Manu Ella
TRAVELLERS
Journey through Space and Time
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Zurück in der einstigen Fremde
Reise ins Unbekannte
Brennend heiss scheint die Mittagssonne vom stahlblauen Himmel am letzten Freitag im August des Jahres 2013. Ebenso heiss ist es in Jessica’s Kopf! Mit überhöhter Geschwindigkeit braust die attraktive Frau, die eben ihren achtundvierzigsten Geburtstag feierte, in ihrem weissen Elektrofahrzeug auf dem hitzeflimmernden Asphalt in Richtung Berner Oberland. Unablässig rasen Jessica’s Gedanken. Sie fühlt sich wie auf einer wilden Achterbahnfahrt und ihre innere Anspannung spiegelt sich im raschen und kräftigen Pulsieren ihrer Schläfenarterien wider.
Das heftige Pochen ihrer Adern unter der Hautoberfläche erinnert Jessica an einen unlängst zurückliegenden Waldspaziergang, wo sie dem schnellen Hämmern eines Buntspechts gegen einen Baumstamm lauschte. Die Erinnerung an den idyllischen Moment zaubert ein Lächeln um ihre vollen, ungeschminkten Lippen und ihre angespannten Gesichtszüge werden augenblicklich weicher. Jessica liebt die Stille und Kühle des Waldes in den heissen Sommermonaten. Sie realisiert, wie sich ihr erhitztes Gemüt beim Abrufen der damaligen ruhigen Stimmung besänftigt. Gleichzeitig beruhigt sich die Horde umherspringender Affen in ihrem Kopf, als sie an den grünen, schattigen Laubwald zurückdenkt, wo sie sich geborgen fühlte. Schliesslich stoppt das Gedankenkarussell! Jessica lässt alle Emotionen und Gedanken, die sie noch beschäftigen, mit einer langen, tiefen Ausatmung los.
Fünfzehn Minuten sind vergangen, seit sie in ihren Wagen eingestiegen und von ihrem Elternhaus losgefahren ist. Dank ihrer jahrelangen Praxis mit spirituellen Techniken findet Jessica innert kurzer Zeit zu ihrer Balance zurück. Sie ist sich bewusst, wie wichtig das innere Gleichgewicht für den Erhalt ihrer langfristigen Gesundheit und für ihre positive Ausstrahlung ist. Wenn sie sich durch äussere Ereignisse aus der Bahn werfen lässt, schadet sie nur sich selbst. Die Gewissheit, dass sie ihr Denken und ihre Gefühle wieder unter Kontrolle hat, lässt Jessica entspannt durchatmen. Sanft und doch kraftvoll schmiegt sie ihren Rücken an die weich gepolsterte Lehne ihres Autositzes, der ihr in dieser herausfordernden Lebenssituation zusätzlichen Halt zu geben scheint.
Jessica’s Gedanken sind jetzt kristallklar und ihre Gemütslage hat sich vollkommen beruhigt. Weit weg scheint die soeben stattgefundene heftige Auseinandersetzung mit ihrem Vater zu sein. Dank ihrer Lebenserfahrung im Umgang mit selbstherrlichen Vertretern des männlichen Geschlechts hinterlassen die Wutanfälle und Demütigungen ihres Erzeugers heute keine Spuren mehr in ihrem Bewusstsein. Dies ganz im Gegenteil zu ihrer Kindheit, wo sich die traumatischen Erlebnisse in ihrem Unbewussten festsetzten und sie nachts während Jahrzehnten in ihren Träumen heimsuchten.
Im Laufe ihres Lebens wurde Jessica durch zahlreiche Herausforderungen und Kränkungen, die sie in ihrem Privat- und Berufsleben von Männern einstecken musste, abgehärtet. Als junge Frau entschied sie sich in einem männerdominierten Wirtschaftsumfeld für einen unkonventionellen Berufsweg und wurde während Jahren vom Rohdiamanten zum Diamanten geschliffen. In jener Zeit lernte sie, sich in einer patriarchalisch organisierten Arbeitswelt, wo viele Männer auf einer unbewussten Ebene von veralteten, frauenfeindlichen Bildern gesteuert wurden, mit intelligenten Verhaltensstrategien und natürlichem Charme durchzusetzen. Heute scannt Jessica ihre männlichen Gegenüber mit ihrer über die Jahre präzis entwickelten Beobachtungsgabe und ihrer scharfen Intuition, der nichts zu entgehen scheint. In Blitzesschnelle erkennt sie überholte Verhaltensweisen oder manipulative Absichten. Sieht sie sich bei der Einschätzung von Sachverhalten mit heuchlerischen Beurteilungen konfrontiert, die Männer aufgrund veralteter, unbewusster Vorstellungen fällen, lächelt sie freundlich, zieht aber für sich die notwendigen Konsequenzen, um die Zukunft in ihrem Sinne zu gestalten.
