Reisen Band 1. Gerstäcker Friedrich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerstäcker Friedrich
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754154229
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Eingeborenen des Landes, die ich betrat - eine kleine, erbärmliche Hütte aus Lehm aufgeworfen, mit Binsen gedeckt. Ein Tisch und ein paar mit Häuten überzogene Stühle bildeten das ganze Ameublement; das Tischtuch mußte schon Wochen lang gedient haben, die Gabeln waren schmutzig - Messer wurde nicht gegeben - es versteht sich von selbst, daß Jeder sein Messer bei sich führt, und die Gauchos tragen Messer von sechzehn bis achtzehn Zoll Länge. Neben mich auf einen Stuhl wurde das jüngste Kind gestellt - wir aßen Alle aus einer Schüssel - das Kind war schauerlich unrein - es starrte ordentlich von Schmutz, und die Na. Don’t mention it, /67/ sagen die Amerikaner - ich würgte ein paar Mal ordentlich an einem Bissen, dennoch konnte ich dem Kinde nicht böse sein. Es war ein gar so lieber, herziger, dickbackiger, dunkeläugiger Junge mit großen, mächtigen Augenwimpern, und ich mußte immer und immer wieder an den eigenen Knaben denken, den ich zu Hause zurückgelassen, um hier einsam in der Fremde herumzustreifen. Der kleine liebe Kerl hatte so herzige Grübchen im Backen und so krauses dunkles Haar - wenn er nur nicht den Löffel immer so lange unter die Nase gehalten hätte.

      Das Mittagessen dauerte nicht lange, frische Pferde wurden gebracht, und bald darauf galoppirten wir wieder rasch und munter der zweiten Station zu, wo wir für heute unser Nachtlager aufschlagen wollten. Der Correo ist, was ich übrigens hier erst bemerken möchte, die regelmäßige Post, die in der Argentinischen Republik durch die verschiedenen Provinzen geht. Der Correo von Buenos-Ayres nach Mendoza durchschneidet - mit den Provinzen Buenos-Ayres, Santa- Fé, Cordova, San-Luis und Mendoza - die Republik von Ost nach West, wartet in Mendoza, bis der Correo von Chile über die Gebirge kommt, (was aber im Winter stets eine sehr unsichere Sache ist, da der dortige Correo sehr häufig nicht über die verschneiten Kordilleren kann und die Postverbindung drei, vier Monate lang unterbrochen bleibt) und kehrt dann nach Buenos-Ayres zurück.

      Diese Poststationen hatte ich mir übrigens einer leicht verzeihlichen europäischen Phantasie – gar verschieden von denen gedacht, die ich wirklich fand. - Das Wort Poststation ist mehr eine Schmeichelei, und der Reisende findet weiter auf der Gottes Welt nichts als eben ein Dach, je nach Verhältniß oder Zufall mit einer Lehm- oder Korbwand und einem mit einer Kuhhaut überspannten Gestell, auf das er Sattel und Decke und später sich selber werfen kann. Weiter gegen Westen fällt auch selbst der Luxus eines solchen Gastbettes weg, und man bekommt eine einfache Lehmbank zum Daraufliegen, oder auch den blanken Erdboden selber angewiesen- und die Flöhe!

      Der Sattel ist des Gaucho Bett, und auf dies Lager, /68/ mit unseren Ponchos und Decken, waren also auch wir einzig und allein beschränkt. Das Hans, in dem wir übernachteten, war eben so schmutzig als das, wo wir zu Mittag gegessen; ebenso waren es die Bewohner, und die Matehröhren eben so heiß. Dabei lag die kleine Hütte still und einsam in der weiten öden Steppe - kein Feld, kein Garten dabei, nicht einmal eine Umzäunung, die Pferde darin zu fangen; nur ein paar in die Erde geschlagene Pfähle, mit Streifen Rindshaut dazwischen ausgespannt, dienten zu diesem Zweck. Ich kann ziemlich viel Unbequemlichkeiten vertragen, und werde wahrlich nie über magere Kost oder hartes Lager murren - dieser widerliche Schmutz überall ekelte mich aber doch an, und ich warf mich an dem Abend, trotz einem recht scharfen und gesunden Appetit, ohne einen Bissen zu genießen, auf meine Decken nieder.

      Der nächste Morgen entschädigte mich jedoch reichlich für alles ausgestandene Unangenehme. Er war kalt und frisch, doch blau und klar spannte sich das reine Firmament übers die maigrüne Ebene aus, und der Anblick, den die zahlreich überall zerstreuten Heerden auf dem weichen Grasteppich gewährten, war wirklich entzückend. Die Pferde wurden gebracht, das Gepäck und unsere Sättel aufgelegt, und im Galopp flogen wir in dem heitern, lebensfrischen Bilde, das rasch wie ein Panorama wechselte, dahin.

