Homunkulus Rex. S. G. Felix. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: S. G. Felix
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753184456
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Ziel Orte meiden, an denen Kameras Gesichtserkennung durchführen können. Dort, wo es sich nicht vermeiden lässt, arbeiten wir mit ein paar Tricks, um die Technik zu täuschen. Für solche Fälle haben wir nämlich unsere Spezialisten.«

      »Ach ja? Wie soll das gehen?«

      »Das überlassen Sie mal uns. Das ist manchmal sehr aufwendig, und manchmal ist es auch ganz einfach. Das hängt auch davon ab, welchen Weg und welche Transportmittel wir nehmen werden.«

      »Sie sprechen immer von wir. Werden Sie mich begleiten?«

      »Sehr wahrscheinlich. Doch das kann ich nicht garantieren. Sie werden aber auf keinen Fall alleine reisen. Nur wir kennen die Fallen, in die Sie auf Ihrem Weg tappen könnten. Ohne uns wäre dieser Trip, den Sie vorhaben, zum Scheitern verurteilt.«

      »Gut.« Das war für Robert eine der wichtigsten Maßnahmen zur Vertrauensbildung. Er würde die ganze Zeit jemanden an der Hand haben, der ihn führte. Der All-Inclusive-Service, sozusagen. Es ging nämlich nicht darum, dass Robert mit falscher Identität reisen musste. Das eigentliche Problem war, dass er in einer Zeit lebte, in der Urlaubsreisen in ferne Länder zwar unter strengen Auflagen möglich waren, es aber bis auf absolute Ausnahmen illegal war, in ein fremdes Land zu migrieren, um dort dauerhaft zu leben. Das galt zumindest für Menschen, die Roberts Klasse angehörten. Wie es dazu kommen konnte, dazu später mehr. An dieser Stelle sei nur gesagt, dass Roberts Wunsch, auf einem anderen Kontinent ein neues Leben zu beginnen, ihn für den Rest seines Lebens ins Gefängnis bringen konnte, wenn er aufflog. Er riskierte alles, was er sich mühsam erarbeitet hatte. Aber er war sein Leben leid, und nun bot sich ihm dank eines Erbes die eine Chance, die man kein zweites Mal im Leben erhält.

      Der Plan war daher im Grunde genommen simpel. Roberts Klon würde sein Leben übernehmen. Er würde jeden Morgen früh aufstehen und zur Arbeit gehen. Er würde Freunde treffen, mit ihnen essen oder ins Kino gehen. Er würde all das tun, was Robert zuvor auch getan hatte. Sein Klon würde alt werden, ohne jemals Kinder gezeugt, geschweige denn eine Familie gegründet zu haben. Er würde alleine sterben, ohne jemals irgendjemandem aufgefallen zu sein oder etwas Bedeutendes getan zu haben.

      Robert hingegen würde - sofern seine Flucht erfolgreich verlaufen sollte - am anderen Ende der Welt ein Leben in Freiheit führen. Ohne Überwachung, ohne Bevormundung und ohne Zwang. Niemand würde nach ihm fahnden und ihn öffentlich an den Pranger stellen, so wie es mit Verbrechern in dieser Zeit üblich war. Denn sein Klon würde seinen Platz in seinem alten Leben eingenommen haben. Es war der perfekte Plan. Nur seine Umsetzung war schwierig und gefährlich. Aber Robert war bereit, dieses Risiko einzugehen, denn nichts verabscheute er mehr als sein jetziges Dasein.

      »Sie brauchen sich also keine Sorgen machen, Herr Mester. Wir werden Sie bis zu Ihrem Ziel nach Kamtschatka begleiten. Erst wenn Sie sicher angekommen sind, und wir uns vergewissert haben, dass unser kleiner 'Trip' unbemerkt geblieben ist, werden wir Sie in Ihre wohlverdiente Freiheit entlassen und damit auch abschließend die Abbuchung für unser Arrangement veranlassen. Sie zahlen also erst, wenn alles vorbei ist.

      Mehr ist nicht zu sagen. Brauchen Sie noch ein wenig Bedenkzeit?«

      »Nein.«

      »Also frage ich Sie: Haben Sie jetzt alles verstanden, was ich Ihnen gesagt habe?«

      »Ja«, antwortete Robert schnell.

      »Sollen wir mit der Produktion des Klons beginnen?«

      Robert hatte ursprünglich geglaubt, dass er im letzten Moment die Nerven verlieren und alles abblasen würde. Nächtelang hatte er wachgelegen und immer wieder mit dem Gedanken gespielt, es sein zu lassen und seinem erbärmlichen Leben eine zweite Chance zu geben. Jetzt aber, in dem Augenblick seiner Entscheidung, war er ganz ruhig und besonnen. Er schloss kurz die Augen. Und das, was er dann vor sich sah, war nicht die Gefahr, in die er sich begab, sondern es war sein neues Leben, das auf ihn wartete. In den schroffen Weiten Kamtschatkas, dem wahrscheinlich letzten Ort der Welt, an dem der Begriff Freiheit nicht zur Makulatur geworden war, sah er seine ganz persönliche Erlösung vor sich. So klar wie nie zuvor. Darum fiel ihm die Antwort auf die letzte entscheidende Frage auch nicht schwer.

