Weit im Westen suchte um die gleiche Zeit Wayne Colt den Weg zum Hauptlager der Verschwörer. Südlich davon ritt ein kleiner Affe auf dem Rücken eines großen Löwen. Von diesem sicheren Platz aus rief das Äffchen mit schriller Stimme allen Dschungelbewohnern die ärgsten Beleidigungen zu. Lautlos, aber von der gleichen Verachtung für alles andere Getier erfüllt wie das Äffchen auf seinem Rücken, schritt der mächtige Löwe hochmütig gegen den Wind den Pfad entlang. Er war sich seiner Macht bewusst und wusste, wie sehr ihn alle anderen fürchteten. In der Nähe des Pfades graste eine Antilopenherde. Das Leittier fing die scharfe Witterung der Riesenkatze auf. Die Tiere begannen nervös durcheinander zu laufen. Als der Löwe jedoch in Sicht kam, ging die Herde nur einige Schritte beiseite und machte ihm Platz. Noch während der Löwe zu sehen war, begannen die Antilopen wieder zu grasen. Numa, der Löwe, war satt und die Antilopen wussten, dass man Numa nicht zu fürchten brauchte, wenn er einen wohlgefüllten Magen hat. So wissen die Tiere der Wildnis viele Dinge, die dem Menschen mit seinen abgestumpften Sinnen verborgen bleiben. Auch andere Tiere, die sich in weiterer Entfernung befanden, fingen die Witterung des Löwen auf. Auch sie begannen sich nervös zu bewegen. Jedoch war ihre Furcht weitaus geringer als der erste Schrecken, der die Antilopen befallen hatte. Diese anderen Tiere waren die Riesenaffen vom Stamme des To-yat, dessen mächtige Bullen sich selbst vor Numa durchaus nicht zu fürchten brauchten. Für die Weiber mit den kleinen Balus lag jedoch Grund zu Besorgnis vor.
Als das Raubtier immer näherkam, wurden die Mangani unruhiger und reizbarer. To-yat, der König des Stammes, schlug sich wild auf die Brust und entblößte die riesigen Fangzähne. Ga-yat reckte die mächtigen Schultern und begab sich an den äußersten Rand der Lichtung, wo er der nahenden Gefahr am nächsten war. Zu-tho stampfte wütend auf seinen schwieligen Füßen einher. Die Affenweiber riefen ihre Balus herbei. Viele von ihnen brachten sich auf den unteren Ästen mächtiger Bäume in Sicherheit. Andere von ihnen hielten sich in der Nähe von Baumstämmen zu sofortiger Flucht bereit.
Bei diesem Stand der Entwicklung fiel plötzlich ein fast nackter, weißer Mann aus dem dichten Laubwerk eines Baumes und stand inmitten der Riesenaffen. Die Tiere waren so nervös und wütend, dass sie mit Gebrüll das verhasste Menschenwesen anfallen wollten. Der Affenkönig stürmte an der Spitze der ganzen Herde herbei.
»To-yat hat ein sehr schlechtes Gedächtnis«, sagte der Mann in der Sprache der Mangani, der Riesenaffen. Einen Augenblick zögerte der Anführer. Vielleicht war er überrascht, die Laute seines Stammes von den Lippen eines Menschenwesens zu hören.
»Ich bin To-yat!«, knurrte er. »Ich töte!«
»Ich bin Tarzan«, erwiderte der Mann. »Ich bin ein mächtiger Jäger und starker Kämpfer. Ich komme in Frieden.«
»Ich töte! Ich töte!«, schrie To-yat. Und die anderen riesigen Bullen schoben sich mit entblößten Fangzähnen drohend näher heran.
»Zu-tho! Ga-yat!«, schrie der Mann. »Ich bin es, Tarzan, der Affenmensch.«
Aber die Bullen waren nervös und erschrocken zu gleicher Zeit. Die Witterung des Löwen stand stark in ihren Nüstern. Hinzu kam der Schreck über Tarzans plötzliches Auftauchen. Die Riesenaffen waren einer Panik nahe.
»Töten! Töten!«, schrien sie durcheinander. Dennoch griffen sie nicht sofort an. Vielmehr kamen sie langsam näher heran. Dabei steigerten sie sich gegenseitig in eine wilde Wut hinein, die plötzlich in einen Blutrausch ausbrechen konnte, den kein lebendes Wesen überstehen würde. Gewiss wären dann selbst von Tarzan nicht mehr als ein paar blutige Fetzen übriggeblieben.
Der schrille Schrei von den Lippen einer großen, dicht behaarten Affenmutter mit einem winzigen Balu auf dem Rücken übertönte das Gebrüll der Bullen.
