»Darauf geht's also hinaus, gnädige Frau! Ich bin ein privatisierender Krämer, Tütendreher, Verkäufer von Hautsalbe, Kopfwasser und Haaröl. Muß mich hochgeehrt fühlen, daß ich meine einzige Tochter an den Sohn des Herrn Baron Hulot von Ervy verheiratet habe, daß sie Baronin geworden ist! Aber leben wir denn in der Zeit der Regentschaft oder unter Ludwig XV.? Rokokofaxen! Was geht mich das an? Ich liebe Cölestine, wie man seine eigene Tochter eben liebt. Ich liebe sie dermaßen, daß ich ihr zuliebe, um ihr keine Geschwister in die Welt zu setzen, all die Unbequemlichkeiten, in Paris Witwer zu sein, auf mich geladen habe, und das in meinen besten Jahren, gnädige Frau! Aber glauben Sie mir: trotz dieser sinnlosen Liebe zu meiner Tochter werde ich mein Vermögen nicht für Ihren Sohn verpulvern. Sein Aufwand scheint mir, dem ehemaligen Kaufmann, einer sauberen Rechnung zu entbehren.«
»Herr Crevel, wir haben gerade jetzt auf dem Posten des Handelsministers einen ehemaligen Parfümerienhändler aus der Rue des Lombards: Herrn Popinot ...«
»Mein Freund Popinot!« rief Crevel aus. »Gnädige Frau, ich, Cölestin Crevel, ich war doch einmal erster Kommis beim alten Cäsar Birotteau. Von besagtem Birotteau, Popinots Schwiegervater, habe ich mein Geschäft gekauft. Popinot war damals auch bloß einfacher Verkäufer bei dieser Firma. Er ist es, der mich immer an all das erinnert, denn eingebildet ist er nicht – das muß man ihm lassen! –, das heißt wohlhabenden Leuten gegenüber, Leuten, die sechzigtausend Francs im Jahre zu verzehren haben ...«
»Sehen Sie, Herr Crevel, jene Kulturwelt, die Sie eben mit dem Worte Regentschaft charakterisiert haben, hat wirklich nichts gemein mit einer Zeit, wo man die Menschen nach ihrem persönlichen Werte schätzt. Und das haben Sie doch getan, als Sie Ihre Tochter meinem Sohne zur Frau gaben ...«
»Ach, Sie wissen nicht, wie diese Heirat zustande gekommen ist«, unterbrach Crevel sie heftig. »Dieses verdammte Junggesellenleben! Ohne meine Weibergeschichten wäre meine Cölestine heute die Vicomtesse Popinot!«
»Ich sage Ihnen zum letzten Male, machen wir uns keine gegenseitigen Vorwürfe in Dingen, die nun einmal geschehen sind!« sagte die Baronin festen Tones, »Reden wir einmal über die bedauerliche Tatsache Ihres sonderbaren Verhaltens. Meine Tochter Hortense hätte sich verheiraten können. Das hing lediglich von Ihnen ab. Ich habe Ihnen Edelmut zugetraut, ich habe geglaubt, Sie würden eine Frau in Frieden lassen, deren Herz ihrem Gatten immerdar treu geblieben ist. Ich habe geglaubt, Sie würden einsehen, daß es eine Unmöglichkeit für mich ist, jemanden zu empfangen, der imstande ist, mich bloßzustellen. Und ich habe geglaubt, Sie würden es sich auf das eifrigste angelegen sein lassen, die Verbindung Hortenses mit dem Regierungsrat Lebas zu fördern – der Familie zu Ehren, mit der auch Sie verwandt sind. Nichts von alledem, Herr Crevel! Sie haben diese Heirat hintertrieben.«
»Gnädige Frau«, gab der ehemalige Parfümerienhändler zur Antwort, »ich habe durchaus ehrlich gehandelt. Man hat sich bei mir erkundigt, ob die zweihunderttausend Francs, die Fräulein Hortense mitbekommen soll, bar vorhanden seien. Meine Antwort hat wörtlich wie folgt gelautet: ›Ich kann nicht dafür bürgen. Mein Schwiegersohn, dem die gleiche Summe bei seiner Verheiratung zur Verfügung stehen sollte, war verschuldet, und ich glaube, wenn Herr Hulot von Ervy morgen stürbe, wäre seine Witwe mittellos.‹ Das war meine Auskunft, Verehrteste!«
Die Baronin sah Crevel scharf an.
»Hätte Ihre Auskunft ebenso gelautet, wenn ich Ihnen zuliebe pflichtvergessen wäre?«
»Dann hätte ich kein Recht gehabt, so zu reden!« bemerkte der sonderbare Verliebte. »Die Mitgift würde Ihnen aus meiner Brieftasche zur Verfügung gestanden haben.«
Wie zum Beweise seiner Worte sank der dicke Crevel vor der Baronin auf die Knie und küßte ihr die Hand. Seine Rede hatte sie in wortlose Angst versetzt. Er bemerkte die Wirkung, hielt es aber für Unschlüssigkeit.
