K.T. Rina
Ragnarök
Der letzte Einherjer
Vorwort
Die Geschichte „Ragnarök – Der letzte Einherjer“ ist keine akkurate Repräsentierung der nordischen Mythologie. Vielmehr nutzt sie die Charaktere und Welten als Fundament, um die Geschichte des Ragnarök und der nordischen Mythen in einer zusammenhängenden Geschichte neu zu interpretieren und wie diese—wären sie real—Einfluss auf das Leben der Menschen haben würden.
Die erwähnten Menschen, ihre Leben und genannte Orte sind frei erfunden.
Die Menschen im Norden sprachen von 9 Welten, die durch die Esche Yggdrasil verbunden waren.
Oben auf der Krone des Weltenbaums lebte der Riese Surtur gemeinsam mit den abscheulichen Söhnen der Welt, die man Müspelheim nannte. Es war ein Ort der Glut, der Hitze, des Lichts. Geysire schossen vom Boden und von dort floss alles Wasser hinab in die unteren Welten.
Eine solche war Albenheim, die Heimat der Alben. Sie lebten dort friedlich und ohne Streit mit den anderen Welten. Isoliert waren sie dennoch nicht: Ihr König war Frey, Sohn Njörds, der ihm als Junge Albenheim als Zahngeschenk gegeben hatte.
Njörd und Frey waren Teil des ältesten der Göttergeschlechter, den Wanen. Njörd, ihr Anführer, herrschte über Wanenheim, welches auf der gegenüberliegenden Seite von Yggdrasils Stamm und Albenheim lag.
Im Süden Yggdrasils und tiefer noch lag Asgard, die Heimat des Göttergeschlechts der Asen. Einst beherrscht von Bor, wurde die Führung in die Hände von seinem Sohn Odin gelegt.
Die Welt unter Asgard, Midgard genannt, wurde von demselben Bor und seinen drei Söhnen Odin, Ve und Vili geschaffen. Sie hatten den Riesen Ymir erlegt und aus seinem unermesslichen Körper eine Welt für Nicht–Götter erschaffen: Aus dem Fleisch wurde Midgards Erde, aus Ymirs Blut die Seen und Meere, die nicht von einem Wasserfall geflutet wurden, kreiert; aus seinen Brauen formten sie die Berge und seinen Schädel zertrümmerten sie und warfen die Splitter in Ginnungagap, die Schwärze, die Dunkelheit, die Yggdrasil einhüllte, die Leere, die der umstehende Kosmos war. Jene Splitter waren bekannt als Sterne und ab und an füllten die Götter die Schwärze mit weiteren glänzenden Objekten, um neue Konstellationen zu formen.
Doch Midgard war zweigeteilt: Auf der warmen Südseite lebten die unschuldigen Tiere, auf der kalten Nordseite wurde die verräterische Jotenrasse verbannt. Deshalb wurde diese kalte Hälfte Jotunheim genannt. Die Joten, die von Ymir abstammten, wurden dorthin verjagt, weil sie es wagten sich gegen die Götter zu stellen. Sie wurden Joten („Verschlinger“) genannt, weil sie alles in ihrer Gier und Bosheit verschlangen.
Unter Midgard lagen zwei unterschiedliche, jedoch ähnlich dunkle Welten verborgen. Eine lag unter der Nordhälfte unter Jotunheim und beherbergte die Zwergenrasse. Nidavellir war die Heimat dieser, welche besonders geübt waren in der Kunst des Schmiedens. Die einzigen Lichter, welche sie sahen und verehrten, waren das Feuer der Schmiede und die Funken von geschlagenem Stahl.
Unter der Südhälfte Midgards lag eine weitere Höhlenwelt, eine von Göttern verborgene und so trug sie keinen Namen. Die Söhne Bors erschufen sie bei der Kreierung Midgards als geheimen Zufluchtsort vor ihren Eltern. Diese Höhlenwelt war von Pilzen an der turmhohen Decke erleuchtet, wo Wasser aus den Seen und Meeren hinuntertrickelte; sogar Gras wuchs auf dem kalten Boden, doch Tiere lebten dort nicht.
Noch tiefer, tief am Stamm des Weltenbaums, wo einige Wurzeln herauswirbelten und die meisten in unendlicher Tiefe verborgen waren, war die Welt Niflheim. Nichts lebte dort. Es war ein Ort der Kälte und des Eis. Der Boden war eine graue Decke, doch war es kein Schnee, sondern Asche die vom Himmel hinabstreute. Kein Horizont. Keine Grenzen.
Der Weltenbaum Yggdrasil, so wurde gesagt, wurde durch das Kollidieren der Glut Müspelheims und des Frosts Niflheims erschaffen. Wo zwei unterschiedliche Kräfte aufeinander prallen, dort wird Leben erschaffen…oder Leben zerstört.
