dienstleistungen wurden sie herangezogen: sie bauten Tempel und öffentliche Gebäude, gruben Canäle, legten Wasserleitungen und Bergwerke an, trockneten Sümpfe aus u. s. w. (Marquardt, p. 547 u. flgd.). Daher waren den Legionen auch Techniker zugetheilt, Bautechniker, Wasserbaumeister, Brunnenmeister, Röhrenmeister, Schmiede, Steinhauer, Kalkbrenner u. s. w. (Marquardt, p. 535.) Noch sei erwähnt, dass es in allen Garnisonen Bäder und eigne Aufseher der Bäder (a balneis oder balnearius) (Marquardt, p. 534 A m.) bei den Truppen gab, ebenso medici legionum und cohortium. (ib. p. 537.) Auch in Mattiacum haben die Soldaten der Legionen und Auxiliartruppen zahlreiche Spuren mannigfaltiger Thätigkeit, wie Anlage von Bädern, Wasserleitungen, Befestigungen hinterlassen, wie im Folgenden sich zeigen wird. (S. § 8. 11. 13.)
Doch wir kehren zur Beschreibung des römischen Wiesbaden zurück und betrachten zunächst die beiden mit dem Castell in enger Verbindung stehenden Anlagen, das Vivarium und die Heidenmauer.
§ 6.
DAS VIVARIUM.
An verschiedenen Stellen der im Nordost von dem Castell gelegenen Gegend trat zu verschiedenen Zeiten eine Mauer hervor, bisweilen ersetzt durch einen Graben. Schon Schenck (p. 118.) vermuthet, dass diese Mauern und Gräben einen römischen Thiergarten, ein sog. Vivarium, eingeschlossen haben, dergleichen die Römer anzulegen liebten. Reuter (Ann. V, 2. p. 56.) hat die Spuren sorgfaltig verfolgt und glaubt sie von der nordöstlichen Ecke des Castells an in einem Umkreise von etwa dreiviertel Stunden bis zur südöstlichen Ecke nachweisen zu können; dieser Thierpark habe hier nicht zum Vergnügen gedient, sondern zum Schutze des für die Besatzung des Castells, vielleicht auch für die bürgerliche Niederlassung nöthigen Schlachtviehes, namentlich gegen die Ueberfälle der Germanen; auch Wild sei in dem Park gewesen, woher der Name einer jetzigen Strasse von Wiesbaden, des Hirschgrabens, vielleicht seine Erklärung finde. Ob diese Ansicht in allen Theilen begründet ist, müssen noch genauere Untersuchungen zeigen. Jedenfalls ist die Annahme einer Viehtrift für die Bedürfnisse der Soldaten eine den bis jetzt bekannten Thatsachen ganz entsprechende, (Tac. Ann. XIII. c. 54. erwähnt agros vacuos et militum usui sepositos, wohin (cap. 55) pecora et armenta militum aliquando transmitterentur.) und es handelt sich hauptsächlich darum, den Umfang und Zusammenhang mit dem Castell nachzuweisen. Es soll jedoch nicht verschwiegen werden, dass andere gründliche Kenner des römischen Wiesbaden das Vorhandensein dieses so grossen Vivariums bezweifeln.
§ 7.
DIE HEIDENMAUER.
Die Heidenmauer, von der bis jetzt ein noch ganz ansehnlicher Rest vorhanden ist, begann in einiger Entfernung von der Südecke des Castells, indem den Zwischenraum zwischen beiden ein Graben einnahm, (v. Cohausen, Ann. XII. p. 317.) und zog in gerader Richtung nach Südosten bis in die Tiefe des Thaies; sie endigte in einem Thurme zwischen der jetzigen evangelischen Kirche und der Wilhelmsstrasse, dem später sog. Stümpert; auch in der Mitte befanden sich einige Thürme, von denen einer noch zum Theil erhalten ist. (Zu Hellmunds Zeit (1730) waren noch vier Thürme erhalten, wovon der eine in der Metzgergasse das Narrenhaus hiess und zum Gefängniss diente (p. 124).) Während der obere Theil der Mauer noch erhalten ist, lassen sich in dem Thale die Spuren der Fundamente noch in den Kellerräumen einzelner Häuser ganz wohl bemerken. Die Breite beträgt ca. 8', die Höhe ca. 18', die Länge wohl 500 M. Die Technik weist nach dem Urtheile der Sachverständigen durchaus auf römischen Ursprung hin. Sie war eine sog. Gussmauer und ruhete in der Niederung wegen des sumpfigen Bodens auf einem Pfahlwerk; „sämmtliche, aus Eichenholz bestehenden Pfähle steckten aufrecht, jedoch nicht senkrecht in dem Boden; ihre Köpfe, bis auf 4“ convergirend, stiessen direct an die Mauer; die Länge betrug 4 — 5'; sie waren spitz zugehauen mit scharfen Beilhieben; zwischen diesen meist 4 — 6“ starken, meist sehr gut conservirten Stämmchen waren jedoch auch stärkere, bis zu 1' Durchmesser haltende, theils gespaltene, theils ganze Stämmchen unregelmässig vertheilt.