Das Mädchen mit dem Flammenhaar. Janet Borgward. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Janet Borgward
Издательство: Bookwire
Серия: Das Mädchen mit dem Flammenhaar
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738071429
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„Was ist los? Ist der Fisch nicht genießbar?“ Charise sah mich skeptisch an. „Doch. Es ist nur …“ Mechanisch nahm ich den Fisch vom Haken und tötete ihn mit einem Fausthieb. Ausgenommen und entschuppt bohrte ich ihn anschließend auf einen angespitzten Stock, den ich über dem Feuer hielt. Ungeduldig warteten wir bis er gar war und bissen dann gierig Stücke heraus, lutschten an den Gräten, bis diese blank waren. „Was nun?“ Charise wische sich den Mund ab und stierte in die Glut des Feuers. „Lass uns die Gegend erkunden. Vielleicht können wir eine Weile hierbleiben. Wir haben alles, was wir brauchen. Wasser, Fische, Kräuter. Wenn wir eine Falle bauen, können wir vielleicht größere Tiere darin fangen.“ „Du bist ja die geborene Jägerin“, stellte Charise fest. Doch diesmal meinte sie es anerkennend. Ich las die Kräuter auf, von denen ich wusste, dass sie genießbar waren. Später fing ich noch zwei weitere Fische, die wir über dem Feuer grillten und mit Heißhunger vertilgten. Endlich ließ der Hunger etwas nach und ich konnte wieder einigermaßen klar denken. Ich ließ das Feuer ausgehen, dann griff ich nach meinem Rucksack und der Angel und ging auf den Wasserfall zu. Fasziniert beobachtete ich, wie die Sonne darin einen kleinen Regenbogen entstehen ließ, lauschte auf das Tosen des Wassers und spürte die Kraft, die darin steckte. Ich lief einfach immer weiter bis ich Charise hinter mir rufen hörte. „Avery, wo willst du denn hin? Warte auf mich!“ Sie holte mich ein und gemeinsam gingen wir weiter. Kurze Zeit später trafen wir auf einen verwilderten schmalen Pfad, der in schlängelnden Linien zum Wasserfall führte und dann urplötzlich endete. Hier war das Gestrüpp so dicht, als wollte es uns mit Gewalt davon abhalten weiter zu gehen. Entschlossen zückte ich mein Messer und versuchte einen Durchgang zu schneiden, doch ließ der Wildwuchs dies kaum zu. Dornige Zweige kratzten über Arme und Beine, verfingen sich in meinen Haaren, doch ich beachtete sie kaum. Dann kam mir eine Idee. „Wie hast du mein Messer genannt?“ „Dein Messer? Ich weiß nicht was du …“ „In Gullorway, als ich den Gelbling abwehren wollte. Wie hast du mein Messer da genannt?“ „Lass uns zurückgehen, Avery. Wir wissen nicht, ob sie uns immer noch verfolgen oder Schlimmeres auf uns lauert.“ „Charise, wie hast du mein Messer genannt?“ „YEMAHL.“ „Genau, das war es. YEMAHL!“ Diesmal glitt die Klinge, durch das verwachsene Gestrüpp, als wäre es aus Papier. „Funktioniert das eigentlich auch bei dir?“, fragte ich erstaunt. Charise war bleich geworden und schüttelte den Kopf. „Probiere doch mal. Ich will wissen, ob es bei dir auch diese Kraft entwickelt.“ Ich hielt ihr den Griff meines Messers hin. Mit zitternden Fingern fasste sie danach. Aufmunternd nickte ich ihr zu. Zögernd sprach sie kaum hörbar, „YEMAHL.“ Nichts geschah. „Vielleicht musst du es lauter aussprechen. Versuche es noch einmal.“ „Nein. Es ist dein Messer.“ Entschieden hielt sie mir den Knauf wieder hin. „Aber du kennst seinen Namen. Woher?“ Charise schien mit sich zu ringen, schließlich antwortete sie. „Bevor Vater es dir geschenkt hat, gab er es mir mit diesen Worten und bat mich es auszuprobieren.“ Ihr Gesicht wurde zu einer undurchdringlichen Maske. „Es ist dein Messer. Können wir jetzt wieder gehen?“ Sie wandte sich abrupt um. „Nein. Erst will ich wissen, wohin dieser Weg führt.“ Energisch setzte ich meinen Dolch abermals mit den magischen Worten ein, wenn ich auch nicht wusste, wie es funktionierte und warum nur bei mir. Ob das auch so eine Geschichte war wie die mit den Bildern, die ich zum Leben erwecken konnte? Inzwischen hatte ich das Gestrüpp soweit zurückgeschnitten, dass ich den Weg fortsetzen konnte. Und tatsächlich führte der Pfad nun weiter zu einer kleinen Plattform hinter dem Wasserfall. „Charise, das musst du dir ansehen!“, rief ich begeistert und verstaute den Dolch wieder im Rucksack. Was war das für ein fantastisches Schauspiel, sich hinter dem Wasserfall zu befinden. Weiß schäumend stürzten die Massen hinab in einem breiten, undurchdringlichen Vorhang aus Wasser. Charise folgte mir vorsichtig über den glitschig steinernen Weg. Ein Stück weiter rechts, hinter einem Vorsprung tat sich plötzlich der Eingang einer Höhle auf. „Da willst du doch jetzt wohl nicht hinein?“ „Warum nicht? Vielleicht bietet sie uns Schutz und wir können eine Weile hierbleiben.“ „Und wenn es darin wilde Tiere gibt, die auf uns lauern? Das Krokodil kam auch aus dem Nichts.