Der Hausmeister in unserem Kirchspiele – wie wohl auch in den meisten andern – gehört nicht zu jener Klasse von Menschen, die bessere Tage gesehen und sich mit dem, was davon übrig geblieben, in untergeordneter Lage hinschleppen, während ihnen gerade genug Erinnerung an die Vergangenheit bleibt, um sich gedemüthigt zu fühlen und mit der Gegenwart unzufrieden zu sein. Wir sind selbst nicht genau überzeugt, welchen Stand der Mensch früher eingenommen hat; doch glauben wir, daß er eine untergeordnete Art von Schreiber bei einem Advokaten war, oder etwa auch Lehrer bei einer Nationalschule: was er übrigens auch gewesen sein mag, so viel ist klar, daß seine gegenwärtige Stellung eine Verbesserung zu seinen Gunsten war. Sein Einkommen ist allerdings klein, wie der abgeschabte schwarze Rock und der abgetragene Sammetkragen darthun; allein er darf doch keine Hausmiethe bezahlen, erhält ein beschränktes Quantum von Kohlen und Licht, und eine unbeschränkte Autorität in seinem kleinen Königreiche. Er ist ein großer, hagerer Mann, trägt stets Schuhe und schwarze wollene Strümpfe zu seinem Oberrocke, und blickt Jeden, der an dem Fenster seines Wohnzimmers vorübergeht, an, gerade als ob er wünschte, daß er ein Kirchspielsarmer wäre, um ihn seine Macht fühlen zu lassen. Er ist das klare Muster eines kleinen Tyrannen – wunderlich, grob und übellaunig gegen seine Untergebenen, kriechend gegen seine Vorgesetzten, und eifersüchtig auf des Kirchspielsdieners Ansehen und Einfluß.
Unser Schulmeister ist gerade das Gegenstück dieses liebenswürdigen Würdenträgers. Es ist einer von jenen Menschen gewesen, von denen man zuweilen hört, daß auf sie das Mißgeschick sein besonderes Augenmerk gerichtet zu haben scheint, weil nichts, was er auch immer thun mochte, oder wobei er betheiligt war, gelingen wollte. Ein reicher alter Verwandter, der ihn erzogen und öffentlich seine Absicht ausgesprochen hatte, für ihn zu sorgen, vermachte ihm in seinem letzten Willen 10,000 Pfund, und widerrief diese Verfügung durch ein Codicill. Auf solche Weise unerwartet in die Nothwendigkeit versetzt, für sich selbst sorgen zu müssen, verschaffte er sich eine Anstellung im öffentlichen Dienste. Die jüngeren Angestellten, die er hinter sich hatte, starben, als wenn die Pest unter ihnen gewüthet hätte; aber die ältern vor ihm, auf deren Tod er sehnsüchtig wartete, blieben fort und fort am Leben, als ob sie unsterblich wären. Er spekulirte und verlor. Er spekulirte abermals und gewann, aber er gelangte nie zu seinem Gelde. Seine Talente waren ansehnlich, seine Gemüthsart liebreich, edel und freigebig. Seine Freunde benützten das Eine und mißbrauchten das Andere. Verlust folgte auf Verlust; Unglück häufte sich auf Unglück; jeder neue Tag brachte ihn in größere Noth, und die ehemaligen Freunde, welche gerade die wärmsten waren, so lange er etwas zu geben hatte, zeigten sich befremdend kalt und teilnahmslos, als nichts mehr von ihm zu erlangen war. Er hatte Kinder, die er liebte, und eine Gattin, die er anbetete; die ersten wandten ihm den Rücken zu, die Letztere starb gebrochenen Herzens. Er ließ sich von dem Strome fortreißen – es war von jeher sein Fehler gewesen, und er besaß nicht Muth genug, gegen so viele Stürme anzukämpfen – er hatte nie für sich selbst gesorgt, das einzige Wesen, das ihn in Armuth und Elend gepflegt, war ihm entrissen. Er war nun genöthigt, um die Unterstützung des Kirchspiels nachzusuchen. Einige edelherzige Männer, die ihn in besseren Zeiten gekannt hatten, waren gerade dieses Jahr zu Kirchenvorstehern gewählt worden, und auf ihre Verwendung erhielt er seine gegenwärtige Stelle.
Er ist nunmehr ein alter Mann geworden. Von den Vielen, die sich einst mit all' der hohlen Freundschaft einer so betitelten guten Kameradschaft um ihn drängten, sind einige gestorben, andere gleich ihm gefallen, wieder andere glücklich geworden – vergessen haben ihn Alle. Zeit und Unglück haben glücklicher Weise dazu beigetragen, sein Gedächtniß zu schwächen, und durch Gewohnheit ist ihm seine gegenwärtige Lage erträglich geworden. – Sanftmüthig, unverdrossen und eifrig in der Erfüllung seiner Pflichten, wie er ist, hat man ihm gestattet, lange über die gewöhnliche Altersperiode in seinem Amte zu bleiben, und es ist nicht zu zweifeln, daß er darin ausdauern wird, bis Gebrechlichkeit ihn dazu unfähig macht, oder der Tod ihn davon erlöst. Wenn der alte Mann mit seinem grauen Haupte auf der Sonnenseite seines kleinen Hofraumes zwischen den Schulstunden schwankenden Schrittes auf- und abgeht, dann würde es selbst den Vertrautesten seiner ehemaligen Freunde schwer werden, in der Person des Armenschulmeisters den einst so muntern und glücklichen Gefährten ihrer Lustbarkeiten wieder zu erkennen.
