Desiths Lächeln verblasste und er wäre beinahe über seine eigenen Füße gestolpert. Natürlich hatte er sofort erkannt, dass sein Vater magerer geworden war, aber als er dessen Gesicht erblickte, erschrak er innerlich. Nur mit Mühe konnte er seine Fassung wahren und weiter auf ihn zugehen.
Er hatte seinem Vater etwas beleibt in Erinnerung, aber was sich ihm jetzt bot, war ein Knochengerüst, das von fahler, schlaffer Haut zusammengehalten wurde. Er trug eine nachtblaue Pluderhose und ein bronzefarbenes Seidenhemd mit einem starken Stehkragen, beides war ihm sichtlich zu groß, als kämen die Schneider nicht damit hinterher, seine Kleider enger zu nähen. Die Wangen waren eingefallen, mit einem Dreitagebart kaschiert, die eisblauen Augen lagen tief in ihren Höhlen, die Gesichtsfarbe hatte ein ungesundes Grau und die rotblonden, kurzen Haare waren kraft- und glanzlos. Er stand auf einem schwarzen Gehstock mit goldenem Knauf gestützt und hatte ein Holzbein. Desith erinnerte sich, wie er, Rick und der Großkönig den vereiterten Unterschenkel seines Vaters abgehackt hatten, bevor er an einer Blutvergiftung starb. Es kam ihm wie gestern vor, als er die Hand seines Vaters gedrückt und ihm ein Stück Holz zwischen die Zähne geschoben hatte. Sieben Jahre. Damals hatte er sich so erwachsen gefühlt, doch fast ein Jahrzehnt später kam er sich wieder mehr wie ein Kind vor, das nicht wusste, welchen Weg es einschlagen sollte.
»Desith?« Sein Vater strengte die Augen an. »Vynsu?« Er gab das Pergament in seiner Hand an Ashen zurück und winkte ihn mit einer Handbewegung fort. Der Schreiberling verneigte sich tief und zog sich zurück. Auch der General der Wache schlich unbemerkt aus dem Saal und schloss die Türen.
Desith zwang sich, weiter auf seinen Vater zuzugehen, aber mit jedem Schritt wurde die alte Befangenheit größer. Dem Kaiser schien es ähnlich zu gehen, er humpelte leicht, als er freudig auf ihn zukam und machte Anstalten, ihn umarmen zu wollen, doch als sie schließlich dicht voreinander standen, war es, als ob eine unsichtbare Mauer zwischen ihnen stünde.
Sie zuckten kurz mit den Armen, sahen jedoch dann verlegen zur Seite, konnten diese Geste aus unerfindlichen Gründen einfach nicht über sich bringen, zu gehemmt von der Distanz, die immer zwischen ihnen gewesen war.
Desith rieb sich den Nacken, er konnte beinahe Vynsus neugierigen Blick im Nacken kitzeln fühlen, und wünschte sich, der Barbar wäre nicht Zeuge dieser unterkühlten Begegnung.
Bedeutete es das, barbarisch zu sein? Dass man seinen Vater und Herrscher vor Freude in die Arme sprang wie ein Affenkind in die Umarmung seiner Affenmutter?
Sein Vater räusperte sich und legte ihm zumindest eine Hand an die Wange, sodass Desith wieder in sein Gesicht sah und schließlich doch nicht anders konnte, als froh zu lächeln. Ein großer Brocken fiel von seinem Herzen. »Vater!« Zitterte seine Stimme? »Ich…« Er brach ab und schüttelte nur den Kopf.
Das rührte den Kaiser, seine Augen schimmerten und er rang nach Fassung. »Mein Junge«, er atmete so erleichtert aus, dass er es nur ehrlich meinen konnte, »wie schön, dich wohlaufzusehen!« Er musste schlucken, konnte es nicht glauben und suchte nach Worten. »Melecay sagte zwar, es ginge dir gut, aber ich wollte mich überzeugen. Wir waren dabei, aufzubrechen, um dich zu besuchen! Und jetzt stehst du einfach hier? Welch Überraschung! Das… das ist so … Oh Sohn, ich … ich bin gerade zu überwältigt, um mich auszudrücken, verzeih mir.« Er lachte und seine Hand rutschte zu Desiths schmalem Kinn, das er umfasste und leicht rüttelte, als wollte er ihn tadeln. »Wir dachten schon, der Dschungel hätte dich für immer in seinen Fängen! Deine Mutter wird weinen, wenn du sie so überraschst. Ashen!«, rief er freudig über die Schulter, Desith zuckte zusammen, hatte nicht damit gerechnet. Der Diener kam vom Balkon wieder herein und verneigte sich mit einem breiten Lächeln.
»Mein Kaiser?«
»Holt Ari!«, schickte er ihn erregt fort, »holt sie schnell her. Sagt ihr, ich hätte eine besondere Überraschung für sie!«
Ashens Lächeln – wenn überhaupt möglich – wurde noch breiter und er machte sich umgehend auf den Weg, die Kaiserin zu verständigen.
