10. Kapitel
Lukas Seit der Ankündigung gibt es keine ruhige Minute mehr in unserer Klasse. Selbst im Unterricht wird diskutiert, wer neben wem sitzt. Die Schulsprecher, die wir bereits am Montag gewählt haben, waren sogar so von der Idee beeindruckt, dass sie uns von dem Plan überzeugt haben, dass sich jeder einen Sitzpartner aus der anderen Klasse suchen soll. Vollkommen egal, ob Junge oder Mädchen. Es bringt uns zwar nichts, wenn wir während des Films still nebeneinandersitzen und dem Film in englischer Sprache lauschen, aber wir sollen danach eine Pärchenarbeit bilden und einen Fragebogen zum Film ausfüllen. Darauf gibt es Noten in Englisch. Alle sind begeistert von dieser Idee und ich sollte es auch sein. Jedoch gibt es in meinen Augen zwei Probleme:
1. Wie soll ich das Mädchen fragen, ob sie mit mir den Film ansehen will, wenn ich nicht mal ihren Namen kenne?
2. Was mache ich, wenn Leon mitbekommt, wen ich anspreche?
Ich beziehe Markus in mein Problem mit ein. Er sitzt nur still neben mir und saugt jedes meiner Worte in sich auf, wie ein nasser Schwamm.
„Und was jetzt?“, frage ich ihn in der Pause.
„Gute Frage, aber ich würde mich von Leon nicht einschüchtern lassen. Ja, er ist der Mädchenschwarm und der Sohn eines angesehenen Polizisten, aber deswegen kann er sich auch nicht alles erlauben. Außerdem, was sollte er ihr denn antun?“
Ich höre den Worten meines besten Freundes zu. Er hat recht. Was soll er ihr schon anhaben? Warum habe ich so Angst vor ihm? Ich sehe Markus an. „Danke, du bist echt der Beste.“
„Dank mir doch nicht dafür“, er grinst. „Danke mir erst, wenn sie neben dir im Kino sitzt. Händchenhaltend.“
Ein Lächeln huscht über meine Lippen.
Melissa „Wie sind die nur an den Jahresbericht vom letzten Jahr gekommen?“, zischt Eva Maria wütend, während sie Celina und Clarissa beobachtet.
Die beiden sind gerade dabei, die Klassenfotos vom letzten Schuljahr zu betrachten und blättern sich von Klasse zu Klasse durch die Broschüre.
„Eigentlich sind doch nur die Jungs aus der elften und zwölften Klasse relevant, oder? Die aus der Dreizehn sind doch gar nicht mehr an der Schule“, bemerkt Celina.
„Och, Mensch. Dabei sieht einer von denen richtig schnuckelig aus“, bemerkt Clarissa.
Ich verdrehe die Augen.
„Da stehen doch bestimmt auch die Namen dabei, oder?“, flüstert Helena mir zu.
Ich zucke mit den Schultern.
„Das ist deine Chance, seinen Nachnamen zu ermitteln, Melli!“, erklärt Eva Maria mir ganz aufgeregt.
Mit einem Schlag wird mir klar, dass sie recht hat. Vorsichtig stehe ich auf und schleiche mich hinter die beiden blonden Mädchen, die sich von nichts aus der Ruhe bringen lassen. Sie sind wieder auf dem Bild der damaligen W11b. Es wird ganz genau gemustert, als würden sie sich auf diesem Weg ihren zukünftigen Bräutigam aussuchen. Wie lächerlich.
Dann blättern sie weiter. Die W11c wird fast überflogen, da sie nur wenige Jungs enthielt und diese wohl in ihren Augen kein bisschen attraktiv wirken.
Dann endlich sehe ich die ehemalige W12a. Ich gehe die Gesichter der Jungs durch, doch keins davon ähnelt dem von Lukas. Auch in der Namensliste darunter kann ich seinen Vornamen nicht entdecken. Die Mädchen kichern aufgeregt über den Irokesenschnitt eines Schülers.
„Der steht dem ja sowas von gar nicht!“
„Hihi!“
Ich seufze.
Die Damen drehen sich plötzlich zu mir um. „Was gibt es da zu seufzen?“, fragt Clarissa mich eingeschnappt.
„Ach, nichts“, antworte ich nur und hoffe insgeheim, dass sie sich wieder dem Berichtsheftchen widmet und schnell weiterblättert, bevor die Pause zu Ende ist.
