Viola Kroll, schoss es schlagartig wie ein elektrischer Schock durch Jansens Bewusstsein, als die Erinnerung wie ein Sektkorken aus ihrem Schlummer herausploppte.
Er hatte diese Frau in Italien verhaftet. Und sie dann später in New York, auch schon anders aussehend, auf dem Flughafen gesehen, während eines Kurzurlaubs mit der Familie.
Sie war nach allem, was Werner Heim und er über sie herausgefunden hatten, eine vielfache Mörderin. Heim und Jansen hatten sie nach der Verhaftung aus formalen Gründen der italienischen Justiz übergeben müssen; in Rom war sie gegen Kaution freigelassen worden, und gleich am Tag darauf war sie bei einem Autounfall in der Toskana gestorben. Sie war mit zweihundertzwanzig aus einer Kurve der Autostrada geflogen und sofort tot gewesen. Im Auto hatten sich Haare, Ausweise, Fingerabdrücke und andere Spuren von ihr gefunden, die Leiche selbst war verbrannt und nur noch ein Stück auf Zwergengröße geschrumpfte Kohle gewesen.
Wie war es möglich, dass sie trotzdem überall auftauchte und noch lebte, auch wenn sie anders aussah? Hatte sie eine Doppelgängerin, eine Zwillingsschwester?
Sein Aussehen konnte man ändern, bei der Stimme, beim Gang und der Körpersprache war das nicht so einfach. Sie war es, jetzt war sich Jansen schon zu neunzig Prozent sicher.
Vanessa Hemsford hatte gerade eine Frage über den Angels’ Share gestellt, den Anteil des Whiskys, der im Laufe der Zeit verdunstete, als Jansen sich eine kurzfristige Überraschungsstrategie zurechtlegte, seinen Mut zusammennahm und sie ansprach.
»Mensch, Viola, was machst du denn hier?«, sprach er sie von hinten an wie einer, mit dem sie schon im Sandkasten gespielt hatte. »Willst du jetzt Whisky brauen, oder was?«
»Genau,« entfuhr ihr eine spontane Antwort, bevor sie ihren Lapsus bemerkte, herumfuhr und erstarrte.
Sie war es selbst, nicht eine Schwester. Sonst hätte sie nicht auf die Ansprache mit ihrem Namen Viola reagiert.
Aber schon hatte sie sich wieder in der Gewalt.
»Excuse me?«, sagte sie mit schiefgelegtem Kopf und gerunzelter Stirn. Sie sprach auf Englisch weiter.
»Sie müssen mich verwechseln, mein Herr. Außerdem ist es unhöflich, mich bei meiner Frage zu unterbrechen. Lassen Sie mich bitte in Ruhe weiter zuhören, ja?«
Jansen blieb eng hinter ihr stehen; sie wirkte jetzt sichtlich irritiert.
Ein anderer Besucher fragte nach der Art der Holzfässer.
»Du hast deinen Tod nur getürkt, oder?«, flüsterte Jansen ihr zu. »Ich werde das untersuchen lassen. Du entkommst mir nicht noch einmal, Viola.«
Mit dem Ergebnis, dass sie einen kleinen Aufruhr verursachte und Jansen rausgeworfen wurde.
»Das ist ein verdammter Stalker, der Bursche, der stellt mir schon länger nach«, behauptete sie. »Der hat mir gerade an den Po gefasst! Kann bitte jemand die Polizei rufen? Das ist doch unerhört, was manche Leute sich erlauben! Und das in Ihrer altehrwürdigen Brennerei!«
Den letzten Satz hatte sie an den Führer gerichtet.
Der bat ihn höflich zu gehen und sich doch der nächsten Führung anzuschließen, wenn er wirklich Interesse an Whiskys und nicht nur an dieser Frau hätte, die er im Übrigen bitte in Ruhe lassen möge.
Jansen war raus aus der Führung, aber nicht vom Gelände. Er stand verdattert vor dem Haus; was nun?
Kapitel 3
Beim ersten Umdrehen hatte ich nicht gewusst, wer da hinter mir stand, um einiges größer als ich selbst. Ich kannte viele Menschen, aus meiner Berliner Zeit, aus New York und London. Ein flüchtiger Bekannter?
Als er mich über die Schulter ansprach, reagierte ich freundlich auf seine nett klingenden Worte. Im selben Moment klingelte es in meinen Ohren; ich kannte dieses wohltönende Organ, kräftig und doch etwas piepsig. Ein deutscher Bulle, einer der lästigen Verfolger, die mich damals am Lago Maggiore in Schwierigkeiten gebracht hatten.
Ihn auf die Schnelle loszuwerden, war mit den Waffen einer Frau einfach. Einer empörten schönen Frau glaubte das jeder, dass ihr ein Schnösel wie der hochgeschossene Jungbulle an den Po gegriffen hatte.
