Thatsache ist es, daß Worms bereits unter König Dagobert (527), (siehe S. Arnold: Verfassungsgeschichte der deutschen Freistädte. B. 1. S. 6.) ein Bischofsitz war, und ebenso, daß bereits unter diesem Könige eine Basilika an der Stelle des heutigen Domes gestanden hat, welche damals schon, wie heute noch, den Aposteln Petrus und Paulus geweiht war. Diese Basilika wurde um das Jahr 872 vom Blitze getroffen und bis auf den Grund von den Flammen zerstört. Die nachfolgenden Bischöfe bemühten sich vergebens, diese Kirche wieder aufzurichten. Denn vom Ende des neunten bis nach der Mitte des zehnten Jahrhunderts war Worms den beständigen Einfällen und Verheerungen der Normannen und Ungarn ausgesetzt, und bald darauf begannen die Gewaltthaten des Herzogs Otto, der seine Burg an der Stelle der heutigen Pauluskirche hatte, gegen Stadt und Einwohner. Worms war fast in einen Schutthaufen verwandelt, die Einwohner hatten sich verzogen; die Straßen waren verödet und wilde Thiere sollen sich ohne Scheu in denselben umhergetrieben haben. Die Stadt hatte längst ihren Glanz zu den Zeiten Karls des Großen verloren.
Dem großen Bischof Burchard I. (996 – 1025), den wir nunmehr den eigentlichen Gründer der Stadt nennen können, war es vorbehalten, Worms aus seinem tiefen Verfalle wieder aufzurichten und durch seine Weisheit, seine Kraft und werkthätige Liebe den Grund zu legen, daß sich die Stadt in kurzer Zeit wieder zu einer Blüthe zu entfalten vermochte, welche dazumal der von Rom und Constantinopel an die Seite gesetzt wurde. Mit Hilfe des Kaisers entfernte Burchard den Herzog Otto aus der Stadt. Er umgab dieselbe mit neuen Mauern, machte die Straßen wieder wohnlich und schenkte der Stadt eine Verfassung, deren Weisheit und Gerechtigkeit noch heute unsere Bewunderung in Anspruch nimmt. Nachdem er so Worms den Frieden mit allen seinen Wohlthaten wiedergegeben hatte, warf er sich mit allem Eifer auf die Herstellung und den Neubau von Gotteshäusern. Sechs Kirchen, von denen heute noch vier stehen, sind als sein Werk zu betrachten und unter diesen auch der Dom.
In einer noch vorhandenen Biographie dieses Bischofs (siehe Vita Burchard bei Pertz Script), welche wenige Jahre nach seinem Tode von einem Mönche niedergeschrieben wurde, wird uns erzählt, daß Burchard um das Jahr 996 die Eingangs erwähnte Basilika des hl. Petrus habe vollständig abbrechen lassen, weil sie ihm für eine Kathedrale zu klein gewesen sei. An die Stelle derselben baute er den Dom, welcher, zwar noch nicht ganz vollendet, im Jahr 1016 auf dem Wunsch Kaisers Heinrichs II., der sich damals gerade zu Worms aufhielt, eingeweiht wurde.
Fragen wir nun zunächst nach der architektonischen Beschaffenheit des Domes, wie dieser aus der Zeit Burchards hervorgegangen war, da solcher natürlich bis heute mannigfache Umänderungen erfahren hat, so finden wir zwar nur spärliche Anhaltspunkte, aber sie genügen dennoch, um zu beweisen, daß wir uns unter dieser Kathedrale einen künstlerisch höchst bedeutenden Bau vorzustellen haben. Nicht allein, daß wir wissen, daß Bischof Burchard eine seines Bischofsitzes würdige Kirche zu erbauen beabsichtigte, so kann sich auch der erwähnte Biograph (Vita Burchard, 1. c. p. 839 – 840) nicht genug in Bewunderung über die Schönheit und Großartigkeit dieses Baues ergehen. Er berichtet, daß das Münster aus behauenen Quadersteinen erbaut, daß die Säulenköpfe vergoldet, daß der ganze Tempel allenthalben mit den mannigfaltigsten Bildwerken geschmückt sei.
Nicht ohne triftige Gründe glauben wir nun annehmen zu müssen, daß der damalige Bau eine Pfeilerbasilika mit überwölbter Decke war, und daß das heutige Langhaus des Domes im Wesentlichen noch als das Werk Bischof Burchards dasteht, daß sonach der Wormser Dom unter den drei mittelrheinischen romanischen Domen als die älteste Basilika zu betrachten ist. (siehe dagegen Schnaase: Geschichte der bildenden Künste im Mittelalter Seite 113. – von Quast: die romanischen Dome des Mittelrheines). Denn während der Wormser Dom im Jahre 1016 eingeweiht wurde, geschah dies bei dem Speyerer Dom erst um 1056. Der Dom zu Mainz wurde zwar um das Jahr 1009 vollendet, aber abgesehen von allen übrigen Beweisen, daß dieser Bau eine Basilika mit einer flachen Holzdecke gewesen sei, weil dieser schon am Tage seiner Einweihung niederbrannte, indem das Dachwerk durch die festliche Beleuchtung Feuer gefangen hatte.
