Szene 2
"Du hier nix Rosen verkaufen, raus!"
Im Eingang des "Taormina" stieß Florian mit einem ambulanten asiatischen Blumenhändler zusammen, den der kroatische Kellner gerade aus der Tür des italienischen Lokales wies.
"Moment," Florians multikulturelles Mittelstands Gewissen mischte sich ein, "was kostet eine?"
"Funf DM."
Er zählte die Blumen rasch durch, drückte mit einem "stimmt so" dem verdutzten Inder fünfzig Mark, der nicht minder verdutzten Charlotte den ganzen Strauß in die Hand: "Für meine Liebe."
Eine leicht Röte überzog noch immer Charlottes Gesicht, als sie an ihren Tisch kamen, an dem Frank und Dorothea bereits warteten.
"Wir haben schon mal auf Eure Kosten einen Campari getrunken," Frank erhob sich und hauchte Charlotte zwei Küsse auf die Wangen, "ich sag ja immer, Kind und Pünktlichkeit, impossible."
"Die Taxe kam nicht, tut uns leid," 48,80 Mark zeigte die Uhr, als sie eingestiegen waren, wobei jedoch der größte Teil der Summe auf Charlottes nun wieder bezauberndes Aussehen entfiel, "versuch doch dem Fahrer Eure Getränke in Rechnung zu stellen," Florian gab Dorothea die Hand, schob Charlottes Stuhl zurecht, und schlug Frank zur Begrüßung leicht auf die Schulter, "mit Miriam gab es überhaupt keine Probleme."
"D'accord, aber wer nachts ganze Blumenläden aufkaufen kann, für den sind die läppischen Getränke doch nur ein paar Sous."
Neben seinem Zynismus war Franks hervorstechender Charakterzug der Geiz, er würde nicht im Traum auf die Idee kommen, seiner Labs, seiner Lebensabschnittsbegleiterin, wie er Dorothea stets titulierte, auch nur eine einzige Rose zu kaufen.
"Ich bin eben ein sozialer Mensch, aber Du ja kein Sozialfall, oder?" Florian nahm neben Charlotte Platz.
"Wenn ich an meine Steuerabzüge denke, bin ich da nicht so sicher, und davon leben ja unsere lieben ausländischen Gäste. Wenigstens beim Abendessen sollen sie mich in Ruhe lassen."
Als Florian ihm vorhielt, in seinen Kritiken würde er doch immer begeistert über Stücke mit Minderheitenproblemen schreiben, ob das hier seine gelebte Toleranz sei, stöhnte er nur auf: "Mon ami, heute nichts über Theater, s'il vous plait, schon das Wort stimmt mich depressiv. Ich habe gestern die Premiere von Frank Wedekinds "Marquis von Keith" über mich ergehen lassen müssen, das Ergebnis kannst Du am Montag in der Zeitung lesen.“ Er war Kritiker der einzigen Zeitung der Stadt und besaß dadurch ein gewisses Meinungsmonopol, das er schamlos ausnutzte. "Merde, sag ich Dir, nichts als merde. Seid froh, dass Ihr Euch das nicht mehr antut."
Gegen Ende der Schwangerschaft hatten Florian und Charlotte ihre bis dahin regelmäßigen Theaterbesuche eingestellt; sie hatte plötzlich jedes Interesse daran verloren und Florian hatte sich dem gefügt. Dabei war es bis heute geblieben.
"Entschuldigt die Verspätung, aber die Jungs waren einfach nicht ins Bett zu kriegen," Monika und Bernd, der bis gestern noch Arbeitskollege von Florian war, begrüßten die Runde und nahmen auf den zwei freien Stühlen Platz.
"Na wenigstens eine, die meine Theorie bestätigt," Frank konnte es sich nicht verkneifen.
Florian erhob sich und schlug leise mit dem Messer an sein Glas: "Keine Rede, seid beruhigt. Nur damit Frank nicht den ganzen Abend verzweifelt darüber grübelt, wie er den ungeheuren Betrag für 2 Camparis aufbringen soll, die Getränke gehen auf mich, wir feiern schließlich das Ende meines versklavten Arbeitnehmerdaseins."
"Tres bien, und wer übernimmt das Essen?" Frank schaute in die Runde, Scherze dieser Art waren von ihm durchaus ernst gemeint, und Dorothea, die dies wusste, warf schnell ein: "Wenn es nur eine Minestrone ist, würde ich mich bereit erklären, Deine Rechnung zu übernehmen."
"Du wolltest ja auch Essen gehen, mir wäre ein gemütlicher Abend vor dem Fernseher lieber gewesen, der erste freie Samstag seit zwei Monaten," und damit wandte er sich an Florian: "Ich hoffe, Du weißt das zu würdigen."
