Hope wankte mit unsicheren Schritten zurück ins Büro und ließ sich auf dem nächstbesten Stuhl nieder. „Sie hat mich als Flittchen bezeichnet“, sagte sie noch immer verständnislos. „Nach allem, was man so hört, hüpft sie mit jedem Kerl ins Bett und nennt mich ein Flittchen. Mich!“ Sie spürte heiße Tränen in den Augen brennen und brach abrupt ab, bevor sich ihre Stimme überschlug. Wieso ärgerte es sie sehr, was diese Frau dachte? Hope wusste, dass sie sich nichts vorzuwerfen hatte. Ihr Verhältnis zu Conrad war niemals ein derartiges gewesen.
Adrian gab ein verächtliches „Pah“ von sich. „Solch eine Frechheit. Du könntest Anzeige wegen Beamtenbeleidigung erstatten. Oder wegen Verleumdung, da sind die Strafen höher gesteckt. Was bildet diese Frau sich überhaupt ein? Plustert sich auf wie eine Gräfin, und in Wirklichkeit ist sie die einzige, die Conrad keine ehrliche Träne hinterherweint.“
In diesem Punkt konnte Hope ihrem Kollegen nur zustimmen. „Danke“, flüsterte sie schließlich.
„Ach, schon gut.“ Adrian winkte ab. „Ich bin sicher, du wärst auch alleine mit ihr fertig geworden.“
Hope musste unwillkürlich grinsen. „Ich war drauf und dran, sie mit meiner Waffe durchs gesamte Haus zu scheuchen.“
Adrian lachte. „Na, das hätte ich gern gesehen. Nächstes Mal schalte ich mich nicht ein.“
Hope atmete tief ein und wurde wieder ernst. „Vielleicht doch“, sagte sie. „Bei dem kleinsten Fehltritt wird Chief Rice mich in die Wüste schicken. Er wartet nur darauf, dass ich versage.“ Sie schwiegen einige Augenblicke und in Hope keimte wieder der Gedanke, welch ungeheures Glück Samantha Carrington hatte, Adrian Glover ihren Freund nennen zu dürfen. Verlobten, verbesserte sie sich mit Erinnerung an den Ring an dem Finger der jungen Brünetten, den sie bei Conrads Beerdigung stolz getragen hatte. Samantha war im letzten Jahr zu einer wirklich guten Freundin geworden und Hope war nicht der Typ Frau, der davon unzählige besaß. Sie war äußerst vorsichtig in der Auswahl ihrer Vertrauenspersonen. Sie gönnte den beiden Verliebten ihr Glück von Herzen, doch ihre unbeschwerte Fröhlichkeit führte Hope stets die Leere in ihrem eigenen eintönigen Leben vor Augen. Diesen Platz in ihrem Herzen, den noch niemals jemand auszufüllen vermocht hatte. Ob es tatsächlich für jeden Topf einen passenden Deckel gab?
„Hope, ich würde heute gerne etwas früher gehen. Sam hat ihre Präsentationsprüfung und ich möchte sie mit einem selbst gekochten Abendessen überraschen.“ Was für ein verflucht gut aussehender Traummann, der auch noch wusste, was Frauen wollen! Das Leben war einfach ungerecht…
„Selbstverständlich.“ Hope räusperte sich, um mit ihren Gedanken in das Hier und Jetzt zurückzukehren. „Ach Adrian, eines noch. Ich habe hier die Akten der zwei neuen Kollegen, die uns zugeteilt wurden. Sie werden unser Team ab nächster Woche komplettieren.“
Adrian nickte. „Okay“, sagte er langsam. „Und wo liegt das Problem?“ Er war wirklich extrem aufmerksam.
„Einer der beiden ist bereits länger dabei“, begann Hope umständlich. „Detective Christian Taylor. Versetzung. Aber der andere scheint ein echter Frischling zu sein. Ich selbst sehe mich nicht in der Lagen, mich seiner Einführung zu widmen, weil ich das alles selbst erst auf die Reihe kriegen muss. Grace ist mir aber noch zu jung; ich habe Angst, es könnte sie überfordern, einen Neuling als Partner zu haben.“
„Verstehe“, sagte Adrian. „Es ist für Marc und mich kein Problem, für einige Zeit andere Partner zu haben, falls es das ist, was du mir mitteilen möchtest. Schließlich sind wir nicht verheiratet“, fügte er augenzwinkernd hinzu.
