Das Mädchen mit dem Flammenhaar. Janet Borgward. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Janet Borgward
Издательство: Bookwire
Серия: Das Mädchen mit dem Flammenhaar
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738071429
Скачать книгу
mich nach meinen Karten zu fragen. Ob er noch lebte?

      Und Charise mit ihren gemeinen Anschuldigungen. Wie kam sie darauf, dass die Herren von Kandalar ausgerechnet uns suchten? Ich verachtete sie dafür, dass sie hatte schlafen können, als wäre nichts passiert und mir die Schuld an dem Unglück gab. Miles kam als erster auf die Beine und streckte sich. Dann bot er mir seine Hand, um mir aufzuhelfen. Meine Schwester dagegen lehnte seine Hand ab und stand ungelenk auf. „Wie soll es jetzt weitergehen? Hast du einen Plan, wo du ja so gut Bescheid weißt über alles?“, frotzelte ich und sah Charise aus müden Augen an. Trotz oder gerade wegen des Schlafmangels hatte ich immer noch genügend Gift in mir, dass ich nur zu gern bereit war, ihr entgegen zu sprühen. „Wir sollten nach einem Bach suchen. Vielleicht gibt es da Fische oder andere, essbare Tiere“, versuchte Miles die Situation zwischen uns zu entschärfen. Er hatte ja Recht. Doch ich fühlte mich dermaßen desillusioniert, dazu dieser nagende Hunger und unsägliche Durst, dass ich keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte „Gehen wir“, sagte Charise knapp und machte sich auf den Weg, ohne auf uns zu warten. Wir waren etwa zwei Stunden gelaufen, als sich die Vegetation um uns herum zu verändern begann. Das vertrocknete Laub der Bäume wich allmählich einer Graslandschaft auf offenem Gelände. Charise zögerte. Hier würden wir wie auf dem Präsentierteller laufen. Doch auch die Sonne war unser Feind. Ohne einen Tropfen Wasser und der Aussicht auf Nahrung würden wir nicht lange durchhalten. „Irgendeine Idee, wo wir hier sind?“, fragte Miles an uns beide gerichtet. Ich zuckte mit den Schultern, Charise schüttelte den Kopf. „Könnte es Alebas sein?“, bohrte er weiter. „Zu weit weg.“ „Kandalar?“ „Nein. Außerdem wäre das gar nicht gut, dann würden wir den Herren von Kandalar direkt in die Arme laufen.“ „Woher willst du das wissen, oder warst du schon mal da?“, fragte ich sie. „Nein, ich habe einfach in der Schule aufgepasst.“ Selbst in dieser Situation versuchte sie, sich aufzuspielen. Charise blickte zum Himmel, folgte dem Lauf der Sonne, als würde sie sich mit den Himmelsrichtungen auskennen. „Nein, ich denke nicht, dass wir Kandalar vor uns haben. Vorher müssten wir auf Abylane treffen.“ „Liegt das nicht weiter nördlich?“, beharrte Miles seinerseits. „Was auch immer, lasst uns irgendwie versuchen aus der Sonne zu kommen“, stöhnte ich. Meine Haut brannte wie Feuer. Schatten gab es nirgendwo nur endlose Steppe. Kein Wasser, geschweige denn irgendetwas, das wir essen konnten. Mittlerweile knurrte mein Magen unerhört laut. Charise warf mir jedes Mal einen genervten Blick zu, dabei musste es bei ihr und Miles doch genauso sein. „Kandalar oder nicht, müssten wir nicht irgendwann mal auf ein verdammtes Dorf oder eine größere Siedlung treffen?