Wenn auch klar wird, dass Hollywood seine Abgründe hat, dass es Menschen nicht nur aufbauen, sondern desgleichen ruinieren kann, so präsentiert es sich doch immer noch als außergewöhnlicher Möglichkeitsraum und Karrierekanal, ganz im Sinne des American Dream und des Pursuit of Happiness der US-amerikanischen Unabhängigkeitserklärung – des Rechts darauf, nach Glück und Erfolg zu streben, und des Versprechens, sie auch zu erlangen, wenn man nur tüchtig genug ist. Nahezu buchstäblich wird Esther Blodgett von der Tellerwäscherin zum oscarprämierten Superstar, nachdem sie aus der Midwest-Provinz in das verheißungsvolle Los Angeles gereist ist und nur fest genug an ihr Talent geglaubt hat, zudem dank ihrer Hartnäckigkeit so lange durchhält, bis kairoshaft die passende Gelegenheit vorbeischaut (ihre Begegnung auf einer Hollywoodparty mit Norman Maine), die sie just beim Schopf ergreift.
Und nicht zuletzt Adolphe Menjous Studiochef Oliver Niles, der sich nicht bloß mit gespielter (also kommerziell interessierter), sondern mit wahrhaftiger Fürsorge den Problemen des Ehepaares Maine annimmt, der den gestrauchelten Star in der Entzugsanstalt besucht und ihm gegen alle Gesetze des Marktes ein Rollenangebot unterbreitet – also ein resolutes Gegenbild zum Stereotyp des Produzenten als Egoist. „A Star Is Born“ malt ein ausnehmend euphemistisches Bild vom Studioboss – nicht umsonst verweisen winzige Details auf Selznick, dessen nachträglich erfundenes „O“ an den Namen Oliver erinnert und der mit seiner Handschrift die Niles-Signatur unter Blodgetts Vertrag gesetzt hat. Wird der Studiochef spätestens ab den 1950er Jahren als Tyrann, Despot und Psychopath dargestellt, sind die beiden unter Selznick auf die Leinwand gebrachten Filmemacher von 1932 und 1937 ansteigend sympathische Persönlichkeiten, in ernsten Momenten voll familiärer Empathie und Herzensgüte.
Als Niles seinen Schützling (und natürlich auch sein Investment) Maine auf dessen heftiges Trinken anspricht, bekennt sich Niles – in Tonfall und Blicken durchaus glaubwürdig – zu einem hehren Motiv. Es gehe ihm nicht ums Geld: „I’ve made lots of money with you, and I can afford to take a loss, but I hate to see you going the way of so many others.“ In einer anderen Szene, nachdem Esther und Norman dem Chef von ihren Heiratsabsichten unterrichtet und den Raum wieder verlassen haben, da bezeichnet Libby den älteren Star als „public nuisance number one“. Daraufhin stutzt ihn Niles in einer geradezu idealtypischen Manier des vorbildlichen Chefs zurecht: „Now wait a minute Libby, Norman’s all right. And if you’ll pardon my pointing, Vickie’s business is her own. It doesn’t require any comments.“ Und als Vicki Lester ihm am Set von Maines Alkoholproblemen berichtet, tröstet Niles sie und bietet sich sofort an, dem arbeitslosen Ex-Star ein Engagement zu verschaffen. Als Spiritus Rector erst von „What Price Hollywood?“, dann von „A Star Is Born“ war es kein Wunder, dass der Produzent Selznick das Bild des Filmproduzenten in diesen beiden Filmen außerordentlich beschönigte.
Die sentimentale Reinwaschung der skandalumwitterten Filmindustrie erreicht gegen Ende des Films ihren Höhepunkt, als Vicki Lester kurz davor ist, ihre Zelte in L.A. abzubrechen. Die Dienerschaft wird gerade ausbezahlt, die Wohnung ist schon fast ausgeräumt, das Zugticket gebucht, da steht plötzlich Großmutter Blodgett in der Tür und redet ihrer berühmt gewordenen Enkelin ins Gewissen: „I was proud to be the grandmother of Vicki Lester. It gave me something to live for, now, I haven’t any.“ Esther will die Stadt verlassen, will aufgeben, die Großmutter fordert Disziplin ein: „Tragedy is a test of courage. If you can meet it bravely, it will leave you bigger than it found you. If not, then you’ll have to live all your life as a coward.“ Im Film hat dies einen Anklang von Happy End: dass Esther Blodgett, die zu Beginn des Films irgendwo im klirrend kalten North Dakota von einer Hollywoodkarriere träumte, ihre Errungenschaft nun nicht achtlos wegwirft. Aber die Botschaft lautet freilich, dass Selbstmorde, Alkohol- und Drogentode in der Hollywoodcommunity letztlich von Versager:innen und Feiglingen zeugen, nicht aber von einem pathologischen System.
