80 Jahre danach in der schönen neuen Welt. Ron Palmer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ron Palmer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753188683
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ist. Aber, wie Sie sehen, es ist möglich. Wir müssten ja sonst beide morgen noch einmal hierher kommen, nur weil ein Zweier im Isodol-Rausch das Falsche gegessen hat und mit seinem Dünnpfiff hier den ganzen Betrieb zum Stillstand....“

      „Dieser Daten-Stick?“

      „Meine Erfindung! Hilft mir oft ungemein weiter“, sagte der Dreier mit einem stolzen Lächeln. Dieser Dreier war ungewöhnlich: Er war schnell, er war sprachgewandt und sogar seine Mimik war ausdrucksstärker als die vieler Zweier. Und...er war offensichtlich kreativ!

      Einser brauchten eine gewisse Kreativität für ihre anspruchsvollen Berufe, ohne dass man dafür dieses Wort oder sogar das unsägliche Wort Fantasie benutzte. Man sagte dann lieber Assoziationsfähigkeit. Mancher Einser-Plus musste schon umgeschult werden, um seine überschäumende Kreativität zu kanalisieren. Zweiern gelang es hingegen recht gut, ihre bereits geringere Kreativität auf das notwendige Maß zu begrenzen. Doch Dreiern sagte man das ganz und gar nicht nach. Oft sind sie, obwohl immer bemüht, leicht lethargisch, nett, hilfsbereit, aber nicht die Schnellsten, weil bei ihnen einige Gehirnregionen gezielt geschädigt wurden, wie jeder weiß. In ihrem Fach sind Dreier aber stets sehr gut. Kraftfahrer, Gärtner, Hausmeister, Techniker, Kindergärtner - das sind die typischen Berufe, in denen die Dreier schon immer gut aufgehoben waren, und niemand zweifelte daran.

      Wenn Arnold morgen nicht noch einmal in die Datenverarbeitungszentrale fahren wollte, kam ihm die Hilfsbereitschaft des Dreier-Technikers sehr gelegen. Erwartungsvoll saß dieser jetzt vor der Tastatur und wartete auf Arnolds Reaktion.

      „Ja dann... Danke, dass Sie mir weiterhelfen. Ich bin Arnold Wankel, Professor an der Krupp-Universität, und möchte gern meine Akte sehen.“

      Während er sprach, flogen die Hände des Dreiers über die Tasten und als Arnold den Satz beendet hatte, erschien schon die erste Seite seiner Akte auf dem großen Monitor. Anerkennend nickte er seinem Helfer zu.

      „Der Monitor funktioniert offenbar wieder“, scherzte Arnold. Ein Witz, den ein Dreier kaum verstehen dürfte, doch dieser lachte ganz gelassen und stellte sich vor: „Max Jung, stets zu Ihren Diensten!“ Und er hielt Arnold recht dreist seine Hand zu einer Kasten übergreifenden Verbrüderung hin. Das war nicht verboten. Doch über zwei Kasten hinweg passierte es sehr selten und war kaum denkbar im Zusammenhang mit so einer, weder erlaubten noch verbotenen, Handlung. „Was soll's?“, dachte Arnold. Ihm gefiel die Situation und er schlug ein.

      „Arnold Wankel, angenehm!“

      „Ich geh' dann mal kurz für kleine Dreier, damit Sie in Ruhe lesen können“, wollte sich Max dezent zurückziehen und zwinkerte Arnold zu.

      „Aber nein, Sie können das ruhig lesen, Sie haben doch ohnehin jederzeit Zugriff darauf mit Ihrem Wunderding“. Das ließ sich Max nicht zweimal sagen. Er zog sich einen zweiten Stuhl heran und setzte sich hastig neben Arnold. Das war mehr als ungewöhnlich, ein neugieriger Dreier! Zu Arnolds Überraschung schien er auch ebenso schnell lesen zu können wie er, denn fast gleichzeitig zögerten die beiden beim Lesen, schauten sich ungläubig wegen des Gelesenen an oder sprachen fast gleichzeitig „Ohs“ und „Ahs“ aus.

      Selten war eine Personalakte länger als zwei Seiten, aber diese schien kein Ende zu haben. Sie waren im Text gerade bis zu Arnolds erstem Intelligenz- und Assoziations-Test im siebten Schuljahr gelangt. Er hatte damals, mit dreizehn Jahren, bereits einen Intelligenzquotienten von einhundertzweiunddreißig, mehr als der vieler erwachsener Einser, und trotzdem lautete die Empfehlung nur Aufstufung zum Zweier-Plus in drei Jahre, empfohlen. Nun war Arnold gespannt, was in der Akte drei Jahre später aufgezeichnet war. Er suchte die Stelle im Text, die begründete, warum er drei Jahre später zum Einser hochkastiert wurde.

      Das Telefon klingelte. Etwas unsicher nahm Max den Hörer an.