      Wohin das Auge auch sah, war Leben, und in der Luft wie auf den Wiesen trieb es sich im bunten, fröhlichen Gewühl durcheinander. Unmaßen von Kibitzen strichen kreischend über uns hin, oder saßen dicht am Weg oder an den Lachen und wandten kaum den Kopf nach den vorübersprengenden Reitern. Gemüthliche Störche standen ernsthaft hier und da in dem helleren Hintergrund; eine kleine Art Eulen, kaum größer als Staare, kauerten neben ihren Erdhöhlen oder flogen mit schrillem Schrei auf, um sich in etwa zehn Schritt Entfernung wieder niederzulassen. Lange Ketten von Enten strichen durch die Luft oder saßen auf den nächsten Wassern und große, stattliche Wassertruthähne erzählten sich, dort das feuchte Sumpfgras steht, merkwürdige Geschichten mit ihren gellenden Stimmen. In dem schwellenden Grün lag /69/ dabei das gesättigte Vieh oder jagten sich die jungen Lämmer, und nicht fern weidende Pferde schmetterten den unseren mit zurückgeworfenen Mähnen und schnaubenden Nüstern den wiehernden Gruß entgegen, den auch unsere Thiere froh und muthig erwiderten. Es war ein herrlicher Morgen, und das Herz ging mir auf in all' dem Schönen und Freundlichen, was mich umgab. Nur eins wirkte störend und dämpfte den sonst sicherlich unübertroffenen Eindruck: das viele gefallene Vieh, das überall, nur zu oft mitten im Weg, oder auch auf den Wiesen selber, theils nur noch als Gerippe, theils halb verzehrt, theils erst angefressen von unzähligen darüber kreisenden Raubvögeln, herumliegt. Thut es dem Auge doch in der sonst so reizenden, friedlichen Umgebung ordentlich weh. Die Thiere selbst sind aber so daran gewöhnt, daß sie, ohne je zu scheuen, ruhig an den Cadavern vorbeispringen, und selbst die Rinder weiden in geringer Entfernung von den gefallenen Kameraden.

      Wir kamen an dem Abend, es war am 18. Juni, ziemlich spät in's Quartier, und ich sah mich heute, da ich den ganzen Tag nichts als ein wenig Milch zu essen bekommen, durch meinen Magen genöthigt, an dem Abendessen Theil zu nehmen. In einer hölzernen Schüssel, die noch die deutlichen Spuren früherer Gerichte trug, bekamen wir unsere Suppe und Fleisch; etwas Brod hatte mein alter Correo bei sich, und mit schmutzigen Löffeln, die ich, um die Leute nicht zu beleidigen, nicht einmal abwischen durfte, verzehrten wir unser frugales Mahl. Später lernte ich übrigens - man fügt sich ja in Alles – mir darin zu helfen, und wenn ich einen gar zu schauerlichen Löffel bekam, ließ ich ihn einfach, wie aus Versehen, auf die Erde fallen. Dadurch bekam ich auch ein unbestrittenes Recht, ihn abzuwischen, und daß ich dann mehr mehr davon nahm, als ich hinangebracht hatte, glaubte ich mit meinem Gewissen ausmachen zu können. Die Landleute der Argentinischen Republik leben fast durchschnittlich einzig und allein von Fleisch und – wollen sie luxeriös sein – von einer eigenen, hier viel gepflanzten Art Kürbis, der allerdings ein angenehmes, aber immer noch viel zu wenig gezogenes Gemüse liefert. Brod kennen sie fast gar nicht, oder haben /70/ es nicht, und selbst da, wo Mais gezogen wird, backen sie nicht, wie es der nordamerikanische Backwoodsman selbst in der ärmlichsten Hütte thut - das so nahrhafte und sicherlich - gesunde Maisbrod. Wie der südseeländische Indianer seine Brodfrucht, die ihm in den Mund wächst und die er nur zu pflücken braucht, so verzehrt der Südamerikaner hier sein Fleisch, das ebenfalls unter seiner Hand und neben und mit ihm aufwächst - er kennt kaum und verlangt selten mehr.

      Ich war übrigens an diesem Abend fest entschlossen, mir die Lippen mit dem verwünschten Mateh nicht wieder zu verbrennen, und bat meinen Alten, der die ganze Proviantirung übernommen hatte, um etwas Thee oder Kaffee, was wir beides mit uns führten. Er machte Thee, und ich war in den letzten Tagen so von Allem entwöhnt worden, daß ich den allerdings etwas sehr dünnen Thee schon als einen wirklichen Genuß betrachtete, bis mich meine Umgebung eines Besseren belehrte. Der Thee war nämlich eben aufgegossen, und ich blickte schon mit einer Art Schadenfreude nach den Anderen hinüber, die ich auf ihren Mateh angewiesen sah, ließ den Becher etwas kühlen, und wollte ihn dann auf menschliche, d. h. civilisirte Art an die Lippen bringen, als ein allgemeiner Schrei des Erstaunens und Gelächter, wie verschiedene Ausrufe mich bald darauf aufmerksam machten, es sei entweder irgend etwas Außerordentliches vorgefallen, oder ich stehe wenigstens im Begriff Gift zu trinken. Erschrocken hielt ich ein und sah die Leute im Kreise verwundert an. Die aber gaben mir durch Worte und Zeichen (denn mit meinem Spanisch ging es noch sehr spärlich), so gut das möglich war, zu verstehen, daß ich gerade im Begriff sei, etwas ganz Entsetzliches zu begehen, indem ich den Thee - mit dem Mund aus der Schale tränke. Man reichte mir ohne Weiteres eine der verzweifelten Metallröhren, und es war augenscheinlich, daß man erwartete, ich solle damit meinen Thee, wie den Mateh einschlürfen. Ich wollte nun zwar protestiren, wurde aber unter einem wahren Heidenlärm, überstimmt, und mußte mich endlich - mit welchen Empfindungen kann sich der Leser denken - der Majorität fügen.

      Körperlich wohl durch den ungewohnten langen Ritt er-/71/müdet, geistig aber nur zu sehr aufgeregt, auch vielleicht