“ Sofort fühlte ich mich wieder an das schreckliche Erlebnis erinnert, sah Miles vor mir, wie er mit dem Reptil im Moor um sein Leben kämpfte und versank. Die Luft zum Atmen wurde mir mit einem Mal knapp und ich musste mich an der Felswand abstützen. „Wäre ein Tier darin, hätte es uns schon lange aufgespürt.“ „Vielleicht schläft es am Tag und jagt in der Nacht“, räumte Charise ein und hatte damit nicht ganz Unrecht. „Aber es muss doch einen Sinn haben, dass dieser Weg direkt hierhin führt“, beharrte ich. „Ein Weg, den schon lange niemand mehr genommen hat. Ich bleib jedenfalls nicht hier. Draußen können wir noch einigermaßen weit schauen aber hier drin? Was ist, wenn es dunkel wird?“ Entschlossen trat sie den Rückweg an, ich dagegen blieb. Nach einiger Zeit kam sie mit hastigen Schritten wieder zurück. „Ich habe was gesehen an unserem Lagerplatz“, stieß sie atemlos hervor. „Ein Tier!“ Jetzt trieb sie mich geradezu in die Höhle. „Was denn für ein Tier?“ „Keine Ahnung. Nicht sehr groß. Vielleicht ein Hund. Nein, kein Hund. Irgendwie – ach ich weiß auch nicht. Lass uns weitergehen, bevor es uns findet.“ Vorsichtig betraten wir die Höhle. Tastend, zunächst völlig im Dunkeln. Ein Stück weiter machte die Höhle eine kleine Biegung, an deren Ende ein Streifen Licht sichtbar wurde. Als wir darauf zugingen, entpuppte sich das Licht als ein von der Natur geschaffenes Tor, das zum Ufer eines Bachlaufs führte. An dieser Stelle war der Wasserfall kaum noch zu hören. Hier gab es jede Menge kleinere Wasserzuläufe, die in glasklaren Adern zu einem einzigen Fluss fanden. Ich steuerte darauf zu und prüfte die Tiefe. Das Wasser reichte mir hier bis knapp unterhalb des Knies. „Was hast du vor?“, fragte Charise. „Lass uns ein Stück durch den Fluss waten. Vielleicht können wir so unsere Spuren verwischen, falls uns das Tier folgen sollte.“ „Wenn du meinst.“ Doch zuvor säuberte ich mit dem klaren Wasser die Wunden, die mir die Dornen in die Haut geritzt hatten. Erst jetzt bemerke ich, wie seltsam heiß und geschwollen sie sich anfühlte. Auch meine Wade schmerzte, als hätte mich etwas gestochen. „Wo hast du dir das denn eingefangen?“, Charise bemerkte es auch. Doch ich hatte keine Zeit darüber nachzudenken, falls uns tatsächlich irgendetwas verfolgte. So liefen wir eine ganze Weile durch den eiskalten Fluss und warfen immer wieder einen Blick zurück, ob uns etwas folgte. „Können wir jetzt mal wieder auf einem festen Weg gehen?“, maulte Charise. „Mir frieren fast die Füße im Wasser ab.“ Mir dagegen wurde es immer heißer und ich hatte das Gefühl, als besäßen meine Arme inzwischen den doppelten Umfang. Auch fühlten sich mein Mund trocken und die Zunge geschwollen an. Vielleicht waren die Dornensträucher giftig gewesen. „Das sieht aber gar nicht gut aus, Avery.“ Ängstlich betrachtete Charise meine angespannte Haut. Schweiß rann mir übers Gesicht und brannte in den Augen. „Du glühst ja. Verdammt. Was sollen wir denn jetzt tun?“ „Kühlen, ich muss die Haut kühlen.“ Das Sprechen fiel mir schwer. Der Rucksack schien plötzlich mehr als das Doppelte zu wiegen. Ich ließ ihn zu Boden gleiten und setze mich daneben. Dann wühlte ich mit zittrigen Fingern darin herum. Bei den Kräutern, die ich gesammelt hatte, war auch Arnika gewesen. Nicht viel aber vielleicht würde ich eine kleine Paste daraus zubereiten können, die ich mir auf die Haut auftragen konnte. Ich zerrieb die Blütenteile der Arnika zwischen den Fingern und ließ sie in die Blechdose bröseln, wo ich sie im Wasser aufquellen ließ, bis ein dünner Brei entstand. Doch ich hatte viel zu wenig gesammelt. Die Menge reichte kaum für einen Arm aus, selbst wenn ich die Tinktur sparsam auftrug. Von den Pflanzen, die hier wuchsen, kannte ich sonst keine und verspürte auch keine Lust auf weitere Experimente. Mittlerweile stellte sich auch wieder Hunger ein. Wir würden etwas jagen müssen, doch wie? Von Fisch allein konnten wir uns nicht alle Zeit ernähren. Ich versuchte einen Speer zu schnitzen, doch zitterten meine Hände so stark, dass er krumm und unbrauchbar wurde. Daraufhin hielt ich die Angel in den Fluss, doch ohne Köder war sie nutzlos. Jeder Gedanke fiel mir von Minute zu Minute schwerer. Ich konnte mich nicht konzentrieren, hatte keinen Plan und die Hitze schien mich nun auch von innen her zu verbrennen. „Lass uns einen Moment ausruhen, Charise. Es ist so verdammt warm hier, so schwül.“ Charise hielt ihre Hand an meine schweißnasse Stirn. „Du hast Fieber.“ „Ich weiß.“ „Sollen wir zurück zum Wasserfall?“ Ich schüttelte matt den Kopf. „Nein. Nur eine kleine Pause, dann lass uns nach einem Lager für die Nacht suchen.“ „Und dann?“ „Ich weiß es doch auch nicht.“ „Dann können wir genauso gut hierbleiben.“ Trotzig verschränkte sie die Arme vor die Brust. Wir hörten das Krächzen einer aufgeschreckten