Robert Lang
Interstate
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1
Robert Lang
Interstate
Roman
1 Chugwater, Wyoming
Der große Mann stieg aus dem Wagen, schaute sich nach allen Seiten um und ging die wenigen Schritte zu dem kleinen Liquor Shop, dessen Türschild versprach, er sei geöffnet. Er hatte den steifen Gang eines Mannes, der lange Zeit in einer unbequemen Haltung verbracht hatte; sorgfältig setzte er einen Fuß vor den anderen, so als überquerte er einen Bach auf einem schmalen Balken, dem nicht im Mindesten zu trauen war.
Sein Gesicht war von einer freundlichen und offenen Art, aber selbst die von der Sonne eines langen Sommers gebräunte Haut konnte nicht über die völlige Erschöpfung ihres Besitzers hinwegtäuschen.
Drinnen im Laden war es fast dunkel, nur die neonweiße Beleuchtung der verglasten Kühlschränke spendete etwas Licht. Es roch nach Glasreiniger oder Desinfektionsmitteln, so als sei die Einrichtung gerade erst auf Hochglanz gebracht worden. Der Mann an der Kasse schaute kaum auf, im schwachen Licht einer Tischlampe war er in die Lektüre eines Buches vertieft.
Der Kunde entnahm dem Kühlschrank einen Karton Budweiser, in einem Regal auf der anderen Seite des Ladens fand sich eine Flasche Campari. Seine Begleiterin, die im Auto wartete, liebte dieses Zeug. Mit reichlich Orangensaft verdünnt konnte sie es den ganzen Abend über trinken, ohne dabei betrunken zu werden, sie war dann höchstens ein wenig beschwipst, und das auf eine hinreißende Art. Er selbst blieb abends lieber bei ein paar Dosen Bier. Er brauchte einen klaren Verstand, wenn er der Situation gewachsen sein wollte, in der sie sich befanden.
Er bezahlte in bar und erhaschte dabei einen Blick auf das Buch des Kassierers; es war ein halb zerfallenes Exemplar von Moby Dick, das ganz offensichtlich durch viele Hände gegangen war.
„Guter Roman“, sagte er, aber der Mann, ein großer Afroamerikaner Mitte zwanzig, mit breiten Schultern und Rasta-Locken, war nicht zum Plaudern mit einem Fremden aufgelegt. Er betätigte die Kasse, zählte dem Kunden das Wechselgeld vor und schien ihn eine Sekunde später wieder vergessen zu haben. Er half lieber Captain Ahab bei der Jagd.
Der Mann trat hinaus ins weiche Licht eines frühen Abends und blickte aufmerksam nach rechts und links, eine Angewohnheit, die er sich wie von selbst zugelegt hatte, seit er verfolgt wurde. Der Beruf, dem er noch vor zwei Wochen nachgegangen war, hatte einen passablen Beobachter aus ihm gemacht, und seine derzeitige Lage tat ein Übriges. Er musste wachsam agieren, denn kleine Fehler konnten große Probleme schaffen.
Er zählte vier Fahrzeuge, die jedoch an derselben Stelle gestanden hatten, als er vor wenigen Minuten ausgestiegen war. Fußgänger waren nirgends zu sehen - was wenig verwunderlich war, denn es gab hier kaum Geschäfte oder Büros. Wenn das die Hauptstraße war, wollte er nicht wissen, wie es anderswo in diesem Ort aussah.
In einem kleinen Städtchen des Westens wie diesem erwartete man Tumbleweed, das vom Wind träge über die Straße gerollt wurde, oder kleine Windhosen, die den Staub der Straße aufsammelten, um ihn nach einem kurzen Tanz an einer anderen Stelle wieder abzulegen.
Aber nichts dergleichen, die Straße lag still und reglos da, nur ein herrenloser Hund mit einem verkrüppelten Hinterlauf und schmutzig-braunem Fell näherte sich ihm. Aber als der Mann keine Anstalten machte, ihn zu füttern oder wenigstens zu streicheln, schleppte er sich ein paar Meter weiter und trollte sich hinter eine halboffene Mülltonne, aus der es säuerlich nach verdorbenem Essen roch.
Er merkte jetzt, dass sie auf der heutigen Fahrt von Kansas City, Missouri, auf eine Höhe von gut sechzehnhundert Meter über dem Meeresspiegel geklettert waren. Es wurde frisch, sobald die Sonne hinter dem Horizont verschwand.
Sie hatten ein paar Straßen weiter – nahe der Auffahrt zur Interstate 25 - ein Zimmer in einem kleinen Motel gefunden, waren eingecheckt, hatten ihr Gepäck hineingetragen, und obwohl sie beide nach einer 12-stündigen Fahrt todmüde hier angekommen waren, hatten sie sich noch einmal ins Auto gesetzt, um im „Stampede Saloon“, den der Besitzer des Motels ihnen empfohlen hatte, etwas zu essen. Und obwohl sie zuerst kaum Appetit verspürt hatten, schmeckte ihnen das Essen hervorragend.
Sie aßen ein paar riesige Burger, die sie mit einer Karaffe Eistee hinunterspülten, und als die Rechnung kam, fragte die Kellnerin beiläufig, wo sie denn herkämen - er spreche mit einem Akzent, den sie noch nicht gehört habe. „Aus Norwegen“, sagte Cord, worauf sie wissen wollte, ob das in der Nähe von Italien liege.
„Ungefähr so nah, wie New York City von Miami entfernt ist.“
Sie hatten trotz ihrer Müdigkeit lachen müssen, aber die Frau freundlich aufgeklärt, bevor die Situation peinlich werden konnte.
„Tut mir leid, Leute“, sagte die Kellnerin. „Ich bin einundfünfzig Jahre alt und noch nie weiter hier rausgekommen als bis Laramie. Und auch das nur, weil meine Schwester dorthin geheiratet hat.“
„Dann steht es 1:0 für Sie – Sie kennen sicher jeden Stein in dieser Gegend, oder?“ Sie errötete aus irgendeinem Grund und räumte rasch die Teller ab. Cord hinterließ ein großzügiges