Am Fuße der Kordilleren, gegen die scharfen West- und Nordweststürme durch die hohen schroffen Bergrücken geschützt, liegt an der westlichen Grenze der Argentinischen Republik /115/ das kleine freundliche Städtchen Mendoza, für das ich schon auf dem Ritt dahin, und lange ehe ich das Vergnügen hatte, es persönlich kennen zu lernen, eine gewisse Achtung hegte. Die meisten Caravanen, denen wir begegneten - und wir trafen deren viele - kamen von Mendoza; wo man Mehl, Käse, Wein, Branntwein oder Früchte sah - welcher andere Ort hatte sie erzeugt als Mendoza?
Die Stadt selbst? - nun daran ist freilich weiter nichts zu sehen. - Es ist ein kleiner freundlicher Ort von circa 8000 Seelen; die Häuser sehen denen in allen anderen Theilen der Republik sprechend ähnlich, und sind so einfach aus Lehm gebaut, daß man immer ängstlich ist, der nächste starke Regen müßte die ganze Stadt einmal in einen einzigen Lehmhaufen zusammenwaschen, aus dem heraus sich dann die einzelnen Schornsteine höchst erstaunt die Verwüstung beschauen würden. Das geschieht aber nicht: der Lehm ist fest gestampft und nutzt sich dadurch, selbst bei den härtesten Regenschauern, nur sehr wenig und unbedeutend ab.
Ihre Verbindung mit dem umliegenden oder entfernteren Land besteht aber auch freilich nur zu Lande. Der kleine Fluß Mendoza, der nicht weit davon fließt, ist nur, wenn der Schnee der Cordilleren thaut, hoch genug um befahren zu werden, und dann eben wieder seines schnellen Steigens und seiner reißenden Strömung wegen schwer befahrbar. Wohin also auch Mendoza seine Producte versendet, oder woher es seine anderen Bedürfnisse beziehen will, muß dies stets und allein durch Caravanen geschehen, die entweder in Maulthierzügen oder den schon beschriebenen großen unbehülflichen, aber zweckmäßigen Güterkarren oder Transportwagen bestehen.
Mendoza ist die wirkliche Fruchtkammer des benachbarten Landes, und schafft Wein und Früchte selbst nach dem sonst sio gesegneten Chile hinüber. So bilden die Mendoza-Rosinen einen sehr bedeutenden Handelsartikel über die Kordilleren, und im Sommer soll Caravane auf Caravane durch die Berge ziehen. Nichtsdestoweniger könnte das Land noch in weit größerem Umfang bebaut, und selbst das bebaute weit starker benutzt und ausgebeutet werden, wäre nicht eben hier /116/ wieder die Bequemlichkeit des Südländers ein gar zu großes Hinderniß. - Es fehlen da deutsche Kräfte, und späteren Generationen - wenn sich die politischen Verhältnisse der Argentinischen Republik erst einmal geregelt haben - ist es vielleicht vorbehalten den Segen zu ernten, der noch im Schooße der fruchtbaren Erde schlummernd begraben liegt.
Es leben in Mendoza verschiedene Ausländer, unter diesen aber nur drei Deutsche: ein Hutmacher (Karl Rohde aus Gera, der früher in der Haughk'schen Fabrik in Leipzig gearbeitet hatte und mit süßer Schwärmerei noch nach dort zurückdachte) - ein junger Goldarbeiter (Schöpf aus Hannover) und der Gehülfe des Hutmachers. Außerdem schloß sich diesem noch ein Italiener, Mariani, an, der ebenfalls Deutsch sprach. Das nächste Frühjahr möchte sich aber der Reisende wohl vergeblich nach ihnen in Mendoza umsehen - kann er aber gut spüren, so findet er sicher ihre Fährten in den Cordilleren. Und wo sind sie hin? - gone to the diggins, natürlich nach Californien.
Ich selbst kann mich aber nur freuen, daß ich sie noch in Mendoza traf, denn ich wurde auf das Herzlichste von ihnen aufgenommen und behandelt, und werde stets mit vielem Vergnügen ihrer, und durch sie meines kurzen Aufenthalts in Mendoza gedenken.
Außerdem soll noch ein einziger deutscher Ackerbauer in der Nähe von Mendoza leben, die Deutschen in der Stadt geben ihm aber keinen besonders guten Namen, und er beabsichtigte auch sein kleines Gut auszuverkaufen und, wie die Anderen, dem Golde nachzugehen.
Auch für die Literatur ist in Mendoza etwas - aber freilich erst in letzterer Zeit - gethan, und zwar durch einen Nordamerikaner, einen Mr. van Sice, der eine Druckerpresse mit aus den Vereinigten Staaten herüberbrachte und hier, am Fuße der Kordilleren, aufstellte. Diese aber in Gang zu bringen, hatte er, wie er mir selber erzählte, eine Heidenarbeit gehabt, und hatte sie noch, sie darin zu halten.
Die Südamerikaner, in einem so abgeschlossenen Theil der Welt, zeigten im Anfang natürlich nur sehr wenig Sinn für eine derartige Entwickelung ihrer geistigen Kräfte. Mr. /117/ van Sice bewies ihnen aber, und er setzte sie dadurch nicht wenig in Erstaunen, daß es ihnen gerade ein d r i n g e n d e s B e d ü r f n i ß wäre selber eine Druckerei zu besitzen. Dabei hatte er die Schwierigkeit zu überwinden - denn mit leeren Worten allein war es nicht gethan - nicht allein dies Bedürfniß zu befriedigen, sondern es in Wirklichkeit auch erst selber hervorzurufen.