»Numa!«, schrillte sie und brachte sich mit mächtigen Sätzen im Geäst des nächsten Baumes in Sicherheit. Sofort suchten auch die übrigen Affenweiber mit den Kindern ihr Heil in der Flucht. Sie verschwanden in den Bäumen so schnell sie konnten. Die Affenbullen richteten ihre Aufmerksamkeit auf die neue Drohung und vergaßen den Menschen. Der Anblick, der sich ihnen bot, brachte sie noch mehr durcheinander. Ein mächtiger, gelber Löwe kam direkt auf sie zu. Seine runden, gelbgrünen Augen flammten vor Wildheit. Auf dem Rücken des Löwen aber hockte ein kleiner Affe, der den riesigen Bullen wüste Beschimpfungen entgegenschrie. Dieser Anblick war zu viel für die Affen vom Stamme des To-yat. Der Anführer wendete sich als erster zur Flucht. Mit einem Brüllen, dessen wilder Ton ihm wenigstens einen Teil seiner Selbstachtung erhalten sollte, sprang er den nächsten Baumstamm hinauf. Sofort folgten ihm die anderen und flohen. Der weiße Riese stand dem wütenden Löwen allein gegenüber.
Der König der Tiere näherte sich dem Menschen mit sprühenden Augen. Er senkte den Kopf und drückte sich flach an den Boden. Der Schweif war ausgestreckt und peitschte die Zweige des Gebüsches. Da sprach der Mann ein einziges Wort. Er flüsterte fast. Seine Stimme war nicht weiter als über einige Meter zu hören. Dennoch hob der Löwe sofort den Kopf. Der schreckliche Glanz in seinen Augen verschwand. Im gleichen Augenblick stieß der kleine Affe einen schrillen Schrei des Wiedererkennens und der Freude aus. Er sprang über Numas Kopf und war mit drei lächerlichen Sätzen auf der Schulter des Mannes angelangt. Die dünnen Arme klammerten sich um den bronzenen Hals.
»Lieber kleiner Nkima!«, flüsterte Tarzan. Die weiche Wange des Äffchens presste sich gegen sein Gesicht.
Der Löwe schritt majestätisch näher heran. Er beschnüffelte die nackten Beine des Mannes, rieb den Kopf an seiner Hüfte und ließ sich zu seinen Füßen nieder.
»Jad-bal-ja!«, begrüßte ihn der Affenmensch.
Von ihrer sicheren Zuflucht in den Bäumen herab beobachtete To-yat mit seinem Stamm die Szene. Angst und Wut der Riesenaffen ließen nach.
»Es ist Tarzan«, sagte Zu-tho.
»Ja, es ist Tarzan«, fiel Ga-yat ein.
To-yat knurrte. Er mochte Tarzan nicht leiden. Er fürchtete den Affenmenschen. Angesichts dieses neuen Beweises für die seltsamen Kräfte des großen Tarmangani wuchs seine Furcht noch mehr.
Eine Weile lauschte Tarzan dem raschen Schnattern des kleinen Nkima. Das Äffchen erzählte ihm von den fremden Tarmangani und den vielen Gomangani, den schwarzen Kriegern, die in das Land eingedrungen waren, das dem Herrn des Dschungels gehörte.
Die Riesenaffen bewegten sich rastlos in den Ästen hin und her. Sie wollten gerne herabklettern. Aber sie fürchteten Numa. Die großen Bullen waren zu schwer, um durch die Äste von Baum zu Baum zu klettern, wie es die kleineren Affenarten zu tun pflegen. Die Riesenaffen vermochten ihren Standort nicht zu ändern, solange Numa in der Nähe war.
»Geht fort!«, rief To-yat, der Affenkönig. »Geht fort und lasst die Mangani in Frieden.«
»Wir gehen gleich«, erwiderte der Affenmensch. »Ihr braucht euch indessen vor Tarzan und dem Goldlöwen nicht zu fürchten. Wir sind eure Freunde. Ich habe Jad-bal-ja gesagt, dass er euch nichts zuleide tun darf. Ihr könnt ruhig herunterkommen.«
»Wir bleiben in unseren Bäumen bis ihr fort seid«, sagte To-yat. »Der Löwe könnte sich vergessen.«
»Du hast Angst«, sagte Tarzan verächtlich. »Zu-tho oder Ga-yat würden keine Furcht zeigen.«
»Zu-tho fürchtet sich vor überhaupt nichts«, brüstete sich der große Bulle.
Ohne ein Wort kletterte Ga-yat kühn von seinem Baum herunter, der ihm Zuflucht geboten hatte. Er war von seiner eigenen Kühnheit nicht besonders begeistert und zögerte sogar ein wenig. Trotzdem näherte er sich Tarzan und Jad-bal-ja, dem Goldlöwen. Seine Stammesbrüder erwarteten, dass der Löwe im nächsten Augenblick angreifen und den Kühnen in Stücke reißen werde. Der Goldlöwe lag zu Füßen Tarzans und beobachtete jede Bewegung des rauhaarigen Affenbullen. Der Herr des Dschungels beobachtete seinerseits Numa. Niemand wusste besser als er, dass ein Löwe immer ein Löwe bleibt, mag er noch so sehr an Gehorsam gegenüber seinem Herrn gewöhnt werden. Während all der Jahre ihrer Freundschaft, seit Ja-bal-ja ein kleiner fleckiger Fellball gewesen war,