Desith legte eine Hand um den Arm seines Vaters, um dessen Aufmerksamkeit zurückzuerlangen, und befreite sich mit gequälter Miene aus seinem Griff. »Glaube mir, Vater, es war keine Freude, die mich im Dschungel hielt, und ich würde nicht einmal dann dorthin zurückkehren, wenn unsere Welt unterginge und nur noch Zadest stünde. Die Unterwelt ist ein freundlicherer Ort. Ich kann nicht in Worte fassen, wie froh ich bin, zu Hause zu sein. Ich dachte nicht, dass ich es wiedersehen werde. Ich…«, er senkte den Blick und trat einen Schritt zurück. »Ich bin nur dank Vynsu hier. Er hat mich heimgebracht, aus dem Dschungel und schließlich aus Melecays Fängen.«
»Fängen?« Der Kaiser verengte leicht die wachsamen Augen. Sein Blick glitt über Desiths Kopf hinweg zu Vynsu, der mit gebührendem Abstand stehen geblieben war.
Als Eagles Blick ihn traf, verneigte er sich so vorbildlich, dass es Desith überraschte. »Eure Majestät, verzeiht uns unser Hereinplatzen, wir hätten uns natürlich angekündigt, wäre es uns möglich gewesen.«
Forschend sah der Kaiser von Vynsu zurück zu Desith, dann musterte er die Erscheinung seines Sohnes und schien allmählich zu begreifen.
»Ihr beiden«, sagte er vorsichtig, »seht aus, als wäret ihr auf der Flucht.« Es war keine Frage, und ihm antwortete nur Schweigen. Sein kluger Blick durchbohrte Desith, der genau wie als Kind, wenn er etwas ausgefressen hatte, den Boden unter seinen Füßen ganz besonders konzentriert anstarrte.
»Ich hörte…«, begann der Kaiser vorsichtig, »…Derrick hätte schlimme Verletzungen erlitten, und du würdest nicht von seiner Seite weichen wollen.« Er sah sich gespielt um. »Ich sehe keinen Derrick.«
Desith schnaubte herablassend. »Von wegen. Ich war es, der schwere Verletzungen erlitten hat. Wegen Derrick.«
Die eisblauen Augen seines Vaters, die er ihm mit all ihrer mystischen Macht vererbt hatte und die den Airynns zu Eigen waren, blitzten scharf und gefährlich auf. Er hörte nur das, was er schon vor Jahren befürchtet hatte. Dass Derrick eine Gefahr für Desith hätte sein können. »Was ist geschehen?«, verlangte er zu erfahren und blickte wieder zu Vynsu. Nun ganz der Kaiser, die Vaterrolle abgelegt.
Vynsu räusperte sich und trat einen Schritt vor. »Die Angelegenheit ist etwas heikel…«
Sie erzählten es ihm, wobei Vynsu natürlich besonders darauf achtete, dass Derrick nicht zu schlecht dastand und Melecays Absichten nicht böswillig gewesen waren. Desith war mit keinem von beiden besonders gnädig, er erzählte wie er beinahe zu einer Ehe gezwungen worden wäre und machte seinem Vater einen Vorwurf.
»Du hast dem zugestimmt?«, fragte er ungläubig, während der Kaiser noch versuchte, die Geschichte, die sie ihm erzählt hatten, zu verdauen. »Ich dachte, du riskierst lieber Melecays Zorn, als eine Vermählung zwischen mir und Derrick offiziell anzuerkennen. Und dann stimmst du einfach zu?«
Sein Vater schüttelte irritiert den Kopf. »Ich habe… Moment! Lass mich das erst einmal verarbeiten, Desith.« Er rieb sich die Stirn, als hätte er Kopfschmerzen, und Desith nahm sich etwas zurück, atmete tief durch und versuchte, sich zu beruhigen. Er war übermüdet, brauchte Schlaf.
»Ich habe einer Ehe letztlich zugestimmt«, gestand sein Vater ein, hob aber eine Hand, um Desith zu bedeuten, ihn ausreden zu lassen. »Ich dachte, ich stimme zu, zwei Liebende zu vermählen. Und ja, mir gefiel der Gedanke nicht, dich an einen Halbdämon zu verschenken, aber nach sieben Jahren im Dschungel allein mit Derrick…« Er zuckte mit den Achseln. »Ich dachte, es wäre das, was du willst, Desith. Du hast mich für diese Liebe hintergangen, du hast deutlich gemacht, was du willst.« Er griff nach Desiths Arm und hielt ihn hoch, die Narben an den Handgelenken lugten überdeutlich aus dem Ärmel hervor.
Gereizt entzog Desith seinem Vater den Arm und wandte sich mit einem Grunzen ab.
»Melecay hat auf mich eingeredet, nachdem deine Schwester…« Er brach plötzlich ab und sah traurig zu Vynsu.
»Er