Die Emotion, die mir eben noch Kraft gegeben hat, schwindet.
Sie wird ersetzt durch das Gefühl der Wehrlosigkeit, was mir erschreckenderweise die Nässe in meinen Schritt schießen lässt.
Mein Hals schmerzt zunehmend. Wieder lockert er seinen Griff und ich nicke heftig mit meinem Kopf.
„Falsche Antwort“, sagt er und in meinem Verstand ploppen die Fragezeichen auf.
Meine Augen beginnen, sich mit Wasser zu füllen. Ich kämpfe dagegen an, weil ich nicht weinen und mich nicht schwach zeigen will, aber ich muss mir eingestehen, dass diese Wehrlosigkeit in mir eine Lust ausgelöst hat, die ich zuvor noch nicht kannte.
Nur schmerzt es mich zu sehen, dass wirklich kein Fünkchen Mitgefühl in Liams Blick zu finden ist.
Von wegen ihm ist meine Gesundheit wichtig! Ungefährlich ist das mit Sicherheit nicht, was er hier gerade mit mir veranstaltet. Aber unsagbar heiß!, erwidert meine Lust.
Mir rinnt eine einzelne Träne die Wange herunter. Liam gibt mir Zeit, um zu antworten. Ich schlucke schwer und versuche, ihm mit meinem Blick flehentlich verstehen zu geben, dass ich nicht weiß, was er von mir erwartet. Er deutet meinen Blick richtig.
„Sprich mit mir und schüttle nicht wie eine Irre deinen Kopf! Ich will es hören!“
Da mein Hals brennt, bin ich nicht sicher, ob ich überhaupt noch einen Ton herausbekommen kann.
„Ja, weiß ich“, krächze ich.
„Ja, und? Warum?“ Bevor ich antworten kann, drückt er wieder zu. „Und wie sollst du mich ansprechen? Hast du so schnell deine Manieren verlernt? So lange war ich nun auch nicht weg.“ Ich darf antworten.
„Weil ich Euch meine Zunge herausgestreckt habe, Sir.“ Diese Worte auszusprechen, hat mich totale Überwindung gekostet. Dass ich ihn real »Sir« genannt habe, ist schon einige Monate her und auch damals ist es mir nicht leicht über die Lippen gegangen.
Vor allem dachte ich, wir hätten unsere D/s-Bindung aufgelöst. Wir haben uns beim Schreiben nur noch geduzt … Ich habe keine Ahnung, woran ich bei Liam bin.
Will er darüber mit mir reden? Will er die D/s-Beziehung weiterführen? Ich warte es ab.
„Geht doch.“ Und da ist es wieder. Ein sanftes Lächeln spielt sich um seine Lippen, die sich langsam auf meine zubewegen.
Mein Slip trieft vor Nässe. Als sein Mund meine Lippen berührt, die vor Aufregung total ausgetrocknet sind – im Gegensatz zu meinen Lippen im unteren Bereich meines Körpers –, schnürt er mir wieder die Luft ab. Doch diesmal drückt er nicht zu fest zu, sodass ich diesen Moment des Ausgeliefertseins total genießen kann und mich darin verliere.
Ich erinnere mich an unseren ersten Kuss in der Bar und vergleiche ihn mit dem jetzigen. Ich dachte, die Erfahrung sei kaum zu übertreffen, aber mein sexuelles Verlangen ist in diesem Augenblick erheblich größer, als es damals der Fall war.
Er löst sich von meinen Lippen. Schade. Ich hätte ihn gerne noch länger geküsst, obwohl mir die Luft doch ziemlich knapp wurde.
„Steig ein“, befiehlt er mir mit einem Lächeln, während er sich auf die Fahrerseite begibt.
Ich setze mich in meine eigene Pfütze. Ich kann mich tatsächlich nicht daran erinnern, jemals so erregt gewesen zu sein, ohne dass ich intim berührt worden bin. Mich stimmt es ein wenig traurig, da ich mir bewusst bin, dass genau solche Situationen etwas Besonderes sind. Sie sind nicht erzwingbar, nicht wiederholbar. Würde ich einem Mann in Zukunft diese Erfahrung als Beispiel dafür nennen, wie meine Lust wirklich in Fahrt zu bringen ist, wie sie über das Körperliche hinausgeht, dann wäre die Magie bereits erloschen, weil seine Bemühungen bloß Bemühungen bleiben würden. Es verliert den Reiz, wenn man jemandem erläutern muss, worauf die eigene Lust reagiert.
Ich würde mich bei jeglichen Handlungen fragen, ob er nun versucht, eine derartige Situation zu erschaffen. In dem Augenblick, in dem er dies versucht, wäre es nicht authentisch.