»Ich soll das Glück meiner Tochter erkaufen um den Preis ...? Nein, Herr Crevel! Stehen Sie auf, oder ich alarmiere das Haus!«
Der ehemalige Kaufmann erhob sich wieder, was ihm nicht leicht fiel. Seine Unbeholfenheit versetzte ihn in Wut. Er nahm seine »Attitüde« an. Fast alle Männer haben eine Vorliebe für eine ganz bestimmte Haltung, wobei sie sich einbilden, sie präsentierten damit alle ihre Vorzüge gleichsam auf einem Brette. Diese Attitüde bestand bei Crevel darin, daß er die Arme verschränkte – wie Napoleon Bonaparte –, den Kopf drei Viertel zur Seite drehte und den Blick gen Himmel warf. So hatte er sich auch einmal malen lassen. Mit gut gespieltem Zorn rief er aus:
»Einem Roué treu bleiben ...«
»Einem Gatten, Herr Crevel«, unterbrach ihn die Baronin, »einem Gatten, der es wert ist!« Sie wollte nicht hören, was Crevel im nächsten Augenblick gesagt hätte.
»Gut, gnädige Frau!« begann Crevel von neuem. »Sie haben mir geschrieben, ich solle kommen. Sie wollen die Gründe meines Verhaltens wissen. Sie reizen mich bis aufs Blut mit Ihrer Unnahbarkeit, Ihrer Geringschätzung, Ihrem Hohn! Bin ich denn ein Scheusal? Ich sage es Ihnen nochmals: Glauben Sie mir, ich habe ein Recht dazu, Ihnen ... einen Antrag zu machen ... weil ... Nein, nein! Ich liebe Sie, und darum will ich schweigen.«
»Sprechen Sie sich nur aus, Herr Crevel! Ich werde in ein paar Tagen achtundvierzig Jahre alt. Ich bin nicht albernprüde. Ich kann alles hören.«
»Gut! Schwören Sie mir bei Ihrer Frauenehre, bei Ihrer Frauenehre, die mein Unglück ist! Schwören Sie mir, mich nie zu verraten, niemandem zu sagen, daß ich Ihnen dieses Geheimnis anvertraut habe!«
»Wenn es sein muß, so schwöre ich Ihnen, niemandem zu sagen, selbst meinem Mann nicht, von wem ich das Unerhörte erfahren habe, das Sie mir anvertrauen werden!«
»Ich glaube es Ihnen schon, denn es handelt sich lediglich um Sie und um ihn.«
Frau von Hulot wurde blaß.
»Ja, wenn Sie Ihren Mann noch lieben, dürfte es Ihnen schmerzlich sein! Soll ich also lieber nichts sagen?«
»Sprechen Sie, Herr Crevel! Handelt es sich doch darum, wie Sie sagen, den merkwürdigen Antrag zu rechtfertigen, den Sie mir gemacht haben – die Beharrlichkeit, mit der Sie mich alte Frau verfolgen, mich, die ich meine Tochter verheiraten und dann in Frieden sterben möchte!«
»Sie sind eine unglückliche Frau!«
»Ich?«
»Ja, schönes, edles Wesen, du hast nur allzuviel zu leiden ...«
»Herr Crevel! Schweigen Sie! Gehen Sie oder reden Sie in anständiger Weise!«
»Wissen Sie, gnädige Frau, wie Ihr Mann und ich miteinander bekannt geworden sind? ... Bei unsern Mätressen!«
»Herr Crevel!«
»Bei unsern Mätressen!« wiederholte Crevel in melodramatischem Tone. Dabei gab er seine Attitüde auf, indem er mit der rechten Hand eine beteuernde Geste machte.
»Und?« fragte die Baronin kühl.
Crevel war verblüfft. Verführer mit kleinen Motiven verstehen die großen Seelen nie.
»Was mich anbelangt, der ich seit fünf Jahren Witwer bin«, fuhr er fort, indem er redete, als erzähle er eine Geschichte, »ich wollte mich nicht wieder verheiraten, im Interesse meiner Tochter, die ich vergöttere. Auch wollte ich in meinem Hause mein freier Herr bleiben. Ich hätte ja aus meinem Kontor ein sehr hübsches Frauenzimmer haben können. Aber nein, ich hielt mir, wie man zu sagen pflegt, ein kleines Mädel aus, eine Fünfzehnjährige, ein wunderschönes Ding. Ich gestehe, ich war in sie verliebt bis über die Ohren. Infolgedessen ließ ich aus meiner Heimat eine Tante von mir kommen, die Schwester meiner Mutter; die mußte mit dem entzückenden Geschöpf zusammen wohnen und achtgeben, damit es möglichst brav bliebe in dieser – wie soll ich sagen? – heiklen ... illegitimen Situation. Die Kleine war sichtlich musikalisch. Ich ließ sie unterrichten und ausbilden. Eine Beschäftigung mußte sie doch sowieso haben. Dabei wollte ich gleichzeitig ihr Vater,