Hope atmete erleichtert aus. „Ich danke dir.“
Adrian schüttelte abwehrend den Kopf. „Nun komm schon, Hope. Wir sind doch ein Team. Einer für alle – Alle für einen. Außerdem gibt Marc bestimmt einen guten Ausbilder ab. Der wird mit unserem Frischling schon fertig. Oberlehrer sein, wird ihm Spaß machen. Und Grace und ich kommen auch prima miteinander klar. Mach dir nicht so viele unnötige Sorgen. Das wird schon alles. Du hast viel zu wenig Selbstvertrauen. Du wirst Conrads Platz perfekt ausfüllen. Captain!“
Hope schmunzelte unter einem plötzlichen Anfall von Optimismus und Tatendrang. „Ich kriege diesen Titel! Ob es dem Chief passt oder nicht.“
„Das ist die richtige Einstellung!“, stimmte Adrian ihr zu. „Wir lassen uns hier nicht unterkriegen. Von keinem!“
Mittwoch, 04. November, 8.30 Uhr
Nach dem ersten Erfolgserlebnis mit der neuen Wohnung, dem Glücksgriff einer Vermieterin wie Mrs. Weyler und einer gehörigen Portion Schlaf, war Chris guter Dinge, auch eine geeignete Vorschule für seine Tochter zu finden. Es war Mittwoch und für kommenden Montag war sein erster Arbeitstag festgelegt. Demnach war es höchste Zeit, eine Betreuungsinstitution für Elise ausfindig zu machen.
Auf dem Weg zwischen Finn Street und Texas Avenue, in der sich das Shreveport Police Department befand, gab es drei Einrichtungen, die über Betreuungsangebote für Kinder im Alter von drei bis fünf Jahren verfügten: das Rainbow-House, den Little People’s Kindergarten und die Villa Sunshine, die zwar sämtliche Verbindungen zur Holy Church of Scientology abstritt, sich gegenteilige Meinungen jedoch hartnäckig hielten. Chris setzte die Villa Sunshine deshalb vorsichtshalber auf den letzten Platz der möglichen Optionen. Zwischen den beiden anderen ließ er seine Tochter wählen und anhand der Bilder, die er für Elise auf sein Tablet zauberte, entschied sich das Mädchen für das farbenfrohe Gebäude des Rainbow-House.
„Ich will aber das rote Kleid anziehen!“, schimpfte Elise und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Aber das ist viel zu dünn“, erklärte Chris mit Blick auf die Uhr. In einer knappen Stunde war er mit der Leiterin des Rainbow-House verabredet. „Für ein leichtes Sommerkleidchen ist es heute zu kalt. Was hältst du von dem grünen, wenn es unbedingt ein Kleid sein muss?“
„Ich hasse grün!“, schmollte Elise und stampfte mit dem Fuß auf.
Chris verdrehte die Augen. Frauen waren also schon als kleine Mädchen so schwierig, wenn es um die Auswahl des geeigneten Outfits ging. „Ich könnte dir grüne Bänder ins Haar flechten“, schlug er vor.
Noch vor wenigen Monaten hätte er jeden anderen Mann belächelt, der die Fertigkeit besaß, für Männerhände ungeeignete Frisuren zu kreieren. Männlich war das jedenfalls nicht. Er seufzte. „Elli“, bat er, doch das kleine Mädchen blieb eisern.
„Wir haben auch rosa Haargummis“, hielt sie dagegen und schob trotzig das Kinn vor.
Wie ihre Mutter…
Chris wehrte den Gedanken sofort ab. „Dann eben rosa und rot“, gab er sich geschlagen und kramte in Elises Kinderkoffer nach einem weißen Wolljäckchen, das neben den üblichen Rüschen-verspielten Verzierungen über jede Menge bunter Flecken verfügte, die jedem Waschmittel standhaft trotzten. „Aber plus Jacke“, sagte er etwas strenger. „Deal?“
Elise überlegte. „Deal“, willigte sie schließlich ein und schlüpfte in Kleid und Jäckchen.
Chris setzte Neue-Klamotten-kaufen als einen Punkt auf seine imaginäre To-Do-Liste, von der er gerade das Stichwort Wohnung-finden gestrichen hatte. Zwei Wochen zwischen dem Ende des einen und dem Beginn eines neuen Vollzeitjobs waren einfach nicht genug. Insbesondere dann nicht, wenn man seine gesamte Vergangenheit zurückließ.
„Gibt es dort jeden Tag einen Regenbogen?“, fragte Elise, während sie sich umständlich in eine Strumpfhose quälte.
Es dauerte einige Augenblicke, bis Chris begriff, wovon sie sprach. „Im Rainbow-House?“, fragte er nach. „Bestimmt.“
Elise strahlte. „Wohnt der Regenbogen dort?“
Chris lachte. „Wahrscheinlich, ja. Oh je, Süße, du hast die Strumpfhose verkehrt herum. Zieh sie nochmal aus.“ Die Kunst des Strumpfhosen-Anziehens gehörte