Charlotte übernahm die Antwort für ihren Gatten: "Mon cher Franc," sie konnte seine frankophile Angeberei nicht leiden und sprach nun mit leichtem französischen Akzent, "es ischt uns allen eine extraordinaire Freude, diese Abend in Deine Gesellschaft verbringe su durfen."
Sie und Frank hatten seit ihrer Schwangerschaft ein gespanntes Verhältnis, nicht ernsthaft, aber beständig. Sie hielt ihn für einen verantwortungslosen Egoisten und sagte es ihm bei jeder passenden Gelegenheit. Er hatte sie daraufhin einmal eine hysterische Mutterkuh genannt, und das verzieh sie ihm bis heute nicht.
"Hast Du jetzt nicht doch ein bisschen Schiss," Bernd reichte dem Kellner die Karte, die Bestellungen waren aufgegeben, "ich meine, Dein Job war ja nicht der schlechteste."
Florians Chef, der alte Vielhaber, war der gleichen Meinung wie Bernd und konnte es nicht fassen, als ihm sein bester Grafiker kündigte. Er hatte versucht, ihn mit verschieden Angeboten zu halten, mehr Geld, flexiblere Arbeitszeit, halbe Tage, aber Florian hatte nur bedauernd abgelehnt und auch gestern auf die letzten Worte seines Arbeitgebers: "Und wenn Ihnen die Decke auf den Kopf fällt, Sie sind jederzeit wieder herzlich willkommen," nur mit einem mild lächelnden Kopfschütteln reagiert.
"Ach was, endlich mein eigener Herr," Florian glättete eine Falte im Tischtuch, "jetzt wird nur noch für die Kunst gelebt."
"Und der Herr Künstler ist auch sicher, dass ihm genug einfällt?" Frank saß zwischen Monika und Dorothea und hatte leichte Mühe, sich an dem Gespräch zu beteiligen. Die Frauen waren bei ihrem Lieblingsthema, den Kindern. Dorothea konnte nur theoretisches Wissen beisteuern, da Frank sich strikt weigerte, Vater zu werden und ihre diesbezüglichen Wünsche stets mit dem gleichen zynischen Satz konterte: Du weißt, Cherie, ich mag kleine Mädchen, aber erst wenn sie 16 sind.
„Keine Sorge, Monsieur Kritik, Ideen sind reichlich vorhanden. Zwei Wochen Technik üben, kleine Stillleben, einige Etüden und dann geht es los," und Florian erzählte, womit es losgehen würde: die alten Griechen, das Tantalus Geschlecht mit seiner barbarischen Familienchronik mit der heutigen Welt zu kombinieren. Ihm schwebten da ganze klare Bilder vor dem geistigen Auge, Bilder, die so noch nie gemalt worden waren, einmal abgesehen von seinem Kollegen Goya. Aber der war ja nun schon länger tot. "Man muss einfach den ersten Schritt tun, alles andere kommt dann von ganz allein. Wer nichts wagt, der nichts gewinnt, oder?" Florian lehnte sich genüsslich zurück, seine Ausführungen hatten ihm gefallen.
"Aber auch nicht seinen Job verliert," Frank hatte sich gegen Monika durchgesetzt, die sich zurückgelehnt hatte und sich nicht mehr an dem Frauengespräch beteiligte, nicht wegen Frank, sondern weil die beiden, Dorothea und Charlotte, sich jetzt über die ab übermorgen wieder gemeinsame Firma unterhielten.
"Du bist einfach zu negativ, mein Lieber," Florian beugte sich zu Frank vor," deshalb schreibst Du auch nur Verrisse."
"Du verwechselst negativ mit realistisch. Sonst wäre es doch besser, Bernd würde seine kreative Begabung, die er in seiner Mansarde austobt, zu seinem Beruf erklären."
Bernd, der die Ironie nicht verstand, meinte, das sei ja nun nicht zu vergleichen, eher könne er, Frank, da er doch eigentlich ein Schreiber sei, einen Roman verfassen.
"Genau," schaltete sich Florian wieder ein, "heute schreibt doch jeder."
"Das kommt schon noch, warte es ab. Oder meint ihr, Florian ist der Einzige mit künstlerischen Ambitionen hier am Tisch?"
"Na wunderbar," Florian lächelte Frank freundlich an," da hab ich einen guten Tipp für Dich: Mach Doro ein Kind, warte drei Jahre und Du hast genug Zeit für Deine Träume." Dorothea unterbrach kurz das Gespräch mit Charlotte und schaute Frank gespannt an.
"Ach weißt Du, ein Schriftsteller braucht Ruhe, eine inspirierende Umgebung, Toskana oder Bali, aber kein Babygeschrei und Einwegwindeln. Aber merci für den Tipp."
Bevor Florian eine treffende Antwort fand kam der Kellner und brachte die Getränke.