Zweites Kapitel
Der Pfarrer. – Die alte Dame. – Der Halbsold-Kapitän.
Wir begannen das vorige Kapitel mit dem Diener unseres Kirchspiels, weil wir keine geringe Meinung von der Würde und Wichtigkeit dieses Dienstes haben. Wir wollen nun das gegenwärtige mit dem Geistlichen anfangen. Unser Pfarrer ist ein junger Herr, von einnehmendem Aeußern und solch bezaubernden Wesen, daß kaum ein Monat nach seinem ersten Auftreten in dem Kirchspiele abgelaufen war, als auch schon die eine Hälfte unserer jungen Damenwelt in eine religiöse Schwermuth, und die andere Hälfte in hoffnungslose Liebe versank. Nie hatte man früher Sonntags eine solche Zahl junger Frauenzimmer in unserer Pfarrkirche gesehen, und nie war den niedlichen, runden Engelsgesichtchen auf Mr. Tomkins' Grabmale im Seitengange eine so inbrünstige Andacht zu Theil geworden, als wie sie die jungen Kirchengängerinnen jetzt an den Tag legten. Der Pfarrer war zu der Zeit, als er das erste Mal auftrat, um unsere Pfarrgenossen in Bewunderung und Erstaunen zu setzen, ungefähr fünfundzwanzig Jahre alt; er trug sein Haar auf der Mitte der Stirn, nach der Form eines sächsischen Bogens gescheitelt, einen Brillant vom ersten Wasser an dem vierten Finger der linken Hand (die er stets an seine linke Wange hielt, wenn er Gebete las) und hatte eine ungewöhnlich feierliche, tiefe Grabesstimme. Unzählig waren die Besuche, welche kluge Mütter unserm neuen Pfarrer machten; unzählig die Einladungen, mit denen er bestürmt wurde und die er, wir müssen ihm Gerechtigkeit wiederfahren lassen, willfährig annahm. Hatten schon seine Manieren auf der Kanzel einen für ihn günstigen Eindruck hervorgebracht, so wurde derselbe durch sein Erscheinen in der Gesellschaft noch zehnfältig vergrößert. Die Kirchenstühle in unmittelbarer Nähe der Kanzel oder des Altars stiegen im Preise; Sitze im Mittelgange waren noch mehr werth; nur ein zollbreit Raum auf den vordersten Sitzen der Emporkirche konnte man sich aber weder durch Geld noch gute Worte verschaffen, und gewisse Leute gingen sogar so weit, zu versichern, daß sie die drei Miß-Browes, die einen dunkeln Kirchenstuhl dicht hinter dem der Kirchenvorsteher inne hatten, eines Sonntags auf den freien Plätzen am Altar bemerkt hätten, augenscheinlich, um den Pfarrer, wenn er in die Sakristei ging, an sich vorüber zu lassen. Dieser fing an Stunden zu halten, und nun ergriff die Ansteckung sogar die bedächtigen Väter. Einst verließ er in einer Winternacht nach halb ein Uhr das Bett, um an dem Kinde einer Wäscherin in einer Waschkufe die Nothtaufe vorzunehmen, und die Dankbarkeit der Pfarrgenossen kannte nun keine Gränzen mehr – sogar die Kirchenvorsteher wurden freigebig und brachten es dahin, daß die Kosten für einen Wagen, den der Pfarrer sich hatte machen lassen, um bei schlechtem Wetter den Leichengottesdienst besorgen zu können, von dem Kirchspiele übernommen wurden. Er schickte einer armen Frau, die auf einmal mit vier Kindern niedergekommen war, drei Pinten Fleischbrühe und ein Viertelpfund Thee – das Kirchspiel war entzückt. – Er veranstaltete eine Subscription für die Wöchnerin – ihr Glück war gemacht. Er sprach eine Stunde und fünfundzwanzig Minuten in einer Anti-Sklaverei-Versammlung im Wirthshause zum Gestiefelten Bock. Der Enthusiasmus hatte seinen höchsten Gipfel erreicht. Man machte den Vorschlag, dem Pfarrer für seine ausgezeichneten Dienste, die er dem Kirchspiele geleistet, mit einem Stück Silbergeschirr ein Geschenk zu machen. Die Subscriptionsliste blieb zwar lange leer, aber die Ursache rührte nicht daher, daß irgend Jemand der Subscription entrinnen wollte, sondern vielmehr davon, weil man nicht wußte, wer den Anfang mit dem Unterzeichnen machen sollte; kaum war aber dieß geschehen, so war der Subscriptionsbogen im Nu gefüllt. Man ließ ein prachtvolles silbernes Schreibzeug mit einer passenden Umschrift verfertigen und lud den Pfarrer zu einem öffentlichen Frühstück in dem, vorerwähnten Gestiefelten Bock ein, wo ihm das Schreibzeug durch Herrn Gubbins, den Exkirchenvorsteher, mit einer zierlichen Rede überreicht wurde, die sodann der Pfarrer in Ausdrücken beantwortete, welche allen Anwesenden Thränen entlockten, so daß selbst die Kellner vor Rührung zerschmelzen wollten.
Man sollte nun wohl annehmen dürfen, daß der Gegenstand der allgemeinen