Bis dahin waren nur wenige Schul- und Gebetbücher in Mendoza gebraucht worden, und diese kamen, mit einigen Novellen und anderen Schriften, durch die rückkehrenden Caravanen von Buenos-Ayres. Von diesen verschaffte sich Mr. van Sice vor allen Dingen Exemplare und druckte sie nach. Der Bedarf mußte sich aber auch natürlich erschöpfen, und er rief deshalb ein monatliches Heft, was er drei Bogen stark und zwar mit sehr engen Lettern druckte, in's Leben. Es enthielt dies meist wissenschaftliche, technische, auch belletristische Artikel - denn mit Politik durfte er sich in der Republik nicht befassen - und fabelhaft waren, seiner Aussage nach, die Schwierigkeiten, mit denen er zu kämpfen hatte, dieser Schrift erst vor allen Dingen Eingang und dann Abonnenten zu verschaffen. Wie die Yankee Uhrenhändler in seinem eigenen Vaterland, mußte er von Haus zu Haus die Bücher hausiren, und da die Leute von einem wirklichen Abonnement kaum eine Ahnung hatten, die Hefte nicht selten zurücklassen. Die unfreiwilligen Besitzer derselben gaben sich dann im Anfang dem süßen Glauben hin, sie hätten die „schönen Bücher" geschenkt bekommen, bis sie die nach Verlauf eines Vierteljahres einkommende Rechnung eines Besseren belehrte.
Ein anderes Bedürfniß erweckte er bei ihnen in Gestalt von Visitenkarten, deren Gebrauch sie ebenfalls in ihrem unschuldigen ländlichen Leben bis dahin noch nicht gekannt hatten. Zuerst druckte er für sich selber solche und gab diese bei seinen Besuchen ab; dann wußte er den Gouverneur zu bewegen, diesem Beispiel, als aus der Residenz kommend, zu folgen - und damit hatte er gesiegt. - Es gehörte urplötzlich zum guten Ton, und mit einem leisen Anflug von halb Stolz, halb Schadenfreude, wie ein Jäger etwa die verschie-/118/denen Geweihe der Hirsche zeigen würde, die er eigenhändig erlegt hat, zeigte er mir die in seinem Zimmer auf einer Tafel aufgesteckten Karten Derer, die seiner Politik bis jetzt zum Opfer gefallen waren. Da sie zu der besseren Klasse des Städtchens gehörten, mußten sie natürlich alle Uebrigen zur Folge zwingen.
Bei der Besiegung all' dieser Schwierigkeiten gehört das aber gerade nicht zu den geringsten, daß er hier nicht einen einzigen Arbeiter fand, den er gebrauchen konnte. Gleich vom ersten Beginn mußte er sich selber Lehrlinge heranziehen und dabei selber erst die Sprache lernen; nur der hartnäckige goahead Charakter eines Yankee konnte das Alles besiegen. Wie die Verhältnisse aber jetzt stehen, verdient er, freilich bei eisernem Fleiße, seiner eigenen Aussage nach viel Geld, und wird nun wohl - nicht wahr, lieber Leser - seine Druckerei vergrößern, Arbeiter aus Buenos-Ayres und Valparaiso herüberziehen, eine Buchhandlung dabei anlegen und - halt, halt - er wird keins von alledem. - Im Gegentheil; er hat Jemanden gefunden, der Lust zeigt seine Druckerei in Bausch und Bogen zu kaufen, und wird nun wohl - natürlich nach Californien ziehen. Wie es nachher mit der Literatur in Mendoza stehen wird, wissen die Götter; wenn aber ein Südamerikaner, der das Alles in Gang sieht und die Triebfedern nicht kennt, die es darin erhalten, glauben sollte, ohne den Geist eines Yankee zwischen seinen gleichgültigen Landsleuten ein solches Geschäft einfach fortführen zu können, so irrt er sich sehr. - Wenn die Kraft aufhört zu wirken, die es in Schwung brachte und darin erhält, schläft Alles wieder ein, und ein Jahr später, wenn Mr. van Sice seinen Plan nicht etwa noch ändert, möchten wohl nur noch spanische Gebetbücher und vielleicht seidene Bänder mit der Regierungsdevise die einzigen Producte der mendozanischen Presse sein.
Mr. van Sice hatte eine junge Südamerikanerin, und zwar gerade aus Achiras, wo ich einen so entsetzlichen Abend verbrachte, geheirathet. Ich wollte übrigens, ich hätte lauter solche liebenswürdige Wesen dort getroffen, als seine Frau /119/ war, ich würde dann die Pampas mit einer sehr verschiedenen Meinung von ihren Bewohnern verlassen haben.
Die Mendozaner scheinen in dem Farbenspiel ihrer Nalionalitäi fast stärker zu sein als selbst die Bewohner von Buenos-Ayres. - Dort sind doch wenigstens die Fremden von diesem Livréedienst verschont, hier aber darf Niemand - und wenn er aus dem Monde käme - das Polizei- und zugleich Postgebäude