Die Schatzinsel. Robert Louis Stevenson. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Robert Louis Stevenson
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754934005
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unserem Hause entfernt, obwohl man es vom »Admiral Benbow« aus nicht sehen konnte, denn es lag am anderen Ufer der nächsten Bucht. Besonders ermutigte mich der Gedanke, dass das Dorf in entgegengesetzter Richtung zu der lag, aus welcher der Blinde gekommen und wohin er vermutlich zurückgekehrt war. Wir waren nur wenige Minuten auf der Straße, obgleich wir einige Male stehenblieben, um eng aneinandergeschmiegt zu lauschen. Aber es war nichts Ungewöhnliches zu hören – nichts als das leise Plätschern der Wellen und das Krächzen der Krähen im Walde.

      Die Lichter waren schon angezündet, als wir das Dorf erreichten, und ich werde niemals vergessen, wie froh es mich machte, den gelben Schein in Türen und Fenstern zu sehen. Leider stellte sich heraus, dass wir dort nicht viel mehr Hilfe bekommen konnten. Man sollte meinen, die Leute hätten sich vor sich selber schämen müssen – aber es ist Tatsache: keine Seele wollte mit uns nach dem »Admiral Benbow« zurückgehen. Je mehr wir von unseren Sorgen sprachen, desto fester klammerten sie sich an das Obdach ihrer Häuser – Männer sowohl wie Frauen und Kinder. Der Name des Kapitäns Flint, den ich früher niemals gehört hatte, war vielen von den Leuten gut genug bekannt und jagte ihnen große Furcht ein. Einige von den Männern, die jenseits unseres Hauses auf den Feldern gearbeitet hatten, erinnerten sich außerdem, verschiedene Fremde auf der Landstraße gesehen zu haben; sie hatten sie für Schmuggler gehalten und waren deshalb aus Vorsicht nach Hause gegangen; einer von ihnen hatte sogar einen kleinen Küstenschoner in der Bucht Kittshole gesehen. Der bloße Gedanke, dass Kumpane von Kapitän Flint in der Nähe wären, genügte, sie auf den Tod zu erschrecken. Kurz und gut: es waren zwar mehrere gern bereit, zum Dr. Livesey zu reiten, dessen Haus in einer anderen Richtung lag, aber keiner wollte uns helfen, unser Haus zu verteidigen.

      Man sagt, Feigheit sei ansteckend; andererseits ist es aber auch wahr, dass Zureden manchmal hilft. Darum hielt meine Mutter eine Ansprache an sie, als jeder sein Sprüchlein gesagt hatte. Sie erklärte, sie wolle kein Geld verlieren, da es ihrem vaterlosen Knaben gehöre.

      »Wenn keiner von euch den Mut hat,« sagte sie, »so haben Jim und ich ihn; wir gehen wieder dahin, von wo wir gekommen sind, und mögt ihr großen, waschlappigen, ängstlichen Männer euch schämen! Die Kiste wollen wir öffnen, und wenn es uns das Leben kosten sollte. Und wenn Ihr so gut sein wollt, Frau Croßley, so gebt mir Euren Sack da, damit ich unser Geld hineintun kann, das uns von Rechts wegen gehört.«

      Natürlich sagte ich, ich wolle mit meiner Mutter gehen; und natürlich erhoben sie alle ein lautes Geschrei über unsere Tollkühnheit; aber das Ende vom Liede war, dass trotz alledem kein Mann uns begleiten wollte. Es war nichts weiter zu erreichen, als dass sie mir eine geladene Pistole gaben, für den Fall, dass wir angegriffen würden, und dass sie uns versprachen, es sollten gesattelte Pferde bereit gehalten werden, für den Fall, dass wir auf unserem Rückweg verfolgt würden; außerdem sollte ein junger Bursche sofort zum Doktor reiten, um bewaffnete Hilfe herbeizuholen.

      Mir klopfte das Herz, als wir beiden in der kalten Nacht auf dieses gefährliche Abenteuer auszogen. Der Vollmond ging eben auf und schien rötlich durch den oberen Rand des Nebels. Dies veranlasste uns zu besonderer Eile; denn es war klar, dass es taghell sein würde, bevor wir wieder zu Hause wären, so dass man uns sehen musste, wenn Beobachter aufgestellt waren, wie wir es von den Seeräubern wohl annehmen konnten. Wir schlichen uns geräuschlos und schnell an den Hecken entlang, doch sahen oder hörten wir nichts, was unsere Ängste vermehrte, bis, zu unserer großen Erleichterung, die Tür des »Admiral Benbow« sich hinter uns geschlossen hatte.

      Ich schob sofort den Riegel vor, und wir standen keuchend einen Augenblick im Dunkeln – ganz allein im Hause mit der Leiche des Kapteins. Dann holte meine Mutter eine Kerze aus dem Zapfraum; und Hand in Hand gingen wir in die Schenkstube. Der Kaptein lag so, wie wir ihn verlassen hatten: auf dem Rücken, die Augen weit offen, den einen Arm ausgestreckt.

