Sonne, Mond und Troll. Heike Schwender. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heike Schwender
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753181981
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schien plötzlich unüberbrückbar. Dann spürte ich, wie der kleine Kerl erneut an meiner Hand zog.

      „Lass uns durchgehen“, meinte er ungeduldig.

      „In Ordnung“, stimmte ich zu und ließ mich widerstandslos weiter durch die Dunkelheit ziehen.

      Nasse Farnwedel klatschten mir gegen die Beine, meine rechte Schulter schabte unschön an einem harten Baumstamm vorbei und dann war der Wald plötzlich verschwunden. Oder eigentlich wusste ich nicht, ob der Wald verschwunden war. Tatsache war jedoch, dass ich ihn ganz plötzlich nicht mehr um mich herum wahrnehmen konnte. Der unebene Boden, die drohenden Umrisse der Bäume, die ich nur noch erahnt hatte, der nasse Farn und das prasselnde Geräusch des heftigen Regens – das war alles plötzlich weg. Was blieb, war die Dunkelheit. Sehr zu meinem Verdruss. Und inmitten der Dunkelheit schien sich etwas anderes um uns herum zu bilden. Etwas Weiches, Elastisches. Es war, als hätte man uns in einen riesigen weich gekauten Kaugummi gestoßen, durch den wir uns nun Hand in Hand kämpfen mussten. Das Gefühl dauerte eine Weile an und verging dann genauso plötzlich, wie es gekommen war.

      Eine unglaubliche Geschichte

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       Es hatte getan, was es tun musste. Nun hieß es warten. Daran war es gewöhnt. Abwarten und zusehen entsprach sozusagen seiner Berufsbeschreibung. Damit hatte es sich abgefunden. Es hatte sich damit abfinden müssen. Denn – soweit es wusste – besaß niemand sonst ein Fenster zum Universum. Es war Schicksal, dass es zu dem Haus gehörte, in dem es wohnte. Seit Anbeginn der Zeit.

       Das Schicksal zögerte noch, dorthin zurückzukehren. Hatte es tatsächlich alle Möglichkeiten ausgeschöpft? Es hatte die Welten ins Ungleichgewicht gebracht. Es hatte die trauernde Tochter beobachtet und befriedigt festgestellt, dass sie sich aufmachte, um zu helfen. Es hatte alles getan, um die Geschichte in die richtigen Bahnen zu lenken. Oder, hatte es das …?

       Das Schicksal betrachtete noch einmal sein Werk und merkte dann, dass etwas fehlte. Es war nur ein Strohhalm, doch dieser war so unendlich wichtig. Der Geschichte fehlte die Hoffnung. Das Schicksal überlegte und entschied dann, eine Prophezeiung in Umlauf zu bringen. Es wusste aus Erfahrung, dass mit einer Prophezeiung auch Hoffnung in die Welten getragen werden würde.

      Als ich mich wieder dazu in der Lage fand, meine Umgebung wahrzunehmen, herrschte immer noch Dunkelheit. Doch dies war eine Dunkelheit, mit der ich etwas anfangen konnte. Der Himmel zeigte sich zu meiner vollkommenen Überraschung klar und wolkenlos. Und in dem Licht, das von unzähligen Sternen aus der Ferne zu uns herabgesandt wurde, erblickte ich zu meinen Füßen einen Ozean, dessen unendliche Weite in erheblichem Gegensatz zu dem Gefühl der Befangenheit stand, das mich vor kurzem noch in dem nächtlichen Wald in Besitz gehabt hatte – auf der anderen Seite des Kaugummis.

      Wie vor den Kopf geschlagen stand ich da und ließ den majestätischen Anblick auf mich wirken. Die dunkelblauen Wogen des Ozeans trugen hellgraue Schaumkronen, derer sie sich gewaltsam entledigten, indem sie sie grollend gegen die Felsen zu unseren Füßen schmetterten. Weiter draußen vermittelte das Meer den Eindruck eines brausenden dunklen Spiegels, der das verzagte Licht der Sterne einfing, nur um es ablehnend erneut hinaufzuschicken in die ewigen Weiten des nächtlichen Himmels.

      So gefangen war ich von dem unerwarteten Anblick, dass ich nicht bemerkte, wie der Troll meine Hand in die Freiheit entließ und sich auf einen Felsvorsprung setzte. Meine Augen wanderten von dem widerwillig glitzernden Ozean zu den munteren Leuchtgefährten, die über uns glänzten. Erwartungsvoll glitten sie über die blinkenden Punkte auf der Suche nach …

      „Wo ist der Mond?“, durchbrach meine Frage die stürmische Weite des nächtlichen Ozeans.

