Wir bleiben mitten auf den Platz stehen und platzieren unser Gespann vor der imposanten Kirche. Und zwar so, dass uns jeder sehen kann. Kaum haben wir die Radständer ausgestellt und die Hunde zum Sitzen gebracht, nähern sich schon die ersten mutigen Neugierigen.
Erst betrachten sie mit fragenden Blicken die Gespanne mit den Hunden, dann lesen sie die Plakate mit den Informationen, die an beide Hänger kleben, und schließlich nimmt ein älterer Mann Kontakt mit den Außerirdischen auf:
"Ciao, wo kommt ihr her?"
Und nun beginnt unsere Arbeit. Ich erkläre den Leuten, dass wir zu einer Europaradtour gestartet sind, um auf das Problem der ausgesetzten Tiere aufmerksam zu machen. Der Neugier sei Dank, nähern sich mehr Leute während ich erzähle. Gleichzeitig erfahren wir die ersten Reaktionen.
Die sind hier Positiv, wie beruhigend. Das spornt uns natürlich an.
So bildet sich in kurzer Zeit ein Menschenkreis um uns und jeder möchte sich dazu äußern.
· Jemand erzählt von seinem Nachbarn, der seinen Hund misshandelt.
· Ein anderer von den streunenden Hunden in seinem Viertel.
· Andere haben Fragen zu unserer Reise,
· ein paar junge Leute interessieren sich für unsere Räder.
Das ist es, genau das ist es, was wir wollen. Wir haben die Menge versammeln können und dazu gebracht, über unsere Botschaft nachzudenken. Darüber hinaus den Gesprächsstoff geliefert, den die Leute weiter geben werden, wenn sie anderen erzählen, dass sie uns getroffen haben.
Also ich finde, für den ersten Impact mit dem ersten Publikum ist es wahrlich kein schlechter Erfolg.
So wie bei der Zellenteilung, so teilt sich die Menge und es bilden sich Gruppen. Es werden heftig pro und kontra Gespräche geführt, diskutiert und gestikuliert. Man kennt es ja von den Italienern, die Hände haben ein besonderes Mitspracherecht.
Nach einer Weile lösen wir uns langsam und geschickt von der Diskussionsrunde mit einer Ausrede ab, lassen die Hunde trinken und machen uns klar zum weiter-ziehen. Hier ist unsere Arbeit erledigt, wir haben genug angestiftet. Wir steigen auf die Fahrräder, verabschieden uns von den Leuten, die uns Glück und Erfolg auf unserer Reise wünsche und verlassen die Piazza winkend.
Das ist schön. Wir haben ein sehr gutes und beruhigendes Gefühl dabei. Sind froh, dass der erste Halt in der ersten Stadt, ein Erfolg war. Wir konnten die ersten Zeichen setzen.
Holprig geht es auf dem Kopfsteinpflaster wieder weiter aus der Altstadt in Richtung Sannicola. In den teilweise sehr engen Gassen können uns die Autos nicht überholen. So staut es sich etwas hinter uns, aber keiner regt sich wirklich auf. Und ich bin sehr positiv überrascht über den respektvollen Abstand, den die Autofahrer außerhalb der Stadt, beim Überholen des Fahrrad-Konvois einhalten.
Im Dörfchen San Simone legen wir eine kurze Trinkpause ein. Es ist sehr heiß. Mein Temperaturmesser zeigt 33 Grad an! Im Schatten wohl bemerkt. Die Hunde sind diese hohen Temperaturen gewohnt.
Sie sind hier im Salento aufgewachsen, wir haben lange bei diesen Temperaturen trainiert. Wir lassen sie auch nicht rennen. Sie sollen nur traben. Nur so schaffen sie mit einer gewohnten Leichtigkeit das Tagespensum von etwa 30 km, ohne sich dabei zu übernehmen.
Die Region, in der wir uns befinden, heißt Salento. Das ist die berglose Halbinsel von Apulien in Süditalien. Die wichtigste Ortschaft ist die Provinzstadt Lecce, auch das Florenz des Südens genannt, wegen ihrer barocken Gebäude und Kirchen.
Otranto ist eine kleine schöne Stadt, die wegen ihrer strategischen Lage an der Adria schon seit der Römerzeit wichtig war. Die Meerenge ist nach diesem Ort benannt. Die Hafenstadt Brindisi, das Tor zum Orient. Hier endet die berühmte römische Straße "Via Appia".