Als die Führung weiterging, ging ich im zweiten Stock unauffällig ans Fenster und spähte hinaus. Jansen schlenderte mit gesenktem Kopf zu einem Landrover auf dem Parkplatz, nachdem er wütend einige Steine hier- und dorthin gekickt hatte. Er stieg ein und parkte um, gerade noch in Sichtweite der anderen Autos auf dem Parkplatz.
Er wartete auf mich und wollte mir folgen.
Gut. Das würde ich nicht bemerken, nahm ich mir vor. Er sollte mir folgen, ich wusste schon, wie ich ihn abhängen konnte. Ich hatte gestern bei einer anderen Destillerie, Dalwhinnie, zu viel probiert und meinen eigenen Wagen stehen lassen. Ein netter Herr hatte mich mit zurück nach Perth genommen, wo ich mir vor Monaten eine Villa gekauft hatte.
Ich würde mit meinem Mietwagen dorthin fahren und die Führung noch einmal mitmachen oder zumindest anfangen. Mein eigener Wagen stand auf dem Mitarbeiterparkplatz, den Tesla würde ich stehen und später abholen lassen. Die Extrakosten waren es mir wert.
Polizisten sind so berechenbar. Jansen würde mich aus sicherer Entfernung beobachten und warten, dass ich weiterfuhr. Also würde ich ihm im Tesla ein schönes Ziel liefern, wo er mich suchen konnte und wo ich niemals hinfahren würde. Dufftown. Das konnte er mit einem kurzen Blick aufs Navi leicht feststellen.
Ich selbst verließ die Destille in Dalwhinnie durch den Hintereingang und fuhr zurück mit meinem eigenen Wagen nach Perth, einige Meter an ihm vorbei, mit einem Kopftuch. Er bemerkte mich nicht, sah nur erwartungsvoll auf meinen Mietwagen.
Sein Kennzeichen hatte ich mir aufgeschrieben und prüfte sie zu Haus nach. Sie fing mit SK an, was für Edinburgh stand, und war auf eine Mietwagenfirma eingetragen. Ich habe in meiner Karriere gelernt, mit welcher Software ich was hacken konnte, und klopfte mir geistig auf die Schulter.
Er hatte den Wagen am Flughafen gemietet, war also mit dem Flugzeug hergekommen. Hatte er nach mir gesucht? Unwahrscheinlich, denn dann hätte er in Perth vor meiner Tür gestanden und nicht bei einer Führung einer kleinen, aber feinen Whiskybrennerei. Das konnte nur Zufall gewesen sein.
Passagierlisten unterliegen dem Datenschutz, mich da einzuhacken war mir noch nie gelungen. Ich kannte aus meinen Londoner Tagen einen jungen Mann, der bei British Airways arbeitete, und rief ihn an. Ich würde zusammen mit einem Lukas Jansen fliegen, er wäre nicht erschienen.
»Sein Flug geht auch erst morgen«, erklärte er mir. »Nach London. Dann könnten wir uns doch mal wieder treffen, Victoria, was meinst du? Oder fliegst du auch auf die Kapverden? Ich bin in Heathrow, ihr habt drei Stunden Übergangszeit, auf einen Kaffee? Was meinst du? Und soll ich den Flug gleich für dich buchen? Du stehst noch nicht auf der Liste, Sweetheart.«
»Ich rufe dich an«, säuselte ich zurück. »Wenn ich es schaffe, ich wollte vorher noch einiges einkaufen. Vielleicht fliege ich erst später. See you, Norton.«
Ich rechnete nach. Wenn Jansen auf mich wartete und irgendwann weiter nach Dufftown fuhr, musste er abends zurück, um den Flug am nächsten Morgen zu erwischen, oder durch die Nacht fahren.
Ich musste darauf setzen, dass die Begegnung Zufall gewesen war, ansonsten stand er bald vor meiner Tür, mit einer Waffe in der Hand.
Er hatte mich schon einmal unrechtmäßig festgenommen, in der Schweiz. Aber anstatt mich den Schweizer Behörden vorzuführen, hatte er mich in eine deutsche Exklave gefahren, die nur über die Schweiz zu erreichen war, aber der deutschen Gerichtsbarkeit unterlag.
Der brachte es fertig, mich hier privat festzunehmen und auf einem Fischtrawler zurück nach Deutschland zu bringen, um mich vor ein Gericht zu stellen. Das Risiko durfte ich nicht eingehen; ich übernachtete in einem Dorfgasthaus in der Nähe, von dem aus ich mein Haus beobachten konnte.
Jansen war bei seiner Jagd nach mir nie allein unterwegs gewesen. Er war immer von