“ „Dieses Pfahlwerk, dem hier und dort auch horizontal eingefügte Stammstücke und 4“ starke eichene Dielen zur Stütze dienten, war übrigens ganz unregelmässig construirt, die Pfähle bald seitwärts, bald rückwärts, bald vorwärts geneigt; ihre oberen und unteren Abstände differirten daher von 4“ bis 2'.“ (Aehnliches Pfahlwerk fand sich auch auf dem Mauritiusplatz, auf dem Kranzplatz und dem Schützenhofgebiet.) Weiter aufwärts ruhete die Mauer auf dem gewachsenen Boden; die Dicke war nicht sich gleichbleibend, unten dicker als oben (7' 10“ zu 6'). Die äusseren Bekleidestücke, rechtwinkelig behauene Steine, aber auch Säulenfragmente, Grabsteine, Gesimse und sonstige Baustücke, sind ziemlich wagrecht geschichtet. Das Innere ist in Schichten getheilt, deren Höhe der der Bekleidsteine entspricht; die kleinen Steine und der Schutt desselben ruhen auf steifem Mörtelbett und sind von ebensolchem bedeckt. An der Aussenseite erkennt man noch die Löcher für die Rüsthebel, welche durch die ganze Mauergehen, immer 1,30 M. übereinander, je einen Meter von einander entfernt. (Rossel in den Mittheilungen von 1867. No. 5 u. 6. p. 14. 12. Kekulé in den Ann. X. p. 362. Ueber eine ähnliche Gussmauer im Römerbad Dorow I. p. 57. v. Cohausen in den Ann. XIV. p. 412. Auch Schenck, p. 103, erwähnt einen Stein mit Inschrift in der Mauer, s. u.)
Der Umstand, dass man Architekturstücke und dergleichen zum Aufbau der Mauer benutzte, beweist, dass man zur Zeit der Errichtung sich um die ursprüngliche Bestimmung des Materials nicht eben sehr kümmerte, sondern verwendete, was man fand und brauchen konnte; auch der Umstand ist eigenthümlich, dass die Mauer keinen Raum einschliesst. Man hat desshalb, da anderweitige Aufklärung uns nicht hinterlassen ist, die Vermuthung aufgestellt, sie sei nur der Anfang einer umfassenden, aber nicht vollendeten Befestigung der Stadt Mattiacum und verdanke ihren Ursprung den fortgesetzten Angriffen der Deutschen, die eine stärkere Befestigung nöthig zu machen schienen. Wir finden uns also an das Ende der Römerherrschaft versetzt, eine Zeit, in welcher die Deutschen den Grenzwall vielfach durchbrachen und Plünderungszüge in das römische Gebiet unternahmen. In diesen drohenden Zeiten wurden die bisher sicheren Bewohner der Grenzländer allenthalben aus ihrer Ruhe aufgescheucht, allenthalben begann man die alten Mauern herzustellen, neue anzulegen; hielt es doch Aurelian für geboten, auch die Hauptstadt Rom durch eine neue starke Mauer vor plötzlichen Ueberfällen zu sichern, und zog Probus an der Grenze der agri decumates eine grosse Mauer. (Bernhardt, Geschichte Roms, p. 229.) Damals mochte man auch in Mattiacum hoffen, auf diese Weise sich schützen zu können, wahrscheinlich nachdem man schon eine Zerstörung erfahren hatte man begann eine der Römer würdige Befestigung und zwar zunächst auf der Seite der Stadt, welche am meisten gefährdet war, da der Süden durch die hier zusammenströmenden Bäche und das sumpfige Terrain, der Norden durch das Lager gedeckt war; freilich gab man den nordöstlichen Theil der Stadt, den heutigen Kranzplatz mit seinen Bädern preis, vielleicht weil die ersten Ueberfälle der Deutschen (235. 255) diesen Stadttheil zu sehr zerstört hatten oder weil man sich auf einen kleineren Raum der leichteren Abwehr halber beschränken wollte; desshalb trug man auch kein Bedenken, die Trümmer dieser Zerstörung zum Bau der Mauer zu benutzen, denn es war Eile nothwendig.
Aber ehe man die ganze Anlage vollendet hatte, sah man sich genöthigt, das rechte Rheinufer aufzugeben und keine späteren Versuche der Wiedereroberung haben zum dauernden Besitze und zur Vollendung des begonnenen Werkes geführt, das denn doch auch so den feindlichen Angriff auf die Bäder im späteren Schützenhofe für einige Jahre wenigstens erschwert hatte.
Die Mauer blieb unvollendet und das Volk bewahrte in dem Namen der Heidenmauer die Erinnerung an die gewaltigen Heiden, die solch ein