Gallipoli mit ihrer interessanten Altstadt ist auf einer Insel gebaut. An einem der wunderschönen Sandstrände am Ionischen Meer machen wir jetzt lange Mittagspause. In Lido Conchiglie, nördlich von Gallipoli, unweit vom schneeweißem Strand unter einer große Pinie.
Nun liegen wir entspannt im Schatten, essen die Brötchen, schreiben die ersten Notizen auf, besprechen einige Passagen der letzten Kilometer, wichtige Verhaltensregeln für eine sichere Fahrt mit dem Gespann und die Tiere durch verschiedene Verkehrssituationen.
Wir haben zwar lange trainiert, aber es gibt immer Neues zu lernen und das wird lange so bleiben. Während der heißen Mittagsstunden werden die Hunde nicht laufen. Das muss auch nicht sein. Der Tag ist lang, und wir haben viel Zeit, um die 30 km schön durch den Tag zu verteilen. Das ist die Menge der durchschnittlichen Tageskilometer, die wir uns selbst gesetzt haben. So ist es für die Hunde wie das tägliche lange Gassi gehen.
Wir fahren langsam, im Schnitt sind es gerade mal acht km/h. Also etwas schneller als ein Mensch läuft, und wir machen viele Pausen. Es soll keiner aus der Puste kommen. Nur so werden wir die nächsten 12.000 km und 14 Monate durchstehen können!
Nachdem sich alle genug ausgeruht haben, fahren wir gegen 16 Uhr, durch die Badeorte Santa Maria al Bagno und Santa Caterina, weiter.
Die vielen Urlauber haben die Strände und die Promenaden, wie die Ameisen um ein Stück Brot, regelrecht voll in Anspruch genommen. Da wir nun direkt an der Küste fahren, bekommen wir das hautnah mit.
Die meisten kommen aus Norditalien, aber es gibt auch viele Deutsche, Schweizer, Franzosen und Holländer. Sie schauen und zeigen auf uns, viele lächeln und sprechen uns während der Fahrt an, so dass wir anhalten müssen, um Preis zu geben, was es mit unserem Auftreten auf sich hat. Wieder lösen wir Begeisterung aus. Hände werden geklatscht, Daumen nach oben gezeigt und andere Zeichen des Zuspruches. Fragen wie:
· "Wo kommt ihr her?",
· "Warum seid ihr mit den Hunden unterwegs?",
· "Was wollt ihr erreichen?"
werden gestellt. Ich versuche sie in verschiedenen Sprachen zu beantworten, aber wir merken schon, wohin die Interessen der Leute tendieren.
Gegen 19 Uhr 30 verlassen wir dann unauffällig die Landstraße und schieben die Räder vorsichtig in einen Olivenhain. Weit weg von der Straße, so dass uns keiner entdecken kann. Ich vermute hier einen schönen ruhigen Platz. Hier werden wir wahrscheinlich die erste Nacht verbringen.
Zuerst erkunde ich die Gegend. Ich achte darauf, dass wir niemanden durch unsere Präsenz stören und dass auch wir nicht gestört werden.
Der Platz scheint okay zu sein. Ich werde hier das kleine Zelt zwischen einem Olivenbaum und einem Caseddhu aufschlagen.
Das ist eine typische salentinische, mehrere Jahrhunderte alte Rundbaukonstruktion. Diese sind im ganzen Salento verteilt. Gebaut haben sie die Bauern aus den Steinen ihrer Felder, ohne Mörtel.
Dieses Trockenmauerwerk diente zum Schutz vor der Witterung und zeitweise auch als Wohnstätte, wenn sie über mehrere Tage auf ihren Feldern arbeiteten.
Das kleine Zelt aufzuschlagen kostet mich keine Mühe, denn ich habe diesen Vorgang schon mindestens 150-mal gemacht. 2006 bei meiner letzten Fahrradreise.
Danach platzieren wir die Räder mit den Hängern neben dem Zelt und packen sie teilweise ab. Die Hunde werden in unmittelbarer Nähe, an einer speziellen Bodenhalterung mit einem Gewinde, angeleint.
Der erste Tag ist überstanden. Wir sind rund 29 km weit gekommen, hatten keine größeren Probleme, sind nicht verhaftet worden, nicht ausgeraubt und keiner hat uns geschlagen. Das ist schon mal gut.
Nebenher haben wir unsere Botschaft gut verkauft.