Blut floss aus der Wunde. Der Schnee tränkte sich rot. Der Wolf röchelte nicht mehr, als der Mann mit dem Fuchspelz den Pfeil aus dem Hals des Tieres zog. Er war auf die Knochen runtergehungert, genau wie der Jäger. Die Kälte hatte den Wolf zum Lagerfeuer gezogen. Er war verzweifelt in diesem frühen Winter, in diesem Winter ohne Sonne—womöglich wollte er sterben. Sigurd zog den Wolfskörper zum Feuer und weidete ihn dort aus. Das Fleisch war kostbar, die Leber köstlich. Die Knochen brachen widerstandslos in seinen Händen wie die eines jungen Kükens. Er saugte jedes Tröpfchen Mark aus diesen heraus. Er wusste nicht, wann er wieder essen würde, wann er wieder den plagenden Hunger stillen konnte. Um den Tod sorgte sich Sigurd nicht. Er war schon einmal gestorben.
Vor dem Licht
Ein neuer Freund
Thor spaltete dem letzten fliehenden Joten den Schädel. Seit drei Jahren durfte er nun alleine durch die Welten reisen. Sein Vater Odin empfand, dass ein Junge abenteuerlustig sei und er wusste von Thor, dass ihm nichts zustoßen würde. Thors Stärke war bereits als kleines Kind gleichzusetzen mit der von seinem Vater.
Das Blut aus den Leichen des Ehepaares färbte den Schnee um sie rot. Jotunheim war ein kalter, trostloser Ort, indem der Winter nie aufzuhören schien; nur selten verirrten sich wärmende Strahlen, wenn Sol ihr brennendes Gespann vorbeizog. Deshalb blieb Thor an der Grenze zwischen Jotunheim und Midgard, damit die Asengeschwister, die Sonne und Mond über den Himmel zogen, ein Auge auf ihn werfen konnten.
Thor wischte seine Axt an den Leibfetzen eines der Toten sauber, als er einen Jungen aus einer Höhle kommen sah. Der Junge hatte schwarzes Haar und trug einen weißen Bärenpelz um seine Schultern. Seine Augen glühten rot. Thor schmiss seine Axt nach ihm, aber der Junge rollte frühzeitig zur Seite. Blitzschnell zog Thor eine weitere Axt von seiner Hüfte und warf es auf jenen. Abermals wich der Junge im Eisbärenpelz aus und rannte auf Thor zu. Odins Sohn nahm naheliegende Steine und warf sie nach ihm. Nach drei misslungenen Würfen war der Junge in Armreichweite, seine Augen brannten rot wie die Glut eines Holzblocks, kurz bevor es erlosch. „Hab dich!“ sagte der Junge, als er Thor am Arm antippte. Danach rannte er wieder von Thor weg, doch hielt ihn im Auge, sodass der Ase ihn nicht sogleich fing. Thor lachte, warf den Stein in der Hand zu Boden und rannte dem Jungen hinterher. Thors orange Haare wehten mit dem kalten Wind.
Thor und Loki spielten immer zusammen, wenn Thor wieder in Jotunheim war. Wegen seiner Stärke hatte Thor von seinem Vater die Aufgabe erhalten, Midgard, das Reich der Tiere, von den Wanderern des Eis zu schützen—Thors Vater sagte, dass jeder sein Reich erhalten hatte, damit es zu keinen Streitigkeiten komme; leider jedoch gäbe es immer welche, die sich nicht an die Regeln hielten. „Du, Loki: Willst du mich mal in Thorheim besuchen kommen? Da ist es nicht so kalt und ich kann dir meine Sammlungen zeigen. Ich habe sehr schöne Schwerter zum Namenstag geschenkt gekriegt. Dann können wir mal richtig gegeneinander kämpfen.“
„Hihihoh“, lachte Loki, doch dann sank sein Kopf. „Aber ich bin ein Jote…“
„Das macht nichts. Mein Vater hat einen guten Freund namens Mimir mal nach Asgard eingeladen, der auch ein Jote ist. Ich bin sicher, Vater wird nichts dagegen haben, wenn du kommst.“ Die roten Augen des Jungen strahlten und er fragte seinen Freund, wie er denn nach Thorheim komme. „Also erst gehst du in Richtung Midgard; du läufst dahin, wo Sol Midgard verlässt“, Thor zeigte mit seiner Hand nach Westen. „Dann hältst du Ausschau nach einem Baum im Felde, dessen Früchte keine Vögel anlocken. Dieser Baum hat ein Loch und blickst du dort hindurch, kannst du Bifröst sehen. Es ist die bunte Brücke im Himmel, die von Midgard nach Asgard führt. Bist du erstmal dort, wird Heimdall dir zeigen, wie du zu mir nach Hause kommst.“
„Gut. Ich komme dann in fünf Tagen, ja?“
Thor nickte und sie warfen sich wieder mit Schneebällen ab.
Loki fand Bifröst dank Thors Beschreibung problemlos. Pfeifend hüpfte er über die Regenbogenbrücke und blickte durch das bunte Glas: Unter ihm war Midgard und weit im Osten sah er sein Zuhause, wo er damals Thor getroffen hatte. Es schien ihm alles so winzig von dort oben. Das Tor zum Reich der Asen war eine Festung. Es war der Palast von Heimdall und er entschied, wer sein Haus betreten und hindurch nach Asgard schreiten