“, fragte Miles nun erschöpft. Momentan konnte ich nicht einmal mehr sagen, wie lange wir schon gelaufen waren. „Sollten wir wirklich Richtung Kandalar unterwegs sein, dann wäre Alebas der nächste Ort, aber noch Stunden entfernt“, stellte Charise klar. „Von mir aus Alebas oder was auch immer. Ich habe die Landkarte nicht auswendig gelernt.“ Na prima. Ging das jetzt wieder von vorn los? Mein Gefühl sagte mir, das wir weiter westlich unterwegs waren. Aber ich war zu erschöpft und resigniert, um etwas zu erwidern. Wir liefen weiter, ohne Plan. Die Stimmung war inzwischen auf den Nullpunkt gesunken, wenn es denn noch tiefer ging. Da sahen wir in der Ferne ein dunkelgrünes Band am Horizont flimmern. Entweder wieder ein Waldgebiet oder eine Siedlung. Jedenfalls hoffte ich, dass wir dort endlich Schatten vorfinden würden und vor allem Essen und Trinken. Wenn mein Gesicht so aussah, wie es sich anfühlte und bei Charise zu sehen war, dann würden wir beide zum Abend mehr als nur einen kräftigen Sonnenbrand haben. Miles dagegen schien die Sonne nicht so viel auszumachen. Er sah bestenfalls leicht gebräunt aber nicht verbrannt aus, soweit ich das unter dem Schmutzfilm auf seiner Haut erkennen konnte. Der Streifen am Horizont entpuppte sich als weiteres Waldgebiet, doch anders als die Wälder, an denen wir bisher vorbeigekommen waren. Auch war die Luft jetzt nicht mehr heiß und trocken, sondern feuchtwarm, schwül. Aber es gab endlich Schatten, vielleicht auch Wasser, einen See, irgendetwas. Wir stolperten hinein. Es roch modrig, wie etwas das verrottet. Der Boden war weich, nass. Also musste es hier Wasser geben. Hoffnungsvoll gingen wir weiter. Um uns herum nur Gras, Büsche und hohe Bäume. An den Ästen hingen braungrüne Flechten wie löchrige Tücher, die jemand zum Trocknen aufgehängt hatte. Kein Wasser weit und breit. Erschöpft ließen wir uns auf einem umgekippten Baumstamm nieder und sahen uns um. Plötzlich aufziehende Nebelschwaden erlaubten uns höchstens dreißig, vielleicht vierzig Meter weit zu sehen. Die Konturen um uns herum verschwammen. „Hier muss es doch verdammt nochmal Wasser geben.“ Miles sprach aus was wir alle dachten. Doch der Nebel nahm uns jegliche Orientierung. Wir konnten kaum den Pfad erkennen, den wir soeben gegangen waren. Wir standen wieder auf, hielten uns bei den Händen, um uns nicht zu verlieren. Charise ging voran, dann Miles und ich bildete das Schlusslicht. Mittlerweile liefen wir durch knietiefes Gras, der Boden federte bei jedem unserer Schritte und hinterließ schmatzende Geräusche. Und plötzlich war da noch ein anderer Laut. „Wartet mal. Ich habe was gehört.“ Ich blieb stehen und lauschte. „Da folgt uns etwas.“ Miles flüsterte nur noch. „Was sollte uns denn hierhin folgen? Wir laufen seit Stunden, ohne einer Menschenseele begegnet zu sein.“ Charise wollte weiter. „Scht. Hör doch mal.“ Es kam näher. Platschende Geräusche und Fiepen. Wo hatte ich dieses Fiepen schon einmal gehört? Gelblinge, schoss es mir durch den Kopf. So hatten sich die Gelblinge in Gullorway angehört. „Ich glaube, die Gelblinge sind uns gefolgt. Wir müssen hier weg. Los! Lasst uns den Pfad verlassen!