Ich sehe aufgeregt zu Helena und Eva Maria, die mir mit ihren Händen Mut zuwinken. Ich lächle sie an.
Dann macht sich das nächste Geräusch des Umblätterns bemerkbar und eines der Mädchen kreischt laut auf.
„OMG! Ist der süüüüüß!“
Ich starre auf das Foto und erkenne ihn auf Anhieb: meinen Lukas. Vor einem Jahr hatte er auch schon diesen etwas kürzeren Haarschnitt, allerdings waren da seine Haare noch ein bisschen länger. Sie kräuseln sich ganz leicht. Ich glaube, wenn er sie noch länger als jetzt haben würde, hätte er richtig schöne Locken auf seinem Kopf. Auf dem Bild lächelt er dem Kameramann verführerisch zu. Es fühlt sich an, als wäre dieses Lächeln nur für mich bestimmt, falls ich mal, so wie jetzt, den Jahresbericht in die Hände bekommen würde.
Mir wird ganz warm ums Herz. Wie schön es nur wäre, mit einem wie ihm zusammen zu sein. Ein ganzes Leben zu leben, voller Liebe. Wie stolz wäre ich nur, ihn meinen Freund nennen zu können ...
Ich wende meinen Blick von ihm ab und sehe mir die Namensliste an. Es gibt zum Glück nur einen Lukas und dessen Familienname lautet „Mayer“.
„Ja? Den findest du süß?“, zischt Celina aufgebracht und zeigt dabei mit ihrem Finger auf meinen Lukas.
Clarissa nickt aufgeregt und bestätigt damit meine größte Angst. Ein heftiger Schauer läuft mir über den Rücken.
11. Kapitel
Lukas Ich weiß nicht, was ich von diesem Schultag halten soll. Er war nichts als ein ständiges Gemurmel, Getratsche und Gequatsche von Jungs und Mädchen. Ich wusste gar nicht, dass junge Männer auch so viel kichern können. Markus und ich stehen an der Bushaltestelle. In wenigen Minuten wird unser rollendes Gefährt eintreffen und dann fahre ich erstmal wieder in den Buchladen, um mir meinen Arbeitsplan für die nächste Woche zu holen. Da ich nicht in Vollzeit angestellt bin und nur einspringe, wenn mal Not am Mann ist, muss ich da relativ spontan sein. Mein Chef nimmt sich aber meinen Stundenplan sehr zu Herzen. Schließlich nehmen sie öfters mal Studenten als Aushilfskräfte, daher sind sie flexible Einteilungen schon gewohnt.
Plötzlich kommt das fremde Mädchen um die Ecke. Sie schlendert direkt auf mich zu und bleibt unmittelbar neben mir stehen.
Melissa Na gut, ich darf jetzt keine weichen Knie bekommen. Ich habe mit Eva Maria und Helena heute so oft unser Gespräch geübt, dass eigentlich nichts schief gehen kann. Sein Kumpel steht zwar gerade neben ihm, aber das ist egal. Ich schaffe es auch so.
Ich lächle ihn an. „Hi Lukas.“ Ich kann es selbst kaum glauben, dass ich das gerade echt gesagt habe.
Lukas Mein Herz setzt einen Schlag aus. Es pocht in meiner Brust wie ein Boxer beim Aufwärmtraining. Woher kennt sie meinen Namen? Ich entscheide mich kurzer Hand dazu, einfach nachzufragen. „Hi – woher kennst du meinen Namen?“
Melissa Ein breites Lächeln huscht über meine Lippen. Es klappt! Unser Plan geht auf!
„Vom Buchladen, weißt du nicht mehr?“, antworte ich.
Lukas senkt seinen Blick. Ich habe das Gefühl, in seinen Augen sehen zu können, wie er sich an unser Treffen im Buchladen erinnert. „Ja, stimmt. Du hast dir die fünf Bücher gekauft und warst meine erste Kundin dort“, antwortet er dann schüchtern.
„Genau“, sage ich.
Lukas Natürlich wusste ich das noch! Was hätte ich sonst anderes sagen sollen? Markus rammt mir wieder seinen Ellenbogen in die Seite und ich weiß genau, was er mir damit sagen will. LOS! SCHNAPP SIE DIR!
Prompt ergreife ich die Gelegenheit. Zumindest fühlt es sich für mich so