Kurzum: Hollywood ist ein fantastischer Ort der Verwirklichung menschlicher Träume, mit seinen düsteren Nischen vielleicht gerade deshalb auch wieder „normal“, kein Moloch aus Dekadenz und Kommerz, wie es manchmal mit seinen landesweit in den Zeitungen ausgebreiteten Geschichten von Sex, Gier und Sucht den Eindruck erweckt. Indem man sich also in aller Öffentlichkeit ein paar Fehler und Schwächen eingesteht – die Fähigkeit zu Selbstironie und Selbstkritik beweist –, gewinnt man an Glaubwürdigkeit und Ansehen, ohne in der Praxis irgendetwas ändern zu müssen.
Der Nukleus, aus dem „A Star Is Born“ seine anhaltende Faszinationskraft bezieht, ist natürlich Hollywood selbst. „… the beckoning El Dorado … Metropolis of Make-Believe in the Californian Hills“, heißt es zu Beginn des Films, im Anschluss an die kurze Heartland-Sequenz, die Esthers Abreise in Richtung Westen zeigt. Aufnahmen von entspannten Menschen mit Cocktailgläsern unter Sonnenschirmen, in Hollywoodschaukeln und auf Luftmatratzen am Pool suggerieren einen luxuriösen Alltag in der Hollywoodkolonie.
Die Dekadenz der Reichen und Schönen, die man mit Hollywood verbindet, manifestiert sich meist etwas vornehmer in den Heimstätten der Stars. Eine Szene nach den eher bescheidenen Flitterwochen im Wohnwagen zeigt ein phänomenales Grundstück, auf dem sich das frischgebackene Ehepaar Maine niedergelassen hat. Im Hintergrund sieht man eine weiße Villa, während Esther und Norman über den akkurat gemähten Rasen zu einem Teich hinunterschreiten, wo eine kleine Flotte von Schwänen ihre Eleganz zur Schau stellen. Natürlich werde man die Strandvilla in Malibu behalten, sagt Norman. Auf der anderen Seite des Anwesens erstreckt sich ein Pool von der Größe eines Hauses. Das Ganze ist eine Mischung aus mediterranem Ambiente und Hollywood’schem Größenwahn, aber eine ungemein atmosphärische Manifestation eines Teils der Dreißigerjahre-Filmstadt Los Angeles. Die Sequenz im Garten der Maines fängt die neoaristokratische Noblesse der Elite des alten Hollywood der Charlie Chaplins, Mary Pickfords und Douglas Fairbanks’ ein.
Auch hinter die Kulissen des Filmemachens blickt „A Star Is Born“, mit dem Make-up-Department, dem geräumigen Produzentenbüro, aber auch dem Set. Nachdem Maine seinem Protegé tatsächlich zu einem Screentest verholfen hat, steht Esther das erste Mal vor der Kamera. Die betriebsame Atmosphäre am Set oszilliert zwischen Bahnhofshalle und Baustelle. Der Regisseur sitzt vor der Kamera, mit Zigarette und Fedora: „This is a take. Roll ’em. Quiet! Take!“ In der Studiokantine sitzen in den Drehpausen die Indianer neben den Cowboys.
Selznick hatte klare Vorstellungen: „A Star Is Born“ sollte zwar kein düsteres Licht auf Hollywood werfen, aber sich doch echt anfühlen. Neben wahren Anekdoten und realistischen Schicksalen mussten daher vor allem die Filmlocations authentisch sein. So ließ Selznick die MGM-Kantine nachbauen und Maines Malibu-Villa möglichst zeitgenössisch einrichten. Eine Konsequenz daraus ist, dass der originale „A Star Is Born“, stärker noch als die 1954er Fassung, über ein eingebautes Sightseeing-Programm verfügt. Da ist etwa das „Cafe Trocadero“: In dem Nachtklub der Stars – einer einstigen Raststätte – am Sunset Strip überblicken Blodgett und Maine nach der Preview ihres gemeinsamen Films die leuchtende Fläche, die Los Angeles mit seiner flachen Bebauung in der Nacht ergibt. „It’s a carpet spread for you“, sagt Maine; „It’s all yours from now on, you know.“ Das „Troc“ war erst wenige Jahre vor „A Star Is Born“, 1934, eröffnet worden und die Location schlechthin, um gesehen zu werden. Das „Biltmore Hotel“ war eines der Gebäude, die Anfang der 1920er Jahre – erbaut für die seinerzeit sagenhafte Summe von zehn Millionen Dollar – Los Angeles Metropolenglanz verliehen; dort findet im Film in der glamourösen „Biltmore Bowl“, einem gigantischen Ballsaal, die achte Oscarzeremonie statt – so wie in Wirklichkeit, als ebendort am 5. März 1936 Frank Capra moderierte. Es heißt, die Oscarstatuette sei 1927 auf einer Tischdecke im „Biltmore“ entworfen worden. Die Libby-Maine Konfrontation spielt sich im Santa Anita Park ab, einer ebenfalls kürzlich (1934) eröffneten Pferderennbahn in Arcadia, ein paar Meilen nordöstlich von Los Angeles gelegen, wo all die Spielernaturen Hollywoods ihr Geld verzocken oder Pferde aus ihren eigenen Gestüten ins Rennen schicken konnten.
Und dann natürlich das bereits erwähnte „Grauman’s Chinese“, der 1927 eröffnete