      »Ja, beginnen Sie mit der Produktion des Klons«, sprach er. Seine Augen leuchteten.

      Und mit diesem Satz setzte Robert Ereignisse in Gang, die so folgenschwer waren, dass sie als der Fall 'Homunkulus Rex' in die Geschichte eingehen sollten.

       Kapitel 1: Die zwei Gesellschaften

      »Ich wusste, dass Sie sich dafür entscheiden würden«, sagte der junge Mann erfreut, stand von seinem Stuhl auf und reichte Robert die Hand.

      Per Handschlag besiegelt, dachte Robert und lächelte. Das würde der beste Deal sein, den er je gemacht hatte.

      »Um sicherzustellen, dass Ihr Aufenthalt hier in diesem Gebäude keine Fragen aufwirft - falls jemand sich dafür später einmal interessieren sollte - müssen Sie jetzt nach oben gehen und sich in das Restaurant setzen. Ich werde dafür sorgen, dass man Sie durch die Hintertür hineinlässt. Bestellen Sie etwas. Essen Sie und lassen Sie sich Zeit. Danach gehen Sie ganz normal wieder nach Hause.«

      »Ich verstehe«, sagte Robert. »Hier im Untergeschoss ist das Signal meines Ortungschips nicht lokalisierbar, richtig?«

      »Ihr Signal ist permanent rückverfolgbar. Aber es wird sich nicht unterscheiden lassen, ob Sie hier im Keller waren oder oben im Restaurant. Sollte Sie also jemand fragen, was Sie in diesem Gebäude so lange getan haben, sagen Sie, dass Sie im Restaurant waren.«

      »Na hoffentlich wird mich niemand fragen.«

      »Ganz bestimmt nicht. Seien Sie unbesorgt.

      Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag. Wir melden uns dann bei Ihnen.«

      »Alles klar.«

      Robert war schon auf dem Weg zur Tür, als sein Auftragnehmer zu seiner Überraschung sagte: »Übrigens, mein Name ist Hendrik.«

      Robert drehte sich noch einmal um. »Ist das Ihr echter Name?«

      Hendrik lächelte schief. »Das ist der Name, den Sie sich merken sollten.«

      Robert nickte und verließ den Raum. Jemand hielt ihm oben im Erdgeschoss eine Tür auf und schon befand er sich im Inneren des italienischen Restaurants. Er setzte sich an einen Tisch am Fenster, und es dauerte nur ein paar Sekunden, bis ein Kellner erschien und ihm die elektronische Speisekarte überreichte. Robert bestellte sich nur eine kleinere Portion Spagetti und ein Mineralwasser. Er bezweifelte, ob er überhaupt etwas herunterbekommen würde, so aufgeregt war er.

      In dem dunklen Raum mit Hendrik hatte er sich im entscheidenden Moment der Auftragsbestätigung selbstsicher und stark gefühlt. Aber jetzt zurück an der Oberfläche, dem wirklichen Leben, sackte ihm das Herz in die Hose.

      Er versuchte sich beruhigen und sah aus dem Fenster. Auf der Straße fuhren beinahe geräuschlos die autonom gesteuerten Fahrzeuge vorbei. Einige Lieferwagen und die unzähligen shared cars, also die Leihfahrzeuge, die fast ausschließlich von der arbeitenden Bevölkerungsklasse genutzt wurden. Autonom fahrende Autos als Eigentum, das war für diesen Teil der Gesellschaft nicht mehr erschwinglich. Der letzte Hersteller, der noch bezahlbare Fahrzeuge gebaut hatte, musste Insolvenz anmelden, kurz bevor Robert vor knapp 42 Jahren geboren wurde. Die Rendite war auch in jener Zeit, in der Robert lebte, immer noch das alles bestimmende Dogma.

      Während es also in dieser Zukunft, in der wir uns befinden, normal war, dass vier oder auch acht Menschen der arbeitenden Klasse in einem shared car saßen, um sich von A nach B autonom transportieren zu lassen, konnte sich dagegen die Klasse der leistungslosen Geldelite ein eigenes Gefährt (meistens nicht nur eines) leisten, das sie mit niemandem teilen musste. Gegen einen Aufpreis konnte man sogar die Genehmigung erwerben, das Fahrzeug selbst zu steuern, des emotionalen Fahrerlebnisses wegen, wie es die Marketingabteilungen der Hersteller formulierten.

      Positive Emotionen waren für Menschen wie Robert kein Mittel der Marketingabteilungen der Unternehmen. Für Roberts