      „Ja? Den Raum abschließen? Sofort? - Ich muss noch die Wandverkleidung anschrauben. - Morgen weiterarbeiten? Nein, das geht nicht, hier liegen Stromleitungen offen, die muss ich noch sichern. Es dauert nur drei Minuten - Zwei Minuten? Gut, wenn es sein muss, reicht das auch. Wiederhör'n.“ Max schüttelte den Kopf.

      Arnold war etwas verärgert, weil er nun morgen nochmal hierher kommen müsste, um den Rest zu lesen. Max grinste verschmitzt, es gab hier keine offenen Stromleitungen mehr, die Wandverkleidung hatte Max längst wieder verschraubt. Er zauberte einen zweiten Daten-Stick aus einer Tasche seines grünen Dreier-Overalls, steckte ihn seitlich an die Konsole, zog ihn dann wieder ab und reichte ihn Arnold.

      „Hier, Hausaufgaben!“

      „Ist das ein...? Das ist doch... Nein, nein, nein, die sind verboten, jede unerlaubte Datenspeicherung ist verboten, dafür haben wir die Datenzentren...“

      „Und was denken Sie, warum Ihre Heimkonsole einen Eingang für diese Daten-Sticks hat?“

      „Man kann sie nicht benutzen, weil... äh... Moment... weil niemand private Daten-Stick besitzt...“

      „Doch, ich. Und Sie jetzt auch!“

      „Wir müssen jetzt raus hier“, ermahnte der Dreier den Einser, eine grenzwertige Aufforderung, sehr dicht an der Grenze der Kasten-Konventionen. Aber Arnold dachte nicht daran, das zu melden. Der Dreier hatte ihm bereitwillig und unbürokratisch geholfen und die ganze Situation faszinierte ihn.

      Kaum hatten sie den Raum verlassen, zischte die hydraulische Verankerung der Zimmertür und verwahrte die Datengeheimnisse damit sicher – mit Ausnahme des verbotenen Daten-Sticks in Arnolds Tasche. Die beiden gingen am Empfang im Erdgeschoss vorbei. Die Zweier hinter dem Schalter bemerkte nicht, das es Arnold war, den sie zuvor sinnlos in den Raum des erkrankten Mitarbeiters geschickt hatte. Max informierte sie, womöglich völlig sinnlos: „Schaden in Raum elf-vierundvierzig behoben, melde mich ab“. Dabei setzte er die typische oberflächliche Freundlichkeit eines normalen Dreiers auf, doch Max Jung war nicht normal, darüber war sich Arnold sicher.

      „Sagten Sie, Sie müssen noch ins Zentrum?“, hakte Arnold nach.

      „Ja, zwei Aufträge in der Uni. Die häufen sich dort, bin seit einigen Monaten fast nur noch dort im Einsatz.“

      „Dann lassen Sie uns gemeinsam dort hinfahren, ich arbeite dort jeden Tag.“ Arnold unterdrückte den Reflex, seinen Beruf ausführlicher zu beschreiben, ein Automatismus, dem höhere Kasten gegenüber niedrigeren Kasten sonst immer nachkamen, damit jeder der beiden froh sein konnte, in seiner Kaste seinen erlernten Aufgaben nachgehen zu können.

      Die beiden saßen in der fast leeren U-Bahn eine Weile schweigend nebeneinander und dachten über die Situation nach. Plötzlich begannen beide entspannt zu lachen. Arnold stieß den etwas kleineren Dreier mit dem Ellenbogen scherzhaft in die Rippen und meinte: „Ich bin Arnold. Zeigst du mir noch, wie man den Stift an der Konsole verwendet?“

      „Ich bin Max. Aber das hast du doch eben gesehen, die Einser-Konsolen sind die gleichen, wie du sie auch an den Arbeitsplätzen findest. Der Eingang für den Daten-Stick ist bei deiner Heimkonsole an der gleichen Stelle. Vielleicht etwas verstaubt oder mit einer Verkleidung abgedeckt, aber technisch sind die Dinger alle gleich.“

      Die Worte plätscherten aus Max nur so heraus und so ging das Gespräch angeregt weiter. Es waren zwei Dreier im Waggon, ganz vorne war ein Einser in hellgrau zu sehen und nicht weit entfernt in alt-rosa ein Zweier, der die beiden immer misstrauischer beobachtete, weil sie ihre Verbrüderung so offen zur Schau stellten. Es war nichts Unrechtes, nur ungewöhnlich, doch Arnold hatte den verbotenen Stift in der Tasche und wollte auf keinen Fall gemeldet werden.

      Jetzt schaute Arnold den Zweier direkt an und rief ihm zu: „Isodol-Fünf! Wir testen Isodol-Fünf, noch in der Entwicklungsphase, noch nicht ausgereift.“

      Sein neuer Freund improvisierte hervorragend. „Zu viel Iso-Fünf haut dich aus de' Strümpf'!“, lallte Max und umarmte dabei Arnold, der entschuldigend den Kopf schüttelte und durch das U-Bahnabteil rief: „Sie sehen ja: Nur etwas zu viel davon und dann passiert so etwas.“ Arnold griff an Max' Handgelenk und schien jetzt seinen Puls zu zählen.

      Der Zweier lache zufrieden und