Die Absicht, die hinter diesen Handlungen steckt, würde mir nicht entgehen und mich sogar abtörnen.
Die wenigsten Männer verstehen, dass wahre Leidenschaft aus der Anziehungskraft heraus entsteht und nicht aus dem, was man sich in seinem Kopf zusammenbastelt, wie man es sich in seiner Fantasie vorstellt und diese dann krampfhaft versucht, real werden zu lassen …
Das Schöne an der Fantasie ist doch, dass ihr keine Grenzen gesetzt werden können. Sie ist unendlich. Sex endet. Hat moralische Grenzen. Jedenfalls für mich.
Warum sollte ich also das, was ich mit meiner Vorstellungskraft erschaffe, Realität werden lassen wollen, wenn es sich doch rein imaginär gut anfühlt? Vor allem, weil sich ein Großteil meiner damaligen Fantasien in der Realität mit Sicherheit nicht erregend angefühlt hätten.
Entführt zu werden, für sexuelle Zwecke, steht jedenfalls nicht auf meiner Bucket List.
Jegliche Szenarien, die aus dem Kopf heraus nachgestellt werden, sind für mich bloß unauthentisch und stehen in keinem Zusammenhang mit Leidenschaft. Leidenschaft ist ein Gefühl. Wie Liebe. Sie kann nicht erzwungen werden. Es geschieht oder eben nicht.
Für Kopfmenschen mag das alles vielleicht funktionieren. Für sie fühlt es sich vielleicht gut an, wenn sie ihre sexuellen Fantasien umsetzen. Ihre Gedanken lösen ihre Gefühle aus. Das klappt bei mir nur sehr begrenzt. Denn ich bin immer auf der Suche nach der Wahrheit. Gedanken kann ich mir so zurechtlegen, wie ich sie will. Mit ihnen bin ich in der Lage, mir bewusst meine eigene Realität zu erschaffen.
Wahr ist für mich das Gefühl, welches mich heimsucht und erst im Nachhinein zu einem Gedanken in meinem Verstand wird.
Dass Liam mir eben die Luft in der Öffentlichkeit abgeschnitten hat … ein Moment, den ich nie wieder erleben werde. Genau, wie den Kuss in der Bar.
Er ist einzigartig. Seine Selbstsicherheit fasziniert mich und dennoch spüre ich, dass auch sie ihre Risse hat, die wesentlich tiefer liegen.
Ist er mutig, weil er Dinge mit mir tut, für die er von anderen Frauen mit Sicherheit eine geklatscht bekommen hätte? Oder ist er schlichtweg naiv und geht unbewusst diese Risiken ein, weil er nur dem nachgeht, worauf er gerade Lust hat? Geht es ihm gar nicht um mich, um uns, sondern bloß um sich selbst?
Vielleicht basiert seine Selbstsicherheit, was seine Dominanz anbelangt, nur auf seinen bisherigen Erfahrungen. Möglicherweise kam seine Art bei allen Frauen gut an, sodass dort gar kein Platz für Zweifel sind.
„Öffne das Handschuhfach“, reißt Liam mich aus meiner Analyse.
Ich öffne es und sehe die Krokodilsklemmen aka. Teufelsklemmen darin liegen. Fragend schaue ich ihn an.
Er wirft mir nur einen kurzen Blick von der Seite zu, der mir suggeriert, dass ich wohl wissen sollte, was jetzt kommt.
„Willst du, dass ich die jetzt anlege?“, frage ich naiv.
„Kluges Mädchen“, grinst er frech vor sich hin, während er durch die Stadt fährt. Wohin es genau geht, weiß ich nicht.
„Aber wie soll ich das machen? Ich kann mich doch schlecht mitten am Tag in deinem Auto entblößen. Es ist viel zu viel los auf den Straßen“, widerspreche ich.
„Ganz einfach. Du streifst dir die Träger deines BHs runter und ziehst den unter deinem Top etwas nach unten. Dein Oberteil ist doch blickdicht.“ Liam lässt keine Diskussion zu.
Widerwillig tue ich, was er sagt. Als wir jedoch an einer Ampel halten, halte ich inne. Die Klemmen liegen in meinem Schoß. Ich brauche nur noch meine Brüste von den Körbchen befreien. Verlegen schaue ich in das Auto neben uns. Der Fahrer guckt zu mir und schenkt mir ein Lächeln. Ich grinse verkrampft zurück.
„Los jetzt!“, befiehlt Liam, als die Ampel auf Grün schaltet.
Ich