Dank ihres Wissens im Umgang mit autoritären Männern kann Jessica der Disput, der sich gerade mit ihrem Vater ereignet hat, nicht mehr verletzen oder nachhaltig erschüttern. Längst vorbei sind die Zeiten, als sie sich mit Urteilen und Vorstellungen einer teils noch immer konservativen Männerwelt in unserer Gesellschaft identifizierte. Das Beherrschen ihrer Gefühls- und Gedankenwelt und das Bewusstsein, Schöpferin ihrer eigenen Realität zu sein, geben ihr Kraft und Mut, ihrem Leben die Richtung zu geben, die sie allein als richtig empfindet. Unbeirrbar geht sie ihren eingeschlagenen Weg, auch wenn dieser durch innere und äussere Widerstände öfters beschwerlich ist und ihr bisweilen unkonventionelle Handlungsweisen abverlangt.
In Gedanken spielt Jessica nochmals die unerfreuliche Szene mit ihrem Vater durch. Sie erkennt, dass er während der letzten Wochen, wo sie sich in ihrem Elternhaus aufhielt, eine Maske trug, worunter sich sein wahres Gesicht versteckte. Hinter dem vorgetäuschten, liebevollen Verhalten verbirgt sich noch immer der frühere herrschsüchtige Mann: Er bleibt ein Patriarch, der die Kontrolle über seine Familie am liebsten bis in alle Ewigkeit behalten möchte.
Jessica’s hoch entwickeltes Mitgefühl lässt sie gleichzeitig erkennen, dass sich hinter den heftigen Demütigungen, die sie erdulden musste, auch Angst und Traurigkeit um ihr Wohlergehen verbirgt. Ihr Vater ist seinen heftigen Emotionen ohnmächtig ausgeliefert, weil er nicht imstande ist, seine Gefühlswelt zu durchschauen und somit zu beherrschen. Wegen seiner Ohnmacht und der über einen langen Zeitraum aufgestauten Gefühle verwandelte sich seine Angst und Trauer in Wut, die sich einem tosenden Wasserfall gleich über seine eigentlich geliebte Tochter ergoss.
Jessica weiss, dass sie an der zerrütteten Beziehung zu ihrem Vater gegenwärtig nichts ändern kann. Dessen ist sie sich ganz sicher! Zu stolz und zu verletzt ist er in seinen Gefühlen, als dass sie vernünftig miteinander reden könnten. Dazu hat sie zum jetzigen Zeitpunkt ihres Lebens, das während der letzten zehn Jahre von unzähligen Schicksalsschlägen heimgesucht wurde, nicht die Kraft, auf die Gefühlslage ihres Vaters Rücksicht zu nehmen. In ihrer Kindheit und Jugend hat sie dies zur Genüge getan! Erstmals ist sie sich in ihrem Leben bewusst, dass sie trotz ihres angeborenen, mitfühlenden Naturells nur für sich selbst schauen soll. Denn sie hat eben in einer ihr alles abverlangenden Lebenslage nicht die dringend benötigte Unterstützung von ihrem Vater erhalten.
Als Jessica auf der Autobahn dahinfährt, erinnert sie sich an einen besonderen Vorfall, der sich vor nicht allzu langer Zeit ereignete und den sie seinerzeit nicht abschliessend einordnen konnte.
Bei einem ihrer täglichen Abendspaziergänge fiel plötzlich ein Jungvogel von hoch oben aus dem Nest. Es geschah anfangs Juli, als sie während zwei Monaten bei ihrer Schwester wohnte, die mit ihrer Familie im gleichen Haus wie die Eltern lebt. Beim dumpfen Aufprall des zarten Geschöpfes auf dem spärlich mit Rasen bedeckten Boden hörte es sich im ersten Moment an, als würde ein Stein aufschlagen. Bei genauem Hinsehen entdeckte Jessica den hilflosen Winzling und wurde von grossem Mitgefühl ergriffen. Seine Flügel waren kaum entwickelt und dürftig mit Flaum bedeckt. Der schmächtige Vogelkörper bestand grösstenteils aus nackter Haut, die im Abendlicht der untergehenden