      Als keine Antwort erfolgte, blickte ich mich um. Mein Begleiter hatte das Kinn auf seine großen Hände gelegt und sah gedankenverloren hinaus aufs Meer. Der Ausdruck auf seinem Gesicht spiegelte eine tiefempfundene Traurigkeit wider, die ich mir nicht erklären konnte.

      „Wo ist der Mond?“, wiederholte ich meine Frage teils aus Sturheit, teils aus einem unbestimmten Gefühl heraus, dass ich darauf eine Antwort benötigte.

      Der kleine Kerl wandte sich mir zu und blickte mich an.

      „Sie ist in Trauer“, meinte er leise.

      Mein verwirrter Gesichtsausdruck musste wohl für sich gesprochen haben, denn ohne dass ich etwas zu sagen brauchte, machte sich der Troll an die Erklärung seiner Antwort.

      „Vor drei Monaten ist die Tochter des Mondes spurlos verschwunden. Deshalb kam ich zu dir. Du bist Teil einer Prophezeiung, die besagt, dass niemand aus unserer Welt die Tochter des Mondes finden wird. Nur ein Mensch vermag dies.“ Seine Mundwinkel hoben sich ganz leicht, als er, halb im Scherz, hinzufügte: „Ein Mensch in einem gelben Mantel.“

      Sprachlos starrte ich den Troll an. Meine Gedanken kreisten um die Bemerkung mit dem gelben Mantel, bis ich mir der ganzen Tragweite des Gehörten bewusst wurde.

      „Ich bin Teil einer Prophezeiung?“, vergewisserte ich mich ungläubig. „Und ich soll die Tochter des Mondes finden?“

      Mein Begleiter nickte wortlos. Sein Gesichtsausdruck verriet mir, dass er mich für schwer von Begriff hielt. Genau das hatte er mir doch soeben mitgeteilt. Ohne etwas darauf zu geben, schwieg ich und versuchte, das Gehörte zu verarbeiten. Noch einmal sah ich hinauf zum mondlosen Sternenhimmel. Dann fuhr mein Blick über den Ozean und die Felsen.

      „Wo sind wir denn eigentlich?“

      Die buschigen Augenbrauen des Trolls gingen nach oben und er warf mir einen misstrauischen Blick zu. „Überall und nirgends“, erinnerte er mich geduldig.

      Ich nickte. Natürlich. Wie hatte ich das nur vergessen können.

      „Und wenn wir die Tochter des Mondes gefunden haben …“, begann ich erneut. Der kleine Kerl unterbrach mich.

      „Nicht wir“, stellte er klar. „Du.“ Diesmal waren es meine Augenbrauen, die sich hoben.

      „Wie bitte?“, erkundigte ich mich höflich. „Soll ich diese Aufgabe etwa ganz allein bewältigen? Wo ich doch in überall und nirgends fremd bin?“

      Der Troll sah mich ruhig an. „Hilfe wird dir zur rechten Zeit zuteil werden.“

      Meine Augenbrauen rutschten höher. Aber ich verspürte wenig Lust, mir weitere kryptische Hinweise einzuhandeln. Also besann ich mich auf meine eigentliche Frage.

      „Wenn ich also die Tochter des Mondes gefunden habe“, formulierte ich sie ein wenig um, „wird dann der Mond wieder scheinen?“

      Es sah fast so aus, als würde sich mein Begleiter nun auch fragen, ob ich dieser Mission tatsächlich alleine gewachsen war. Sein Blick wanderte langsam über meine ganze Gestalt und erst als er wieder bei meinem Gesicht angekommen war, bequemte er sich zu einer Antwort. Einer Antwort, die er ganz offenbar für überflüssig hielt.

      „Die Nachtbewahrerin wird wieder scheinen, sobald sie keinen Grund mehr zur Trauer hat.“

      Oha. Konnte ich da tatsächlich einen Hauch von Ungeduld heraushören? Fast freute es mich, dass mir dies gelungen war. Fast. Denn eigentlich war ich in Gedanken immer noch mit dieser weiteren Aussage beschäftigt, dir mir meine Frage nicht wirklich beantwortete.

      Dennoch nickte ich ernsthaft und tat so, als würde mir dieser eine Satz nun all das erklären, was zuvor noch unverständlich gewesen war. Ein seltsames Gespräch war es, das ich mit einem Troll unter dem mondlosen Sternenhimmel vor der glitzernden Weite des rauschenden Meeres führte!

      Mein Begleiter nahm mein besonnenes Nicken mit einem erleichterten Seufzer zur Kenntnis und erhob sich von dem Felsen, auf dem er bis dahin gesessen hatte.

      „Dann wäre ja alles geklärt“, stellte er fest und wandte sich zum Gehen. Ich erschrak.

      „Warte!“, rief ich mit nicht mehr ganz so