“, versuchte ich sie zu bewegen. „Warte, warte. Wir wissen nicht von welcher Seite sie …“ Miles brach ab. Jetzt hörten wir aus der Ferne Stimmen. Männerstimmen in einer fremden Sprache, mit gedehnten Wörtern. Die Herren von Kandalar. Wir saßen in der Falle. Wenn doch bloß dieser verdammte Nebel nicht wäre – aber vielleicht war auch genau das unser Glück, verbarg uns vor den Feinden. Die Stimmen schienen aus allen Richtungen zu kommen, umherzuwehen. Ich gab Miles und Charise ein Zeichen mir zu folgen und hoffte, den Herren von Kandalar nicht direkt in die Arme zu laufen. Der Boden unter uns schmatzte bei jedem Schritt, wurde breiiger und zerrte an unseren Schuhen. Mannshohes Schilf umgab uns nun und bot neben dem Nebel zusätzlichen Schutz. Wir warteten, während der Untergrund immer schwammiger wurde. Charise wollte etwas sagen, unterließ es jedoch als das Fiepen und die Männerstimmen wieder näherkamen. „Sie m-ü-s-s-en hier irgendwo sein. Ich kann sie spüren. Le marin de Schtedoor.“ Sie verfielen wieder in ihre unverständliche Sprache, entfernten sich ein wenig. Das Fiepen der Gelblinge folgte ihnen. Dann der markerschütternde Schrei eines Tieres. „Das ist Moorgebiet, Neschwirr-Guhl. Die Gelblinge sinken schon ein, wir können nicht …“ „Sag m-i-r nicht was wir können und was nicht.“ Die restlichen Worte gingen unter im Gekreische der Gelblinge. „Habt ihr das gehört?“, flüsterte Miles. „Wir stecken im Moor. Wir müssen hier fort, bevor wir auch versinken.“ Angst schnürte mir die Kehle zu. Als wir uns fortbewegten war es, als ob der Boden uns für sich behalten wollte, an unseren Beinen zog. Wir bekamen einen kräftigen Zweig zu fassen und konnten uns befreien. Lauschten, warteten und gingen in kleinen Schritten vorwärts, hoch konzentriert und fiebrig vor Panik. Das Stimmengewirr entfernte sich immer weiter, bis es schließlich ganz erstarb. Wir wagten uns kaum von der Stelle aus Angst, sie wieder auf unsere Spur zu bringen. Aber wir mussten weiter. Langsam setzten wir uns wieder in Bewegung. Wir waren eine gefühlte Ewigkeit unterwegs, als sich der Nebel etwas lichtete. „Da vorne, seht ihr das?“ Miles war ganz aufgeregt. „Ein See, jedenfalls sieht es so aus.“ Er rannte fast. Jede Vorsicht außer Acht lassend stolperten wir ihm hinterher. Plötzlich brach Miles durch den Boden, versank knietief im Moor. Und je mehr er versuchte sich zu befreien, desto tiefer geriet er hinein. „Miles! Nicht bewegen!“, forderte ich ihn voller Panik auf. Dabei hielt ich ihm unsere Angel hin, zog sie gleich wieder zurück, weil der Angelhaken noch daran baumelte. Mit zittrigen Fingern schnitt ich ihn ab. „Avery, was machst du denn? Tu doch endlich was, verdammt!“ Charise stand schreckensbleich neben mir, selbst unfähig irgendetwas zu unternehmen. Ich hielt Miles nun das dicke Ende der Angel hin, damit er besser danach packen konnte, doch durch die nebelfeuchten Hände bekam er keinen Halt und die Angel entglitt ihm. Stattdessen sackte er weiter ein, nun bis zu den Hüften. Auch ich war ein Stück nach vorne gerutscht in das Moor, konnte mich jedoch mit einem rückwärtigen Schritt befreien. „Warte Miles. Wir versuchen etwas anderes.“ „Aber macht schnell. Irgendwie ist dieses eklige Zeug verdammt kalt.“ „In Ordnung, aber versuch, dich nicht zu bewegen.“ „Du hast Humor.“ Wieder war er ein Stück tiefer gesunken. Charise und ich suchten fieberhaft nach etwas, womit wir ihn herausziehen konnten.