Ein triftiges Beweismittel, daß das Langhaus unseres Domes aus der Zeit Bischof Burchards herrühre, finden wir in den noch erhaltenen Trümmern der Mauritiuskapelle, (Schannat: Historische Episc. Wormat. T. I. p. 62 – Wiegand: Zur Geschichte der Wormser Bischöfe Seite 15), welche im Jahre 1033, also kurze Zeit nach dem Tode Burchards, an dem westlichen Ende der Südseite des Domes erbaut wurde. In welchem Jahre diese Kapelle zu Grunde ging, Ist unbekannt. Doch wissen wir, daß Bischof Johannes von Dalberg im Jahre 1488 an dieser Stelle einen Kreuzgang erbaute, welcher 1813 niederbrannte. Bei Wegräumung der Trümmer desselben kamen die erwähnten Reste der Mauritiuskapelle wieder zum Vorschein. Da nun diese Kapelle bereits 1033 an diese südliche Umfangsmauer des Domes angefügt wurde und deren Reste heute noch daselbst sichtbar sind, so dürfen wir wohl den Schluß ziehen, daß diese Umfangsmauer des Domes noch die erste und ursprüngliche aus dem 1016 ist. Und ist dieses der Fall, so muß auch noch das ganze heutige Langhaus in seinen Grundelementen jener Zeit angehören, da nicht anzunehmen ist, daß, wenn eine Umänderung im architektonischen Systeme des Domes vorgenommen, wenn Pfeiler und Bogen zu ganz anderen Verhältnissen umgesetzt worden wären, man gerade diese fensterlose und fast störende Umfangsmauer des südlichen Seitenschiffes verschont, und gerade in der Rücksicht auf die genannte Kapelle das ganze System umgemodelt hätte.
Daß aber der Wormser Dom von Anfang an eine Pfeilerbasilika mit überwölbter Decke gewesen ist, geht daraus hervor, daß sämmtliche Vorsprünge der Pfeiler, welche die Gewölbe zu tragen bestimmt sind, soweit dieselben eine Untersuchung zulassen, in die Pfeiler hineingewachsen sind.
Die Erbauung der östlichen Facade des Domes, sowie die Erbauung des Querschiffes mit seiner colossalen Kuppel ist wohl als das Werk des Bischofs Eppo zu bezeichnen (Schannat, 1. c. p. 62), welcher von 1109 – 1115 den Bischofssitz zu Worms inne hatte. Nicht allein, daß der ganze bauliche Charakter dieser Zeit entspricht, so finden wir auch urkundlich die Nachricht, daß dieser Bischof mit Aufwand bedeutender Mittel die letzte Hand an dem Dom gelegt und denselben im Jahr 1110 in Gegenwart Kaiser Heinrichs V. und vieler hohen Prälaten zum zweiten Male auf das Feierlichste eingeweiht hat.
Die letzten Hauptbauten am Dome und eine nochmalige Einweihung desselben werden uns vom Jahre 1181 unter Bischof Conrad II. berichtet, und zwar in Gegenwart Kaiser Friedrichs I. und seiner Gemahlin Beartrix. Wir glauben, daß hierunter, neben der erneuten Ausschmückung des Domes mit Gemälden, wovon uns noch Spuren erhalten sind und welche wir später berühren werden, die Erbauung des westlichen oder Lorenzi-Chores zu begreifen sei. Daß dieses Chor jedenfalls schon vor dem Jahre 1234 gestanden, geht daraus hervor, daß ein Canonikus Gerlaeus in dem genannten Jahre vier Beneficien für den Altar dieses Chores gestiftet hat.
Wesentliche Bauveränderungen hat der Dom seitdem nicht erlitten, nur daß im Jahre 1429 einer der westlichen Thürme nach dem Bischofshofe zu einstürzte, welcher 1472 wieder aufgebaut wurde, wodurch sich auch die auffallende stylistische Formenmischung dieses Thurmes erklärt.
Ebenso verdient das im Jahre 1488 von Bischof Johannes von Dalberg im Spitzbogenstyle erbaute Portal an der Südseite des Domes, sowie die daneben stehende Taufkapelle besonders hervorgehoben zu werden und wird später von dieser noch die Rede sein.
Die Gewölbe des Domes bestreffend, so scheinen diejenigen der Seitenschiff, der Kreuzflügel und des Altarhauses, welche sich rundbogig in breiten, unprofilirten Quadern wölben, noch die ursprüngliche zu sein. Die spitzbogigen, stark profilirten Gewölbe des Hauptschiffes sind jüngeren Ursprungs und zum Theil erst nach den Verheerungen des Jahres 1689 neu aufgerichtet. – Um so auffallender ist es, daß die riesigen Ostkuppelgewölbebogen im gedrückten Spitzbogen gesprengt sind, - ein neuer Beweis, daß man den Spitzbogen bereits kannte, ehe noch irgendwie das System der Gothik in Deutschland Platz gegriffen hatte.
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