      »Zieh den Fenstervorhang herunter, Jim!« flüsterte meine Mutter; »sie könnten kommen und uns von draußen beobachten.«

      Als ich dies getan hatte, fuhr sie fort:

      »Und nun müssen wir den Schlüssel kriegen von dem da; und wer ihn anrühren soll, das möchte ich wohl wissen!«

      Und sie stieß eine Art von Seufzer aus, als sie diese Worte sagte.

      Ich ließ mich sofort auf die Knie nieder. Auf dem Fußboden, dicht neben der Hand des Kapteins, lag ein kleines rundes Stück Papier, das auf der einen Seite geschwärzt war. Ich konnte nicht dran zweifeln, dass dies der schwarze Fleck sei; und als ich es ansah, stand auf der anderen Seite, in sehr guter, deutlicher Handschrift die kurze Botschaft:

      »Du hast Zeit bis heute Abend zehn Uhr.«

      »Er hatte Zeit bis zehn, Mutter,« sagte ich; und gerade in diesem Augenblick begann unsere alte Uhr zu schlagen. Das plötzliche Geräusch jagte uns einen furchtbaren Schrecken ein; aber es war eine gute Neuigkeit: es war erst sechs Uhr.

      »Nun, Jim,« sagte meine Mutter, »den Schlüssel!«

      Ich suchte in allen seinen Taschen. Ein paar kleine Münzen, ein Fingerhut, etwas Nähfaden, ein paar große Nadeln, ein Stück Kautabak, der an dem einen Ende abgebissen war, sein Schiffermesser mit dem gekrümmten Heft, ein Taschenkompass und eine Zunderdose – das war alles, was sie enthielten, und ich begann den Mut zu verlieren.

      »Vielleicht trägt er ihn um den Hals,« sagte meine Mutter.

      Ich überwand meinen starken Widerwillen, öffnete sein Hemd am Halse – und richtig, an einem geteerten Bindfaden, den ich mit seinem eigenen Messer durchschnitt, fanden wir den Schlüssel.

      Dieser glückliche Fund erfüllte uns mit Hoffnung, und wir liefen sofort, ohne eine Sekunde zu verlieren, nach der kleinen Stube hinauf, in der er so lange geschlafen hatte und wo seit dem Tage seiner Ankunft seine Kiste an der Wand gestanden hatte.

      Sie sah von außen genau wie jede andere Seemannskiste aus; auf dem Deckel war mit einem glühenden Eisen der Buchstabe B eingebrannt; die Ecken waren etwas zerstoßen, wie wenn sie lange Dienste getan hätte und viel herumgeworfen worden wäre.

      »Gib mir den Schlüssel!« sagte meine Mutter.

      Das Schloss ging etwas schwer, aber im Nu hatte sie den Schlüssel umgedreht und den Deckel zurückgeschlagen.

      Ein starker Geruch nach Tabak und Teer schlug uns entgegen, aber obenauf war nichts zu sehen als ein sehr guter Tuchanzug, der sauber gebürstet und sorgfältig zusammengelegt war. Die Kleider waren niemals getragen worden, wie meine Mutter mir sagte. Darunter aber lag ein Haufen von Gerümpel: ein Quadrant, ein Zinnkännchen, mehrere Stücke Tabak, zwei Paar sehr schöne Pistolen, ein Silberbarren, eine spanische Taschenuhr und einige andere Schmucksachen von geringem Wert und meistens von ausländischer Herkunft, ein Paar Kompasse in Messinggehäusen und fünf oder sechs seltene westindische Muscheln.

      Ich habe später oft darüber nachgedacht, warum er wohl diese Muscheln in seinem Verbrecherleben überall mit sich herumgeschleppt hätte.

      Wir hatten nichts von irgendwelchem Wert gefunden, außer dem Silber und den Schmucksachen, und diese konnten uns alle nichts nützen. Unterhalb dieses Gerümpels lag ein alter Schiffermantel, der in mancher Sturmnacht von Seesalz weiß geworden war. Meine Mutter riss ihn ungeduldig heraus, und da lag vor uns ein Bündel, das in Wachstuch eingewickelt war und dem Anschein nach Papier enthielt, und daneben ein Leinenbeutel, der wie von Goldstücken klirrte, als meine Mutter ihn aufhob.

      »Ich werde diesen Schurken zeigen, dass ich eine ehrliche Frau bin,« sagte sie. »Ich nehme, was mir zukommt, und nicht einen Heller mehr. Halte Frau Croßleys Beutel!« Sie begann den Betrag der Rechnung des Kapitäns aus seinem Beutel in den hineinzuzählen, den ich hielt.

      Es war ein langwieriges, schwieriges Geschäft; denn es waren Münzen von allen Größen und aus allen möglichen Ländern – Dublonen und Louisdors und Guineen und Piaster, und ich weiß nicht was sonst noch, und sie lagen alle bunt durcheinander. Außerdem kamen Guineen am seltensten vor, und nur mit diesen konnte meine Mutter ihre Rechnung machen.

      Als wir mit unserem Geschäft halb fertig waren, legte ich plötzlich meine Hand auf ihren Arm; denn ich